1. Juan de Valdés: Übersetzer und Bearbeiter von Luthers Schriften in seinem ‘Diálogo de Doctrina’, in: Archiv für Reformationsgeschichte, 74, 1983, pp. 257-305.

Juan de Valdés: Übersetzer und Bearbeiter
von Luthers Schriften in seirtem Diálogo de Doctrina

Von Carlos Gilly

Am 14. Januar 1529 erschien in Alcalá de Henares aus der Presse des Universi-

tiitsdruckers Miguel de Eguía ein anonymer Katechismus mit dem Titel Diá-

logo de Doctrina christiana nuevamente compuesto por un Religioso 1. über die

Orthodoxie des Diálogo dürfte der engagierte Buchdrucker keine Bedenken ge-
hegt haben, wurde doch darin die Lektüre der Werke des Erasmus empfohlen,

mit denen Eguía den spanischen Büchermarkt seit J ahren versorgte 2. Au~erdem

hatte ein Domherr zu Sant Yuste, der Erasmist Hernán Vázquez, das Manu-
skript tagelang geprüft und allfállige gewagte Stellen daraus entfernt 3• D~ das

Buch anonym erschienen war, brauchte den Drucker ebenfalls nicht zu beun-
ruhigen, denn das Verbot, «quosvis libros de rebus sacris sine nomine auctoris»

zu drucken oder zu verkaufen, wurde erst 15 Jahre spiiter in Trient erlassen.
Und überhaupt war es in Alcalá ein offenes Geheimnis, wer der Verfasser war:

Juan de Valdés, ein Student der Complutensis, dessen Bruder Alfonso als Se-
kretür beim Kaiser fungierte.

Miguel de Eguía konnte ja nicht ahnen, d~ er in Wirklichkeit eine Bearbei-
tung von Schriften Luthers gedruckt hatte. Die betonte Priisenz von Erasmus

war lediglich ein Vorwand des Verfassers gewesen, um die Zensurbehorden von
den wahren Quellen des Buches abzulenken: Martin Luthers Decem Praecepta

1. DiJilogo de doctrina cristiana, reproduction en fac-similé de I’exemplaire de la Biblio-
theque Nationale de Lisbonne (édition d’Alcalá de Henares, 1529), avec une introduction

et des notes par Marcel Bataillon, Coimbra 1925 (im folgenden zitiert: Diálogo); Marcel
Bataillon: Erasme et I’Espagne, Recherches sur l’histoire spirituelle du XVIe siecle, Paris
1937 (zitiert nach der 2. spanischen Ausgabe, Erasmo y España, estudios sobre la historia
espiritual del siglo XVI, México-Buenos Aires 1966), 345ff.; John E. Longhurst: Erasmus
and the Spanish Inquisition: The case 01 Juan de Vakiés, Albuquerque 1950, 35ff.

2. Bis 1529 hatte Miguel de Eguíafolgende Werke des Erasmus gedruckt (die Zahlen ent-
sprechen der Numerierung in Bataillons Bibliographie, Erasmo y España, a.O., xxi-cxvi):

Lateinisch, Nr. 467,468,496,497,500, SOl, 507, 513, 514, 517, 534, 554, 560, 561,
562, 563, 564, 565, 566; Spanisch, Nr. 487, 490, 504, 505, 519, 520, 555, 568, 575.
3. Diálogo, 68f.; John E. Longhurst: «Alumbrados, erasmistas y luteranos en el processo
de Juan de Vergara», in: Cuadernos de Historia de España, Buenos Aires, fase. xxvii, 1958,
99-163; xxviii, 1958, 102-165; xxix-xxx, 1959, 266-292; xxxi-xxxii, 1960, 322-
356; xxxv-xxxvi, 337-354; xxxvii-xxxvii, 1963, 356-371 (im folgenden zitiert als
«Proceso de Vergara» und nach der Foliierung im Original, Archivo Histórico Nacional,
Inquisición de Toledo, lego 223, núm. 42), f. 181ro.

257

Wittenbergensi praedicata populo von 1518, Luthers Explanatio dominicae
orationis pro simplicioribus laicis von 15201 Okolampads In Iesaiam Prophetam
Hypomnemata von 1525 und wahrscheinlich noch Melanchthons Enchiridion
elementorum puerilium von 1524.
Dies haben allerdings auch die Theologen von Alcalá nicht gemerkt, auch

nicht die spanische Inquisition und ebensowenig die alte und neuere Valdésfor-
schung. Aber gehen wir der Reihe nacho

1.

Der Didlogo de doctrina schien zunachst derart ungef3hr1ich, d~ der neu er-
~annte Inquisitor von Navarra, der Erasmist Sancho Carranza de Miranda, gleich
mehrere Exempiare erwarb und sie unter dem K1erus seiner Diozese verteilte.
Erst nach sorgfáltiger Lektüre habe er einige Sachen bemerkt, «die nicht gut

ausgedrückt worden waren; allerdings nichts, das in früheren Zeiten Anstofl er-
regt hatte oder das mit geringftigigen Anderungen nicht korrigiert werden konn-
te.»4 Aber das Buch mufl bald auch andere Leser gefunden haben, die es nicht

so woh1wollend wie Carranza beurteilen wollten. 1m Gegenteil: gekriinkt wie
viele Ordensbrüder waren, nachdem die Konferenz von Valladolid von 1527

aufgelost wurde, ohne d~ sie die dort angestrebte Verurteilung des Erasmus er-
reicht hatten, und noch mehr, weil die hochofflzielle Protektion des Verfassers

vom De libero arbitrio und von der Hyperaspistes durch Papst und Kaiser, durch

den Groflinquisitor Manrique und den Primas von Spanien, Fonseca, die Or-
densbrüder gezwungen hatte, dieApologia ad Monachos hispanos stillschweigend

hinzunehmen, sahen sie in der Publikation des Didlogo de doctrina den ersehn-
ten Seitenweg, uro die spanischen Erasmisten zu bekampfen.

Wahrscheinlich auf eine Denunziation aus diesen Kreisen hin beauftragte der
Groflinquisitor Manrique die theologische Fakultiit von Alcalá mit der Oberprü-
fung des Didlogo, woh1 in der Oberlegung, d~ die meist erasmianisch gesinnten

Complutenses die Áffáre um dieses Buch, flir das sogar sein Sekretiir, Luis Co-
ronel, so sehr schwiirmte, ohne grofles Aufsehen beilegen würden. Zur Sicher-
heit schickte Manrique jedoch seinen Freund Carranza zu der bereits tagenden

Kommission und liefl den Theologen mitteilen, er wüosche keine theologische
«QualifIkation» der im Didlogo aufgestellten Thesen (d.h. keine Aufstellung
more theologico von suspekten, aus dem Zusammenhang gerissenen Siitzen mit
der üblichen Zensur ,,haeresiam sapit» etc.), sondern vielmehr, d~ das Buch
4. «Proceso de Vergara,» f. 203vo; Diálogo, 65f.; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 361,
363. Longhurst, Erasmus and (he Spanish /nquisition, a.O., 40.
258

korrigiert und so ungefáhrlich als moglich wieder gedruckt würde s. Auch Juan
de Vergara, hinter dem der Erzbischof von Toledo, Fonseca, stand, mahnte
zwei der Theologen, Alonso Sánchez und Juan de Medina, zur Moderation in
der Zensur, uro einen Neudruck des Diálogo zu ermog1ichen 6• Juan de Valdés

selbst, von Medina um den Sinn einiger Stellen aus dem Buch befragt, bat die-
sen instandig, so1che Stellen nicht zu notieren und auch nicht zu verOffentli-
chen, denn er hatte sie, so schwor er, keineswegs im unorthodoxen Sinne ge-
meint ‘. Von seiten der aufgeklarten Theologen Mateo Pascual, Pedro de Lerma

und Hernán Vázquez hatten die Freunde des Valdés nichts zu beftirchten. Vor

der Kornmission machte Vázquez sogar kein Hehl daraus, das Manuskript gele-
sen und korrigiert zu haben und verteidigte mit Vehemenz die Orthodoxie der

gesarnten gedruckten Fassung des Diálogo 8. Kein Wunder also, d~ unter sol-
chen Umstanden der SchluBbericht der Kommission fUr das Buch relativ günstig

ausfiel, auch wenn einige Theologen ihre Unterschrift unter das Dokuroent ver-
weigerten wegen dessen «gro&r Milde», wie sie Jahre spater vor der Inquisition

aussagten 9. Valdés konnte sich vorHiufig auBer Gefahr wahnen, und sogar Eras-
mus gratulierte ihm Mitte Marz von Base] aus, weil der junge Freund «incolu-
men ex isto naufragio enatasset»lO.

Aber die Ordensbrüder lieBen nicht locker. Der Franziskaner Pedro de Vitoria

griff den Diálogo in seinen Predigten scharf an, so d~ eine begeisterte Erasmus-
leserin, María de Cazalla, das Buch «zuunterst in einem Koffer» versteckte und

ihren Tochtern die weitere Lektüre untersagtell. Andererseits begingen die
Buchhandler die Unvorsichtigkeit, das Buch weiterhin Offentlich zu verkaufen,

was den Empfehlungen der Kommission gewili zuwiderlief. So muBte Man-
rique, um die Angelegenheit nicht zu einem noch groflJeren Skandal anwachsen

zu lassen, die Regionalinquisitoren in einem Rundschreiben anweisen, alle in
ihren Gebieten feilgebotenen Exemplare des Diálogo zu beschlagnahmen12• Das
Rundschreiben des GroBinquisitors tragt zwar das Datum vom 27. August 1529
und ist auch dann abgeschickt worden; aber die Formulierung «es wurde vor
5. «Proceso de Vergara,» f. 182ro ; Didlogo, 66, 70f.; Longhurst, Erasmus, a.O., 40, 42f.
6. «Proceso de Vergara,» f. 181vo-182vo ;Didlogo, 69f.; Longhurst, Erasmus, a.O., 4lff.
7. «Proceso de Vergara,» f. 182co ; Didlogo, 70; Bataillon, Erasmo y Espafla, a.O., 362.
8. «Proceso de Vergara,» f. 181rO ;Diálogo, 68f., 116; Longhurst, Erasmus, a.O., 38-40.
9. «Proceso de Vergara,» f. 181ro – vo ; Longhurst, Erasmus, a.O., 44.
10. Diálogo, 67; P. S. Allen: Opus epistolarum Erasmi, 8,96 (ep. 2127 1-3).
11. Didlogo, 73; Milagros Ortega Costa: Proceso de la Inquisición contra María de Caza·
Ha, Madrid 1978, 137.

12. Diálogo de Doctrina Cristiana de Juan de Valdés (Biblioteca de visionarios, hetero-
doxos y marginados 25; ed. von JavÍer Ruiz mit einem Anhang von Miguel Jiménez Monte-
serín), Madrid 1979,182-183.

259

wenigen Tagen ein Buch gedruckt» zeigt uns klar, d~ das Dokument in seiner
ersten Fassung unmittelbar nach Eintreffen des Berichts der komplutensischen
Kornmission, aIso wohl irn Februar, verf~t wurde. Offenbar hatte Manrique
lange gezogert, die Inquisition direkt in eine Sache einzuschalten, in der sich
einige seiner engsten Freunde und sogar er selbst allzusehr engagiert hatten. Da
aber die Affare, anders als die Konferenz von Valladolid 1527 und auchanders

als der Skandal um den Diálogo de Lactancio des Alfonso de Valdés 1528, dies-
mal zu überborden drohte, m~te er die Angelegenheit offlZiell den Inquisito-
ren übergeben. Das Buch enthalte, so ist irn Rundschreiben zu lesen, ,,muchas

cosas erróneas e no bien sonantes, y ansí está declarado por muchos doctores

teólogos que le han visto y examinado, et conviene con toda diligencia y pre-
steza proveer y remediar cómo el dicho libro no se venda ni extienda por diver-
sas manos e personas, porque después sería difícil remediarse»13. Von der Mog-
lichkeit einer zweiten, expurgierten Ausgabe war darín überhaupt nicht mehr

die Rede; vielmehr betonte Manrique, wie das Werk die Leser zu IrrtÜInern ver-
leiten konnte, die danach nur schwer zu beseitigen waren~

Wie er sein Buch in den Handen der Inquisition sah, war es fijr Valdés klar, d~
ilm nur die Flucht vor dem unweigerlich kornmenden ProzeB und der sicheren

Verurteilung retten konnte. Bereits am 22. September übertrug er seinem Bru-
der Diego die Verwaltung einiger Renten und kurz darauf, wahrscheinlich noch

vor dem ersten Verhor von Vergaras Halbbruder Bemardino Tovar, verlieB er
Spanien ftir irnmer14.

Tovars erstes Verhor durch die Inquisition irn Dezember 1529 und seine de-
fmitive Verhaftung zehn Monate spater machten den Anfang ftir eine Kette von

Prozessen, welche den Erasmismus in Spanien in wenigen Jahren endgültig zer-
schlagen sollte. Allein 1530 wurden unter anderem die Prozesse gegen Juan de

Vergara, Miguel de Eguía, Mateo Pascual und Juan de Valdés eingeleitet. Bald
folgten diejenigen von Alfonso de Valdés, Juan del Castillo, Juan und María de
Cazalla1S. Leider sind nur wenige Akten dieser Prozesse erhalten geblieben, aber
aus diesen geht deutlich hervor, mit welchem Nachdruck die Unterstützung
oder auch nur die einfache Lektüre des Diálogo de doctrina zum Anklagepunkt
erhoben wurde.
Juan de Vergara, der am meisten von einer IdentiflZierung der wahren Quellen
von Valdés’ Buch zu beftirchten hatte – die Inquisition hatte Okolampads
13. Ebd., 183; (Archivo Diocesano de Cuenca, Inquisición, lego 224, f. 46ro.)

14. Ebd., 183f.; Didlogo, 80rr.; Bataillon, Erasmo y Espalia, a.O., 452 Anm. 2; Long-
hurst, Erasmus, a.O., 52ff.

15. Bataillon, Erasmo y Espalia, a.O., 437ff., 470ff., 475ff.; Longhurst, Erasmus, a.O.,
74.
260

Kornmentare zu Isaias bei ihm entdeckt! – verneinte gesehiekt, den Didlogo ge-
lesen zu haben. Seine Kenntnisse über das Bueh, so Vergara weiter, beruhten

lediglieh auf den Beriehten von Sancho Carranza und Luis Coronel. Wohl hatte
er bei einigen Theologen der eomplutensisehen Kornmission interveniert; dies

aber nur aus Freundsehaft zu dem jungen Verfasser und keineswegs, um et-
waige Irrtümer im Bueh zu entsehuldigen oder deren Zensur zu vereiteln. Au-

~rdem habe er im personliehen Gespraeh mit Valdés diesen hart kritisiert, sieh
an eine Materie gewagt zu haben, die nieht zu seinem Faeh gehorte 16. Vergaras
gesehickte Verteidigung verfehlte ihre Wirkung nieht: dieser Punkt wurde im
Urteilssprueh fallengelassen.
Nieht so bei Maria de Cazalla. Als diese 1533 wiederholt naeh Valdés’ Bueh
gefragt wurde, gab sie ihren Riehtern die naive Antwort: «Ich habe eueh sehon
gesagt, d~ ieh das Bueh über die Doctrina christiana gelesen habe; da es von
EuerGnaden nieht verdarnmt worden ist, kann kein Irrtum darin enthalten

sein.» 1m Urteilssprueh war es den Inquisitoren ein leiehtes, diese Aussage ge-
gen die Angeklagte zu drehen: «… sie hat das Büehlein der Doctrina christiana

sehr gelobt, obwohl darin wahrhaftig Irrtümer gegen unseren heiligen Glauben
enthalten sind.»17
Die Kommission von Alcalá hatte Valdés wohl freigesproehen, niehtaber die
Inquisition. 1m Gegenteil, diese hatte den Didlogo de doctrina als «lutherisch

und dessen Verfasser formlieh als Ketzer qualiftziert», wie Juan Antonio LIo-
rente, der den heute versehollenen Valdés-ProzeB noeh einsehen konnte, in

seiner Historia crítica de la Inquisición 1818 ~sarnmenf~te18. Die Inquisito-
ren hüteten sieh indes, dieses Urteil vorzeitig preiszugeben, denn sie wollten

den Flüehtling naeh Spanien zurüekloeken19.
Bedeutet das von LIorente überlieferte Urteil, d~ die Inquisitoren die Prasenz

von Schriften Luthers im dem Didlogo de doctrina aufgedeekt hatten? Aufkei-
nen Fall, denn sonst hatten sie nieht auf eine mogliehe Rüekkehr des Valdés

naeh Spanien gewartet, sondern ihn einfaeh in Rom oder Neapel verhaften las-
sen. D~ sie über genügend Maeht dazu verfligten, zeigt der Fall von Juan del

16. «Proceso de Vergara,» f. 284ro – vo; Longhurst, ErallmulI, a.O., 43f.
17. Bataillon, Erallmo y Ellpaña, a.O., 472; M. Ortega, Procero contra M. de Cazalla, a.O.,
129, 230,498; José Constantino Nieto: Juan de Valdéll and the origins ofthe spanish and
itallan Reformation, Geneve 1970, 139f.
18. Juan Antonio Llorente: Hilltoire critique de I’lnquisition d’Ellpagne, depuilll’époque
de ron établillllement par Ferdinand V, jUllflu’au regne de Ferdinand VIl (trad. de l’espagnol
sur le manuscrit et sous les yeux de l’auteur par Alexis Pellier), Paris 1817-1818, lI, 478;
Diálogo, 78; Longhurst, ErallmulI, a.O., 49; Nieto, Juan de Valdéll, a.O., 231.
19. Diálogo, 77ff.; Bataillon, Erallmo y Ellpaña, a.O., 476, 483.

261

Castillo, einem früheren Schützling des Manrique: Nach Tovars erstem VerhOr

hatte sich Castillo nach Paris abgesetzt. Als ihn dort der Pariser Inquisitor auf-
grund eines HaftbefehIs aus Spanien festnehmen lassen wollte, konnte er recht-
zeitig nach Itallen fliehen. Dort lie~ die Inquisition heirnlich nach ihm suchen,

bis sie ihn schlie~lich in Bologna, wo er Griechisch unterrichtete, aufspürte. Er
wurde verhaftet, nach Spanien gebracht und 1537 als Lutheraner verbrannt 20.
Wenn die spanische Inquisition mit Valdés nicht lihnlich verfuhr, obschon sie
über seinen Aufenthalt in Rom und Neapel Bescheid wu~te, heilit dies, d~ sie
den Fall Juan de Valdés fúe weniger ergiebig hielt als denjenigen des Castillo.
Wiire sie auf das Geheimnis um die Quellen des Diálogo de doctrina gekornmen,
so hiitte diese Entdeckung Valdés bestimmt das Leben gekostet.
Der Aufwand an Kraft und Zeit, welchen die Inquisition fúe die Festnahme

von Juan del Castillo entfaltete, war vor allem auf die ftihrende Rolle zurückzu-
ftihren, die Castillo, iihnlich wie Tovar, sowohI unter den Erasmisten wie auch

unter den Alumbrados gespielt hatte 21. Die Inquisitoren hofften offenbar, aus
Castillos Gestiindnissen genügend Material zu sarnmeln, um beide Bewegungen
ein fúe allemal zu zerschIagen. Denn nur auf diese hatten es die Inquisitoren ano

fánglich abgesehen und nur gegen deren Anhiinger war die Welle von Verhaf-
tungen und Prozessen gerichtet. Wer, wie etwa Miguel de Eguía, Juan de Valdés

und María de Cazalla in beiden Bewegungen zu Hause war, erfuhr daher eine
doppelte Bedrohung.
Unglücklicherweise s~ seit Ostern 1529 im Inquisitionsgefángnis von Toledo
die «Beata von Valladolid» Francisca Hernández, eine berühmte Alumbrada,
deren einstmals gro~e Anhiingerschaft sich meist den Erasmisten zugewandt
hatte 22. WohI aus Rache an Vergara und Tovar begann sie im Mai 1530, ihre
zwei früheren Freunde als Lutheraner zu denunzieren. Am gro~en Interesse und

Erstaunen der Inquisitoren über diese Enthüllungen konnte sie sich eine Ver-
besserung ihrer eigenen Lage ausrechnen, wenn sie in dieser Richtung fortftihre.

So war denn in der folgenden Zeit kaum ein spanischer Erasmist, den sie nicht
als Alumbrado und Anhiinger von Luther denunziert hiitte. Vor ihren Richtern

weiter ermutigt, sprach sie sogar von einem geheimen Generalstab von Abtrün-
nigen. Die Inquisitoren nahmen die Denunziationen der Alumbrada offenbar

20. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 478f.
21. Longhurst: «The ,alumbrados’ of Toledo; Juan del Castillo and the Lucenas,» in:
Archiv für Reformationsgeschichte, XLV, 1954,233-254.

22. Eduard Boehmer: Franzisca Hernández und Frai Francisco Ortiz. Anfange reforma-
torischer Bewegungen in Spanien unter Kaiser Karl v., Leipzig 1865; Angela Selke (de Sán-
chez Barbudo): El Santo Oficio de la Inquisición. Proceso de fray Francisco Ortiz (1529-

1532), Madrid 1968.
262

vollig ernst, denn sie beschlossen, einen ihrer noch treuen Anhanger, Antonio

de Medrano, unter die Folter zu stellen, um weitere Informationen aus ihm her-
auszupressen «para que, si Dios fuera servido, se vaya descubriendo poco a

poco aquella capitanía apostática … de que haze mención Francisca Hernán-
dez»23.

Sehr viel prazisere Informationen erhielten die Inquisitoren jedoch von einem

weiteren Gefangenen, dem Kleriker Diego Hernández, der jahrelang in den hu-
manistischen Kreisen von Alcalá verkehrt hatte. 1m Mai 1532 denunzierte er

namentlich 27 «Anhanger des Bernardino Tovar» und stufte sie nach Angaben,
die ihm Juan del Castillo anvertraut Mtte, in flinfKategorien ein: «dañados o

dolientes o enfermos o confesados o conversantes». Zu den am meisten Kom-
promittierten, den Dañados, ziihlte er als ersten Juan de Valdés; diesem folgten

Mateo Pascual, die künftigen Jesuiten Manuel Miona und Miguel de Torres, fer-
ner Vergara, Alfonso de Valdés, Gaspar de Villafaña, Juan López de Calaín und

Alonso Garzón 24. Ein Jahr spater hatte sich sein Gedachtnis offenbar unheim-
lich verbessert, denn jetzt denunzierte Hernández über siebzig Personen, die er

ebenfalls in Kategorien einteilte, von «finíssimo lutherano endiosado» (Tovar,
Juan de Valdés, López de Calaín) über «fino lutherano endiosado» (Vergara),

«fmo lutherano» (Alfonso de Valdés, Alonso de Virués), «conoscido luthera-
no» (Villafaña), «lutherano» (Mateo Pascual), ,,gentil vel quasi lutherano»

(Hernán Núñez de Guzmán), ,,herido por Erasmo» (Juan de Cazalla, Dionisio

Vázquez), ,,herido por Tovar» (Hernán Vázquez) … und so fort bis zu den un-
gefáhr1icheren Kategorien von «santo atrevido», «atado», «devoto» und «nes-
cio». Der Drucker Miguel de Eguía wurde hier ausnahmsweise ,,muy buen

hombre» genannt. Auch die Ko-Denunziantin Francisca Hernández entging
dem Gedachtnis des geschwatzigen KIerikers keineswegs: «Endiosada nescia»
nannte er sie 25.

Wie in seiner ersten Denunziation berief sich der reumütige Hernández mit sei-
ner detaillierten Einstufung wiederum auf Juan del Castillo, von dem er diesmal

den Inquisitoren zusatz1ich eine besondere Geschichte zu erziihlen wu~te: Vor
seiner Flucht nach Paris Mtte Castillo vor Hernández behauptet, «d~ er im
Falle seiner Verhaftung in der lutherischen Sekte, Gott lobend, sterben würde,
und d~ er, auch wenn er dafür lebendig verbrannt werden solIte, keinen der
Anhanger dieser Sekte verraten würde. Diese solIten weiterleben, um die Sekte
23. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 437; A. Selke, El Santo Oficio, a.O., 67f., Anm.
43.
24. «Proceso de Vergara,» f. 44ro-45ro ; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 437, 444,
475.
25. «Proceso de Vergara,» f. 45IO-46vo; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 444.
263

der früheren Valdésforschung einzugehen ist hier umsoweniger notwendig, als

José C. Nieto in seinem Juan de Valdés and the origins of the spanish and ital-
ian Reformation (Geneve 1970) sie in chronologischer Reihenfolge ausführlich

besprochen hat 29. Dem Leser sei nur in Erinnerung gerufen, d¡ill, die bunte Pa-
lette von Interpretationen zwischen den Kennworten «strenger Lutheraner»,

«adogmatischer Protestant», «Erasmist», «Spiritualist» ,,,Anabaptist», «Anti-
trinitarier», «Vorliiufer der Pietisten oder der Quiiker», «Aristokratischer Alum-
brado» oder «mittelalterlicher Mystiker» variiert. In bezug auf die Aufziihlung

von J. C. Nieto sei hinzugefügt, d¡ill, Curiones Bezeichnung «Dottore e Pastore
di persone nobili e illustri» im Vorwort zu den no Considerazioni von 1550
nicht das erste gedruckte Zeugnis über Valdés darstellt. Denn bereits 1544hatte
derselbe Curione in seinem Pasquillus ecstaticus Valdés neben Luther, Zwingli,
Okolampad, Capito, Lambert, Lefevre d’Etaple und Girolamo Galateo als die
Eroberer des wahren Himmels und die Zerstorer des Ersatzhimmels des Papstes
eingereiht 30. Aber kehren wir zur modernen Valdés-Historiographie zuriick.

«Un catéchisme érasmien»: So mu~ Bataillon gedacht haben, als er in Lissa-
bon das wmrend Jahrhunderten verschollene Buch zum ersten Mal durchbliit-
terte, und mit diesen Worten erOffnete er in seiner «Introduction» die Deutung

des Diálogo. Denn die Namen der Gespriichspartner Antronio und Eusebio wa-
ren den Colloquia familiaria des Erasmus entnornmen; die Werke des «excelente

doctor e verdaderamente teólogo Erasmo» wurden dort nahezu ausschlie~lich

empfohlen. In der tlbersetzung der Bergpredigt aus dem Griechischen war Val-
dés dem Text von Erasmus treu gefolgt, und sogar in der Technik des Dialogs

war der Schüler in die Fu~stapfen des Meisters getreten: «e’est un long Col-
loque erasmien que ce livre.» Mehr noch: Der Kornmentar zum Glaubenssym-
bol, ,,l’une des maftresses pieces de son catéchisme», war beinahe wortlich aus

der Inquisitio de fide übersetzt.

Paradoxerweise hielt Bataillon diese Seiten über das Credo, «qui sont de l’Eras-
me presque pur», keineswegs fúe die «plus authentiquement érasmiennes du

Diálogo»; Die echtesten Merkmale vom Geist des Erasmus fand er etwa in der

Defmition des christlichen Menschen, in der Betonung des evangelischen Voll-
kornmenheitsgebots für alle Christen und nicht nur fur die Monche, in der Rela-
tivierung der iiu~eren Zeremonien oder der Verachtung fúe abergliiubische De-
Text des Didlogo, so d~ der Leser immer noch auf die Faksimile-Ausgabe von 1925 ange-
wiesen ist.

29. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 13-28.
30. C. S. Curionis Pasquillus ecstaticus (Basileae 1544), 34f.: «Ioannes Valdessus, vir
summa religione, fide, eruditione, qui Neapoli diem obiit suum, egregiis relictis ad hoc
coelum excidendum instrumentis.»

265

votionen. «Toute cette critique de la fausse piété», fl&te Bataillon zusarnmen,
«cette perpetuelle opposition de l’ordre spirituel a l’ordre charnel, ce souci de

faire sentir au fidele l’étendue da sa liberté, c’est l’enseignement méme d’Eras-
me. Tout celk trahit, chez Valdés, le lecteur fervent de l’Enchiridion et de la

Pietas puerilisr ,,31

Dennoch konnte Bataillon, als gro~em Kenner der Religiositat des Reforma-
tionsjahrhunderts, die Tatsache nicht entgehen, dl& sich Valdés’ Frommigkeit

mit der Philosophia Christi des Erasmus keineswegs in allen Punkten deckte.

«Mais son catéchisme, si érasmien par tant de cotés, témoigne déja d’une ex-
périence qui n’est pas toute entiere réductible a la piété érasmienne.» Bataillon

hat auch als erster und beinahe einziger gemerkt, d~ die irreversible Bewegung,
die Valdés von Werk zu Werk weiter von Erasmus entfemte, bereits im Didlogo
eingesetzt hatte. Als Beispiel die Auslegung des Vaterunser: Zwar hatte Valdés,
schrieb Bataillon, die Lektüre der Precatio dominica des Erasmus empfohlen; er
verwendete sie jedoch nicht in seinem Katechismus: «le commentaire qu’il y
substitue a un autre accent.» 32
Es mu~te wohl einen anderen Akzent haben, denn es handelt sich hier in
Wirklichkeit um die Zusarnmenfassung und zum Teil wortliche Übersetzung
von Martin Luthers Auslegung deutsch des Vaterunsers ftir die einfiiltigen Laien
von 1519!

Vergleichen wir zuerst Bataillons Wiedergabe und den entsprechenden deut-
schen Text:

«Accomplisez votre volonté et non la
mienne. La mienne, je ne veux en aucune
maniere qu’elle s’accomplisse, car elle est
toujours contraire a la votre, laq uelle seule
est bonne, du meme que seul vous etes
bon: et la mienne est toujour mauvaise,
meme quand elle me semble fort bonne. «33

«Mach als, was du wilt, das nur dein wil

unnd yhe nith der unser gschee. Were, lie-
ber vater, und lasz uns nichts nach unserm

gut duncken, willen und meynung furne-
men und volbringen. Dan unser und dein

will sein widdernander, deyner allein guth,
ob er wol nit scheynet, unnszer bosze, ob
wo l er gleisseth.» 34
Und dann Valdés vollstlindigen Text mit dessen lateinischer Vorlage:

«… e assí le pesa quando le corrige e castiga: por esso pide a Dios le dé su gracia

para que de buena voluntad consienta que
se cumpla en él la voluntad de Dios: como
31. Diálogo, 93ff., 112ff.
32. Diálogo, 114, 151.
33. Diálogo, 151.

«Poenitet nos facti huius, quod salutarem

manum tuam neque intelligimus neque su-
stinemus. Confer gratiam o pater, et affer

opem, ut divinitatis tuae fieri in nobis per-

34. D. Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883ff. (im folgenden
zitiert WA), n, 128f.
266

si le dixesse: Padre eterno, puesto caso que mi sensible carne se sienta, no curéis sino
hazed lo que hazéys: dadme el castigo que quisierdes, cumplid vuestra voluntad e no
la mía, la qual en ninguna manera quiero que se cumpla, pues siempre es contraria a
la vuestra; la qual sola es buena, assi como solo vos sois bueno: y la mía es siempre
mala,aunquando me parece muybuena.»35 mittamus voluntatem. Et tu quidem etiam-
si nobis doleat, age quod agis: argue, punge, seca, ure. Effíce quod tu vis, ut tantummo-
do tua, nunquam nostra voluntas fíat. Re-
sisto o pater, et ne permitte nos sententiam, voluntatem, consilium et in tentationem
nostram praesumere atque complere. Tua enim ac nostra voluntas invicem sibi ad-
versantur. Tua sola est bona, etiam cum non apparet; nostra yero mala, quantumvis
eximie resplendeat.» 36

Genau den gleichen Text zitierte Bataillon 12 Jahre spiiter wieder in seinem
Erasme et l’Espagne, und dort lautete seine Deutung: «Quand il cornmente le
Pater – non pas en suivant Erasme, comme pour le Credo, mais en se flant a

l’inspiration divine – il donne au flat vol untas tua le sens d’une opposition ab-

solue entre la volonté de Dieu et la pauvre volonté individuelle.» 37

Wie wir jetzt wissen, hatte diese gottliche Inspiration des Valdés einen irdi-
schen Mittler gehabt, niimlich Martin Luther. Wie Recht hatte Bataillon, als er

anschlieBend an diesen Text schrieb: «Erasme n’a pas glossé ainsi le flat volun-
tas tua. » 38

Bataillon hat sich natürlich das Problem eines moglichen Einflusses von Lu-
ther auf Valdés gestellt und hat auch geschrieben, daB dieser EinfluB, sollte er

nachgewiesen werden, bereits vor der Abfassung des Diálogo de doctrina statt-
gefunden haben mul:lte: denn die Rechtfertigung durch den Glauben und das

intensive Bewul:ltsein der Sünde, deren Reich nur durch die Allmiichtigkeit der
Gnade begrenzt wird, bilden die Hauptthese von Valdés’ Katechismus. Dies hat
Bataillon hervorgehoben und hinzugefúgt: Hiitte Valdés Luthers Formulierung

«simul peccator et justus» gekannt, so hatte er sie glanzend (lumineuse) gefun-
den 39.

Aber Bataillon hat sich den Weg zur L6sung selbst versperrt, weil er das Pro-
blem von vorneherein ausgeklammert hat. «Mais avant de rechercher, dans le

Diálogo, ce qui annonce la plus intime pensée des oeuvres de maturité, il est
important d’écarter le probleme de l’influence luthérienne. Pressant en appa-
35. DiJílogo, f. lxxviiiro – vo.

36. M. Luther: Explanatio orationis dominicae, in: Tomus septimus omnium operum Re-
verendissimi Do mini Martini Lutheri, Wite(n)bergae 1557, 117vo.

37. Bataillon, Erasme et.I’Espagne, a.O., 380; (Erasmo y España, 351).
38. DiJílogo, 152.
39. Ebd., 127; Bataillon, Erasmo y Espafla, a.O., 351.

267

rence, il se pourrait que se fUt un faux probleme.»40 Die Tatsache, d~ Valdés
sich nie, auch nicht in seinen privaten Schriften, zu Luther bekannt hat, d~ er
Luther in der Lebre des servum arbitrium wiein vielen anderen Punkten nicht
gefolgt ist, d~ er weder Offentlich noch vor seinen Freunden mit Rom und der
offlZiellen Kirche gebrochen hat, lie~en Bataillon den langwierigen Vergleich
der Werke beider Reformatoren als überflüssig erscheinen. «Et voila pourquoi
il nous panlit oiseux d’étudier Valdés en fonction de Luther.» 41
1m Grunde spielte es rur Bataillon keine Rolle, auf welchem Weg der junge

Spanier zu seinem starken Bewu~tsein von der Sünde des Menschen und der all-
miichtigen Gnade Gottes gekommen war. So konnte er schreiben: «Peu nous

importe que cette évidence se soit imposée a lui en lisant saint Paul, en lisant
Luther, ou en écoutant les illuminés d’Escalona. Valdés dira plus tard que la
sainte Ecriture elle-m~me n’est que l’interprete dont il se sert pour lire en son
propre livre, lequel est son ame. Ce qu’il a lu dans son livre, volla ce qui nous
intéresse. Tout son commentaire des dix commandements, qui est peut-etre la
partie la plus personelle du Diálogo, pourrait porter en épigraphe la parole de
l’Epitre aux Romains: ,Je n’ai connu le péché que par la Loi’ .,,42
Der Kommentar zu den zehn Geboten ware demnach Valdés’ persanlichster

Beitrag in dem Diálogo? Das Gegenteil ist der Fall: gerade hier kommt die Pra-
senz Luthers am starksten zum Ausdruck. Valdés’ Kommentar wurde in seinem

wesentlichen Teil fast wartlich Luthers Decem Praecepta Wittenbergensi prae-
dicata populo von 1518 entnommen!

Nehmen wir nur den Anfang zum Vergleich:

«Primum quaeritur, cur non praecipit af-
firmative, sic ‘Habeto proprium vel unum

deum’, vel ‘adora me unicum deum’? Se-
cundo, Cur non imperative magis quam

indicative dicit ‘Non habeto deos alieno s’?
Ad utrumque simul respondeo, Quod
omne praeceptum dei magis positum est,
ut ostendat iam praeteritum et praesens

peccatum quam ut futurum prohibeat, Si-
quidem iuxta Apostolum: Per Legem nihil

nisi cognitio peccati, Et iterum: Conclusit

deus omnes sub peccatum, ut omnium mi-
sereatur. Ideo praeceptum dei veniens in-
venit peccatores et auget, ut amplius abun-

40. Düílogo, 116.
41. Ebd., 127f., 122.
42. Ebd., 128.
268

«… e pues nos avéys de declarar los man-
damientos, querría me dixéssedes primero,

por qué casi en todos los diez mandamien-
tos no manda dios lo que quiere que haga-
mos, sino lo que quiere que no hagamos.

Quiero decir, por qué no dize: adorarás a

un solo dios, sino: no adorarás dioses age-
nos, e semejantemente en los más de los

otros …

Avéys de saber que las leyes de los hom-
bres solamente se ponen porque no haga-
mos de nuevo lo que ellas nos viedan; pero

la ley de dios es muy de otra manera; por
la qual no solamente somos por delante

det peccatum, Ro: v. Leges vero hominum

propter futura peccata ponuntur. Ideo spi-
ritus, ut est benignissimus Magister, magis

loquitur indicative, q. d. ‘0 miser horno.
ecce tuam tibi ostendo pravitatem. Talls
esse deberes, qui nullos deos haberes, non

assumeres nomen dei tui frustra, Sabba-
tum sanctificares, Non occideres, Non con-
cupisceres etc.: Nunc autem totus es alius

et perversus.» 43

avisados de lo que devemos hazer e no ha-
zer, pero como dize sant Pablo, por ella

venimos en conoscimiento de los malos
pecados que avernos hecho contra dios; e
assí muestra nos cómo somos pecadores.

El qual conocimiento es principio de ver-
dadera justificación. Assí que, quando yo

oyo que es la voluntad de dios que no ado-
re dioses agenos, mejor vengo en conoci-
miento de lo que en esto he pecado que si

me dixesse: Adora a un solo dios. Porque
en dezírmelo de la manera primera, parece
me a mí que me dize la ley: O miserable
hombre. Ves, aquí te muestro tu maldad.

Devías ser tal que ni tuviesses dioses age-
nos, ni tomasses el nombre de tu dios en

vano, e que ni matasses, ni fornicasses, y
ves te aquí muy ageno de esta bondad e
perverso. ,. 44

In seiner Anmerkung zu obigen Worten des Paulus («por ella venimos en con,os-
cimiento … etc. «) schrieb Bataillon: «Cette conception paulinienne du sen s de

la Loy est, des 1529, le point de départ de la véritable vie religieuse selon Val·
dés. L’Al/abeto y reviendra avec plus de force. ,,45 Aber gerade die von Bataillon
angebrachte Stelle aus Valdés’ Alfabeto von 1534 erweist sich wiederum als
Ob.ersetzung von Luther!
….. havete Signora da sapere, che la legge
ci e molto necessaria, perche se non fusse
le legge, non vi sarebbe conscientia, e se

non fusse la conscientia, il peccato non sa-
rebbe conosciuto, et se’l peccato non fusse

conosciuto, noi non ci humilieremmo, e se

noi non ci humiliassimo, non acquisterem-
mo la gratia, e se non acquistassimo la gra-
tia, non saremmo giustificati, et non essen-
do giustificati, non salveremmo l’anime

nostre.» 46
43. Luther, WA l., 398 6-21.
44. Didlogo, xixro – vo.
45. Ebd., 233.

….. qui enim non agnoscit se praeceptum

hoc debere, quomode se agnoscet esse pec-
catorem? Qui autem non agnoscit se pec-
catorem, quomodo timebit deum et iudi-
cium eius? Qui autem non timet,quomodo

humiliabitur? Qui non humiliatur, quomo-
do gratiam consequetur? qui gratiam non

consequitur, quomodo iustificabitur? Qui
non iustificatur, quomodo salvus erit?»47

46. Juan de Valdés: Alfabeto christiano, ed. Luis Usoz i Rio, (Reformistas antiguos
españoles, tomo XV) London 1861, (italienischer Text) u vo _12ro ; (spanischer Text) 22;
Didlogo, 233.
47. Luther, WA 1.,429f.

269

Diese Stelle beweist, daJl, Valdés auch wiihrend der italienischen Periode seiner
literarischen Tiitigkeit auf «seinen» Luther zurückgriff. Aber die Untersuchung

dieser Periode müssen wir uns hier aus Gründen von Zeit und Raum leider ver-
bieten.

Was bleibt von Bataillons Deutung des Didlogo denn übrig, wird sich der Leser
fragen. Noch recht viel, mu~ die ehrliche Antwort lauten. Denn Valdés hat
nicht nur Luther abgeschrieben und glossiert, sondern er hat in seinem Didlogo

auch genug von sich selbst offenbart, um ihn hier als eines der «echtesten reli-
glosen Genies des Jahrhunderts» – dies sind Bataillons Worte – mindestens.in

nuce erkennen zu lassen. Und dies hat der vor vier J ahren verstorbene Meister
auch aus den echten valdesianischen Stellen des Didlogo zu zeigen vermocht
und noch vieles mehr. Ihm verdanken wir auch die Kenntnis über die geheirne

Nachwirkung von Valdés’ Katechismus, worauf wir noch zurückkornmen wer-
den.

Bataillons Interpretation des Didlogo de doctrina,die ohne wesentliche Ande-
rung im Erasme et l’Espagne übernornmen wurde, hat das Bild des Juan de

Valdés wiihrend dessen spanischer Periode ftir Jahrzehnte gepragt. Mit gering-
fligigen Varianten finden wir es, trotz der Verschiedenheit der Betonung, in den

Arbeiten von Montesinos, Cione, Longhurst, Bainton, Ricart, Bakhuizen van
den Brink und auch Fr. Domingo de Santa Teresa48. Letzterer versuchte zwar

zu beweisen, daJl, Valdés’ Religiositat ihren Ursprung in den katholischen Re-
formbestrebungen hatte und daJl, sie diesen Rahmen eigentlich nie sprengte.

Aber ohne die Deutung von Bataillon Mtte Fray Domingo es kaum gewagt,
Valdés in solchem Grade vonjeglicher Haresie freizusprechen 49.
Der einzige, der dieses Bild grundsatzlich verandert hat, ist der protestantische
Theologe und anerkannte Valdésspezialist José Constantino Nieto.
Nietos bedeutendste Entdeckung in seinem Juan de Valdes and the origins of
the spanish and ¡talian Reformation ist zweifellos die treffende Bestirnmung
der Rolle des Erasmus irn Didlogo de doctrina: Erasmus wurde hier als Tarnung
– «contrived devise» – und Maske benützt, um Gedankengange zu kaschieren,
die als haretisch bereits verurteilt worden waren. Nietos originellster Beitrag ist
das Zurückfúhren dieser Gedankengange auf die Lehre des «alumbrado» Pedro
Ruiz de Alcaraz, dessen Inquisitionsproze~ er wie kein zweiter kennt. Nietos
48. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 3lff.
49. Domingo de Sta. Teresa, Fr., O.C.D.: Juan de Valdés 1498(?)-1541. Su pensamiento
religioso y las corrientes espirituales de su tiempo, (Series Facultatis historiae ecclesiasticae,
V, !xxxv, Sectio B, n. 13), Roma 1957, 66ff. Von Luther stammen die auf S. 67 Anm. 14,
15,16,18, 19; auf S. 69 Anm. 28; auf S. 70 Anm. 30, 32, 36 … und noch viele weitere der
im Buch besprochenen Texte aus dem Diálogo.
270

grundsatzlicher Fehler liegt in der Beharrlichkeit, mit der er jeglichen EinfluB
von Luther oder anderen Reformatoren auf die Formulierungen des jungen

Valdés verneint hato Mehr noch, er hat die These aufgestellt, wonach in Spa-
nien, unabhángig von Luther und sogar vor Luther selbst, die Lehre von der

Rechtfertigung durch den Glauben und andere «majors themes of Protestant
theology» entworfen und formuliert wurden.

Diese überraschende These wurde zunachst nicht ganz ohne Widerspruch hin-
genommen, fand aber sofort die Unterstützung von Marcel Bataillon: In seiner

Besprechung der gedruckten englischen Fassung, die ihm ja gewidmet war,
schrieb Bataillon:
«Nieto s’étonne a plusieurs reprises de ,the paucity of Bataillon’s comments
about Alcaraz’ influence on Valdés’ et se demande si j’ai scruté la pensée du
dejado dans ses lettres aux Inquisiteurs: la réponse est non. Cette insuffisance
de mon information me rend plus sensible a une des originalités principales de
la reconstruction de Nieto: sa démonstration que la pensée religieuse de Valdés
est filie de celle d’Alcaraz, malgré de passagthes prudences de langage ou des

compromissions avec celle d’Erasme. J’avais abondamment montré que la pen-
sée de l’Alfabeto cristiano était déja préformée dans le Diálogo. C’est mainte-
nant le valdésianisme dans son entier développement que Nieto interprete

comme de fIliation alcarazienne. Les hardiesses du réformateur de Naples sont
sensiblement les memes qui, chez Alcaraz, rendaient un son ,luthérien’. S’il faut
choisir, sur ce dernier point, entre deux explications divergentes, celle de Mme
Sánchez Barbudo qui croit percevoir des échos de Luther lui-meme chez le
dejado espagnol50, et celle de Nieto pour qui le dejamiento, hérésie propagée
par Isabel de la Cruz et Alcaraz des 1511 environ, s’est affirmé avant les prises
de position théologiques de Luther, bien qu’il offre avec celles-ci d’analogies
surprenantes, je serais enclin a suivre plütot cette chronologie de Nieto et les
conséquences qu’il en tire, mais sans étre aussi persuadé que lui qu’Alcaraz et

Luther sont deux initiateurs de génie, et comme deux commencements abso-
lus de cette modalité moderne du christianisme qu’on apelle la ,reformation’.» 51

Und Bataillon ftigte hinzu: «N’ayant pas dépouillé le proces d’ Alc araz , je suis
tenté de faire confiance a Nieto quand il rapproche des formules alcaraziennes
certaines idées religieuses fondamentales de Valdés.» 52
50. Angela Selke: «Algunos datos nuevos sobre los primeros alumbrados. Edición del
Edicto de 1525 y su relación con el proceso de Alcaraz,» in: Bulletin Hispanique, LlV,
1952,125-152.

51. Bataillon’s Rezension von J. C. Nieto: «Juan de Valdés,» in: Bibliotheque d’Humanis-
me et Renaissance, XXXV, 1972, 375.

52. Ebd.

271

A~er aus Nietos Darstellung kennen auch wir den Prozefl von Alcaraz nicht
und werden deshalb auf das Problem seines Einflusses auf Valdés nicht nmer
eingehen. Wir wollen lediglich und moglichst kurz daraufhinweisen, dafl vieles
von dem, was Nieto als «alcarazianisch» bezeichnet hat, in Wirklichkeit direkt
von Luther starnmt.

Nehmen wir zuerst ein allgemeines Beispiel: «Nonetheless, the guiding prin-
cipIe of Alcaraz’ criticism, as well as reconstruction, is present in Valdés’ Diá-

logo de doctrina, in his approach to the Sacraments, the Lord ‘s Prayer, the Ten

Cornmandments, the Cornmandments of the Church, faith and works, the de-
votion of the Saints and Mary, and the radical theocentric interpretation of

Chnstianity grounded in God’s love and man’s incapacity to fulfill the com-
mandment of love.» 54 Wie wir bereits wissen und noch weiter sehen werden,

starnmen Valdés’ Kornmentare zum Vaterunser und zu den zehn Geboten (in

denen doch auch die übrigen Themata behandelt wurden), in ihren wesentli-
chen Zügen und sehr oft auch wortlich von Luther. So zum Beispiel in der oben

nur teilweise wiedergegebenen Stelle über das erste Gebot, die natürlich auch
von Nieto zitiert wird, denn «in the first Cornmandement seen in the light of
Paul ‘s interpretation Valdés fmds the source of his theology» 55.
Aber sehen wir uns noch einige konkrete Beispiele ano Nieto erklart uns nicht,

wie die theozentrische Religiositat eines Alcaraz bei Valdés zu einer christozen-
trischen wird. Er schreibt: «What Valdés seems to have done is to substitute

the Alcarazian concept of the ,love of God’ and the vital and dynamic relation-
ship to it in the life of the Christian or ,Perfect’, for the terms ,justification’,

,to be just’, or ,justified in Christ’. This change is in itself rather significant be-
cause it points to the love of God in Christ and to the vital relationship of the

Christian to Christ. In this Valdesian revision of Alc~az’ thought we have a
clear Christocentric reformulation of what, in Alcaraz’ ideas, was primarily

theocentric presentation.» 56 Ob diese «revision» von Inhalt und von Termino-
logie wohl aus heiterem Hirnmel geschah?

Die i\l).nlichkeiten – «striking similarities» – in den Formulierungen von Val-
dés und Luther sind auch Nieto nicht entgangen. Er hat sie sogar starker als

Bataillon hervorgehoben und Textvergleiche angestellt, die ihn eigentlich hatten
vorsichtiger machen sollen. Zum Beispiel die Vergleiche mit Texten aus dem
De servo arbitrio oder dem De liberta te christiana 57. Aber offenbar hat ihrn die
starre Überzeugung von Alcaraz’ und Valdés’ Originalitat den Weg zur Ent-
54. Nieto, Juan de Va/dés, a.O., 95.
55. Ebd., 132.
56. Ebd., 323.
57. Ebd., 329f., 217 Anm. 73.
272

deckung Luthers in dem DiJílogo vollstandig versperrto So konnte er zusarnmen-
fassen: «Reformation sources had to be used to explain Valdés’ thought when

historians did not know of his stay at Escalona and his contact with Alcaraz’
thoughto Alcaraz’ Paulinism and Valdés’ own study of Paul, are now sufficient

explanation to account for Vakiés’ similarity to the ideas of the Reforma-
tion o» 58

Diese Schlu~folgerung wird im Laufe des Buches zu einem wahren Ritornello:
«000 at no moment of his life was Valdés in direct contact with Reformation
sources»; ,,he ignored the Protestant Reformation as a religious movement of

this time and tried to formulate his theological thought in the light of his per-
sonal knowledge and experience», «Valdés independently from Luther, ex-
perienced and formulated the doctrine of justification 000 without the psycho-
patic and abnormal elements of Luther’s experienceo» 59

Nieto hat der Sekundarliteratur über Luther zu sehr vertraut und sich nicht
dahingehend abgesichert, indem er die katechetischen Schriften des frühen

Luther mindestens durchgeblattert Mtte: aber er hat deren Existenz nicht ein-
mal zur Kenntnis genornmeno Hatte er die vox Katechismen, anstatt im Dic-
tionnaire de Théologie Catholique, in der Realencyklopiidie ftir pro testan tische

Theologie und Kirche 3 (lO, 130ffo) nachgeschlagen, so ware er nicht dem Irr-
tum verfallen, es gebe keine katechetischen Schriften Luthers vor dem Deudsch

Catechismus vom April1529 600
Ich mu~ indessen bekennen, d~ mich erst die Beharrlichkeit, mit der Nieto
jeglichen Einflu~ der Reformatoren auf Valdés bestreitet, recht eigentlich auf

den Gedanken gebracht hat, in dem DiJílogo de doctrina nach Texten von Lu-
ther zu sucheno Aber kornmen wir endlich zu diesen Texteno

IIIo

In der folgenden Tabelle von Valdés’ Entlehnungen bei Luther haben wir ledig-
lich Texte verzeichnet, wo eine wortliche oder fast wortliche Übersetzung vor-
liegto Der DiJílogo wird nach der Faksimile Ausgabe von Bataillon, jedoch mit

zusatzlicher Zeilenzahl zitierto Luthers Texte werden nach der kritischen Wei-
marer Gesamtausgabe angegebeno 1st in die ser nur der deutsche Text abgedruckt

worden, so verweise ich noch auf die Wittenberger Ausgabe der lateinischen
Opera omniao Kurze versprengte Entlehnungen von einigen Worten wurden
nicht berücksichtigto
580 Ebdo, 174f.
590 Ebdo, 201, 334, 3360
600 Ebdo, lISo

273

Diálogo de doctrina Decem praecepta
(Coimbra 1925) (WA, 1,398-521)
1. Gebot f.xix 16-22 S.398 6-9 . , X1X 1-3 398 16-17
3-9 398 10-14
18-23 398 18-21
xx 11-26 399 11-18 , xx 1-3 399 18-19
7-22 399 21-27
25-26 399 29
xxi 1-7 399 30-32
10-16 399 33-35
16-18 400 1-2
18-26 400 8-12 ., XXl 6-13 400 13-15
14-18 400 16-17
20-24 400 25-27
xxii 7-8 400 27-28
10-26 400 28-34 .. , XXll 1-6 400 35-37
2. Gebot xxili 10-26 430 6-13,22-23 … , XXlll 1-2 430 23
3-8 431 1-5
14-18 431 9-10
21-23 431 17-19 . , XXlV 18-26 435 11-13,22-23
xxv 1-7 435 19-21
3. Gebot 21-26 436 18-19 , xxv 1-3 436 19-20
7-9 436 22
15-18 436 23-24
4. Gebot .. , XXV11 20-26 447 26-29,37-38
xxviii 1-26 449 1-5;450 3;451 2-6;
453 25,33-35;458 26-27 … , XXV111 3-7 459 26-27,31
8-13 460 1-4
19-23 460 14-16
xxix 7-14 460 24-26

274

5. Gebot . , XX1X 7-26 461 4-10,17-19;462 28-29

xxx 1-8 462 30-32
6. Gebot ., XXX1 22-26 482 22-27
xxxü 1-6 482 28-29,31
7. Gebot .. , XXX11 8-16 499 23-26; 500 3-5
19-20 503 15-16
24-26 503 1-3

8. Gebot … , XXX111 25-26

xxxiv 1-2 506 15-16
xxiv 6-9 506 18-19
11-13 509 19-20
9. Gebot . , XXX1V 7-9 515 5
13-14 515 14
17-20 515 15-16
10. Gebot xxxv 7-9 515 5-6
Zusarnmen- xxxv 19-20 470 27-28
fassung der 23-26 470 32-34
10 Gebote , xxxv 4-5 470 35
9-11 471 13
12-15 470 6-8
16-19 470 22-23
20-22 470 26-27
23-26 471 19-21
xxxvi 6-18 471 22-28 ., XXXVI 3-5 468 3-4
12-14 468 2-3
xxxvii . 19-21 468 5-6
Die 7 Haupt- xliii 12-16 517 5-8
sünden xliü’ 1-26 517 18-27
xliv 1-3 517 27-29
xliv’ 15-26 518 20-25
xlv 4-6 518 36-37
12-16 518 27
17-18 518 28
xlv’ 1-4 519 30-32
xlvi’ 15-26 519 34-36
xlvii 1-4 ‘ 520 14-17
24-26 521 11-12
xlvii’ 1-2 521 12-13

275

10-16 521 16-18
16-23 521 19-22

Auslegung Auslegung deutsch des Vaterunsers
des Vater- Explanatio dominicae orationis
unsers (WA, n, 80-130; Opera Lat. 7,99-

118)

lxxv , 14-17 81 1-3 (f. 99)
20-24 81 10-15 (f. 99)
Ixxvi 2-6 81 18-19 (f. 99)
!xxvi’ 20-21 128 4-6 (f. 117)
lxxvü 6-12 128 14-17 (f. 117′)
lxxvü’ 4-5 128 23-24 (f. 117′)
15-18 128 24-26 (f. 117′)
lxxviii 8-10 128 26-28 (f. 117′)
18-26 128 33-37 (f. 117′)
lxxvüi’ 1-5 128 37-38; 129 1-2 (f. 117′)
lxxix 14-26 129 14-19 (f. 117′)
Ixxix’ 6-8 129 21-22 (f. 117′)
Ixxx 6-8 129 31-32 (f. 118)
!xxxii’ 16-22 130 10-13 (f. 118)
23-26 130 14-16 (f. 118)
!xxxiii 1-3 130 16-18 (f. 118)

Ein paralleler Abdruck aller die ser Stellen würde den Rahmen dieses Aufsatzes

sprengen, weshalb wir uns auf die Wiedergabe von nur zwei Proben beschrlin-
ken. In der Auswahl haben wir uns um theologisch interessante Texte bemiiht,

in denen zugleich Valdés seine übersetzungs- oder Bearbeitungskunst am klar-
sten zeigt.

«Non quod damnati sint omnes qui tam
perfecti non sunt, sed quod ista meta et fí-

nis est nobis propositus, a cuius assecu-
tione nemo excusatur, nisi is qui cum ge-
mitu agnoscit et confitetur, sese non esse

talem, et quotidie laborat, ut fíat talis, Et
quod minus facit, humiliter petit ignosci,

dicens: dimitte nobis debita nostra, Et il-
lud: Cor mundum crea in me, deus. Hiis

inquam timoratis et confitentibus, queren-
276

«Antronio: De manera que, según vuestra

sentencia, todos los que no tienen essa per-
fíción se van al infierno? Arzobispo: No

digo yo tal; pero digo que éste es el puesto
o término adonde todos avemos de tener
ojo para alcan~arle; y digo más, que de los
que no le alcan~, solamente aquellos son
perdonados que con dolor de su anima

conoscen y confiessan que no son tales co-
mo conviene, y también los que cada día

tibus, petentibus non imputatur ista ido la-
triae suae mixtura propter Christum in

quem credunt, Illis vero qui sine timore,
sine sollicitudine proficiendi in securitate
stertunt, omnino imputatur et sunt vere
idolatrae, Nec excusabuntur, quod non sit
necesse esse perfectum, quasi praeceptum

illud lapidibus aut lignis, ac non potius ho-
minibus si! positum … » 61

«Ah pater, vera profecto sunt ista. Nemo
viribus suis fortis esto Et quis poterit coram
manu tua subsistere, si non tu ipse nos
confortaveris et consolatione recreaveris.
Quapropter, amantissime pater, assume

nos ac comple voluntatem tuam, ut ad glo-
riam et laudem tuam regnum efficiamur

tuum. Robur in hoc negocio da nobis, o
chare pater, et per sanctitatem verbi tui
panem nostrum quotidianum communica

nobiscum_ Imprime cordibus nostris ima-
ginem dilecti filü tui lesu Christi, veri coe-
lestisque panis, ut per eum confortati, ala-
criter voluntatis nostrae detruncationem

ac mortificationem, tuique beneplaciti pro-
secutionem ferre ac sustinere valeamus.

Quin et gratiam toti Christianitati confer,

mitte ad nos doctrina praestantes sacerdo-
tes et concionatores, qui nobis, non quis-
quillas, paleasque et anillum fabularum de-
liramenta, sed sanctam Evangelli tui doc-
trinam, ac lesum Christum in docendo

proponant.» 63

trabajan por ser tales y por alcan~ar esta
perfici6n, y que mientras no la alcan~an
dizen aquello del Pater Noster: Dimitte

no bis debita nostra, sicut et nos dimitti-
mus debitoribus nostris. Y aquello de Da-
vid: Cor mundum crea in me, deus, et spi-
ritum rectum innova in visceribus meis.

Pues a estos digo que se les perdonan sus
faltas, mediante Jesucristo nuestro señor, en
el qual creen; pero aquellos que sin temor y
sin cuydado de aprovechar en este camino
duermen a pierna tendida, verdaderamente
no guardan este mandamiento, y yo os
prometo que no se escusarán con dezir que
no es sino para los perfectos, como vos
dixistes, pues está claro que no se dio para
las piedras sino para los hombres. «62
«Arzobispo: … Pues tornando a nuestro
propósito: porque tener los hombres esta

entera e fume conformidad con la volun-
tad de dios, es cosa que sobrepuja las fuer-

~ humanas, aconsejonos nuestro dios,
que la quarta peticion dixéssemos de esta
manera: Nuestro pan el de cada día danos

lo oy. Quando estas palabras dize el chri-
stiano, mire bien que lo que aquí pide es

gracia para poder cumplir la voluntad de
dios, que es pan espiritual, que substenta
y da vida a nuestras ánimas. Este pan es la
gracia del spÍIitu santo, sin la qual ni un

solo momento pueden ser agradables nue-
stras ánimas delante de dios, de que el áni-
ma maravillosamente se mantiene. Y quan-
do, mediante este pan tuvieren nuestras

ánimas impressa en sí la ymagen de jesu
christo, el qual es el verdadero y celestial
pan, podrán enteramente e con mucha

alegría romper e quebrar en todo sus vo-
luntades e sentirán assimismo por dulce

e sabrosa qualquier persecución que dios
les embiare. Deve, en fm, el christiano pe-

61. Luther, Decem praecepta, WA 1,400 27 -37.
62. Didlogo, f. xxiiro – vo.
63. Luther, Explanatio orat. dominicae, Tomus septimus Operum, a.O., f. 117vo.
277

dir a dios en esta petición que nos embíe
verdaderos e santos dotores que repartan
al pueblo christiano el pan de la dotrina
evangélica, limpio e claro, y no depravado

ni suzio, con opiniones e affettos huma-
nos, de lo qual ya veys quan grandíssima es

la necessidad que ay.»64

Au~er dem Decem praecepta und der Exp/anatio dominicae orationis scheint
Valdés auch Luthers De votis monasticis iudicium von 1521 (WA VIII, 573-

669) ausgewertet zu haben. Dieser Eindruck verstarkt sich, wenn wir das Kapi-
tel De fundamentis devotariorum (WA VIII, 580-583) mit Valdés’ Interpreta-
tion des 5., 6., und 7. Kapitels des Matthausevangeliums (ff. xli’ -xlii’) verglei-
chen. Beide Reformatoren verwerfen die traditionelle Unterscheidung zwischen

«praecepta dei» und «consilia evangelica» mit der gleichen Energie und aus den
gleichen Gründen: Die Forderungen der Bergpredigt seien nichts anderes als die

Fortsetzung der 10 Gebote und genau wie diese ftir jeden Christen verpflich-
tend. Luther nennt sie «dec1arationes illae mandatorum dei et exhortationes ad

eadem servanda, Math. V. VI. et VII. a Christo factae» (580, 28-29). Für Val-
dés wurde Gottes Wille «parte en los diez mandamientos y parte en estos ca-
pítulos de sant Matheo que digo» den Menschen kundgetan (f. xli’ 25-26). Die

Ausrede, es handle sich hier um fromme Ratschlage, wird weder von Luther
noch von Valdés akzeptiert:
«Non est praeceptum, sed consilium? …
hac sacrilega et blasphema conscientia
vovere omnes, qui consilia esse sentiunt
praecepta dei, quis non inteUiget? (WA
VIII,581.)

«Antronio: Vos señor no veys que essas
cosas no son sino de consejo? Arzobispo:

Esso mal pecado dizen los que quieren te-
ner puerta abierta para ser ruines … » (Did·

logo, f. xlii’.)

D~ Valdés diese drei Kapitel des Matthaeus am Ende seines Katechismus ab-
druckte, war nun die logische Folgerung seiner Auffassung der Bergpredigt.

Allerdings hatte er auch hier einen berühmten Vorgiinger, niimlich Melanchthon:
Dieser hatte in seinem Enchiridion elementorum puerilium von 1524, gleich
nach den zehn Geboten, die drei Matthaeuskapitel gedruckt und war, genau wie
Valdés, dem Text des Erasmus gefolgt6s. Leider wissen wir nicht, ob Valdés
dieses Buch je zu Gesicht bekommen hato
Ober ein anderes Buch hingegen, Okolampads Kommentar zu Isaias, sind wir
64′. Didlogo, f. lxxviiivo-lxxixvo.
65. Ferdinand Cohrs: «Die Evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion,»
in: Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. XX, Berlin 1900,34-45.
278

aus dem Prozefl, des Juan de Vergara besser unterrichtet: Laut Aussage des Ber-
nardino Tovar gelangte ein Exemplar von «Colampadio sobre ysaya» in eine

Sendung von Büchem aus Flandern, und da sein Bruder Vergara abwesend war,
hatte es Tovar in dessen Bibliothek zu Alcalá deponiert. Er habe es gelesen, so

Tovar weiter, und gelesen Mtten es auch samtliche Doktoren in Alcalá – «to-
dos quantos doctores estavan en Alcalá avían leydo en el dicho libro Colam-
padio» -, denn sie Mtten ein weiteres Exemplar bei einem Buchhandler ent-
deckt und nach allfálligen Irrtümern un tersuch t 66. Unter den Lesern von Vergaras

Exemplar befand sich natürlich sein Freund Juan de Valdés, und jetzt begreifen
wir die Heftigkeit, mit der ihm die beiden Brüder vorwarfen, sich an Materien,
von denen er nichts verstünde, herangewagt zu haben (Vergara) bzw. das Buch

überstürzt und ohne Korrekturen gedrucktzu haben (Tovar)67. Mit Recht be-
fúrchteten die beiden, dafl. man die ihnen wohI bekannten Quellen des Dúílogo

am Ende doch entdecken würde. Denn Valdés hatte hier die sieben Gaben des
hI. Geistes nach Okolampad glossiert.
Der aufl,erst konzentrierte Kornmentar des Basler Reformators wurde zwar
sinngetreu übernornmen, aber Valdés, der nicht in erster Linie fúe Theologen

schrieb, versall es mft ausfúhrlichen Erklarungen. So nehmen Okolampadsknap-
pe Defmitionen von den Gaben der Weisheit und des Verstandes («Sapientia est

doctori opus ad manifeste, sane et ad aedificationem docendum», «Intellectu
vero auditori ad capienda audita et intellecta») in Valdés’ Text beinahe je eine
halbe Seite in Anspruch (f. lvi’ 1-12; lvii 1-6). Diejenigen des Starkmuts und
der Wissenschaft hingegen wurden eher wortlich übersetzt:

«Spiritus autem fortitudinis (datur) con-
silium accipienti ut perficiat quod con-
sulitur.»

«Spiritus scientiae datur sacerdoti docenti
legem Domini.»

» … fortaleza da dios al que es aconsejado,
para que con ánimo fuerte y perseverante
ponga en effecto el consejo que recibe (Ivii
23-25).
«Sciencia da dios a aquellos que elige por
predicadores y pregoneros de la doctrina
sagrada» (Iviii 17 -19).

Aber auch hier schalten sich die Gesprachspartner des Dúílogo mit ihren Bemer-
kungen ein, welche die Materie weiter erklaren sollen.

AIs Entlehnungen von grofl,erer theologischer Relevanz mochten wir noch
zwei weitere Stellen anbringen:

«Igitur et hoc loco Timor species est sua-
vissimae Religionis, summarn in se com-

66. «Proceso de Vergara,» f. ISro- vo.

«Assí que este santo temor parte de dul-
císsirna religion y es muy excelente: por-

67. Didlogo, 115; Bataillon, Erasmo y Egpafla, a.O., 361.

279

plectens iustitiam, fructusque aliorum est
donorum.»

«Scientia igitur … commendatur non mun-
dana illa inflactionis parens, sed scientia

domini.»68

que por él se conservan los otros dones»
(lix [falsch Ixi] 21-23).
«Mirad que debaxo de este nombre de

sciencia, no entendáys ésta, que con in-
dustria humana se adquiere, la qual hincha

y ensobervece» (lviii’ 13-16).
Diese letzte Stelle hat Nieto in seinem Buch zweimal wiedergegeben und dazu

bemerkt: «This is ofthe greatest importance for our understanding ofhis (Val-
dés) religious experience and knowledge.» 69

Diesem Begriff von «Experience» im Zusamrnenhang mit der Erkenntnis von
religiosen Wahrheiten hat Nieto ein ganzes Kapitel seines Buches gewidmet,
denn in ihm wurzelt Valdés’ Religiositat auch in seinen spateren Werken. Dies
haben frühere Forscher ebenfalls gesehen, aber keiner hat es so gründlich und

ausfúhrlich dargestellt wie Nieto. Hier stellt sich nun die Frage, ob Valdés die-
sen Begriff nicht erst von Luther übernommen hato Denn auch der deutsche

Reformator hatte über die Erkenntnis Christi durch «experientia saporis intimi»

geschrieben, über das «experimentum hilarescentis fiduciae», über den «expe-
rientiae sensu» und ebenfalls darilber, d~ des Geistes Gesetz im Menschen

nichts anderes sei als «ipsa viva voluntas vitaque experimentalis» 70.
Ober die mogliche Verwendung anderer reformatorischer Schriften konnen
wir uns jetzt nicht weiter au~ern. D~ Valdés solche noch vor 1529 gelesen hat,
kann man nicht mehr ohne weiteres verneinen. Allein, er konnte ja nicht alles

in einen Katechismus flir Laien zusammenpressen und mu~te vor allem auf all-
zu bekannte Formulierungen verzichten, welche die Professoren von Alcalá

oder gar die Inquisitoren unweigerlich auf die Spur zu seinen Quellen gefiihrt
hiitten. Wir kennen auch nicht die Streichungen, die Hernán Vázquez vor der
Drucklegung im Manuskript vorgenommen hato
IV.

Der Diálogo de doctrina cristiana stellt also den Versuch dar, die Grundgedan-
ken der Reformation in der in Spanien einzig moglichen Form zu propagieren.

Die Tatsache, d~ es sich dabei um bew~te lutherische Propaganda handelte,
darf man gew~ nicht so leichtsinnig übergehen, wie dies etwa Imbart de la Tour
68. 6kolampad: Commentarii omnes in libros Prophetarum, (Geneve) 1558, 103. Für die
lilteren Ausgaben vgl. Ernst Staehelin: Oko/ampad-Bibliographie, Nieuwkoop 19632 , Nr.
109, 110,201.
69. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 120,261 Anm. 14.
70. Luther, Tom. septimus operum, a.O., f. 111, 113; WA 11, 577 31-33,499 20-22.
280

im Falle des franzosischen Obersetzers von Erasmus und Luther, Louis Berquin
vor sechzig Jabren tat: ,,En fait, ce que Berquin semble d’abord avoir cherché
dans Luther, c’est l’expression la plus complete de cette religion interieure ou il
voyait l’épanouisement de son ame.»71 Um «seine Seele zu entfalten», hatte

sich Berquin gewi6 mit der privaten Lektüre von Luthers Werken begnügt; statt-
dessen veroffentlichte er die Obersetzungen, die ihm sch1ieBlich den Tod auf

dem Scheiterhaufen brachten 72. Und auch Valdés ware allein aus solchem
Grund dieses Risiko kaum eingegangen, indem er Luthers Texte buchstablich

in seinen Diálogo übernahm. A1lerdings erinnert die List des Spaniers, den Eras-
mus als Tarnung flir diese Propaganda zu benützen, nicht so sehr an Berquin wie

an diejenigen, die seit 1526 in Italien katechetische Schriften Luthers unter

dem Namen des Erasmus zirkulieren lieBen: La declaratione delU dieci com-
mandamenti: del Oedo: del Pater noster: con una breve annotatione del vwere

christiano per Erasmo Rotherodamo utile e necessaria a ciascuno fidele christia-
no 73. Und sch1ieBlich sol1 man nicht vergessen, daB der Barbatius im Co11oqui-
um Inquisitio de fide niemand anderen als Luther selbst darste11t 73a. Erasmus

hatte den Reformator die Auslegung des Glaubensymbols beinah mit dessen
eigenen Worten vortragen lassen, so daB Valdés’ Adaptation dieses Kapitels im
Diálogo de doctrina ebenfalls auf Luther zurückgeflihrt werden kann.

Was aber von Valdés vorgetragen wurde, war nicht allein Luthers Lehre: Be-
reits im Diálogo sind die ersten Ansii.tze einer spiritualistischen Radikalitat zu

erkennen, die über Luther hinaus die traditione11e Dogmatik und jegliche Kir-
chenordnung auf einen zweiten Platz relegierté: Das Leben eines christlichen

Menschen beginne mit dem Glauben, der Liebe und der Nachfolge Christi, und
damit ende es auch. «Que el christiano después de ayer recebido el agua del
baptismo se funda principalmente en fe y charidad y luego en aprovechar a
todos y no dañar a alguno y en fin en bivir a exemplo de ieso christo nuestro
señor pura y sinceramente.» 74 Alles andere, die Zeremonien und Statuten der
71. P. Imbart de la Tour: Les origines de la Réforme. 1/1, L’évangélisme (1521-1538),
Paris 1914, 199.
72. Nathanael Weül.: .. La littérature de la Réforme franf,/llise. Notes sur les traités de
Luther traduits en franlilÚs et imprimés en France entre 1525 et 1534, IV,» in: Bulletin
de l’HiBtoire du Protestantisme Frtz~ais 37, 1888,500ff.

73. Silvana Seidel Menchi: .. Le traduzioni italiane di Lutero nella prima meta del Cinque-
cento,» in: Rinascimento, seco serie XVII, 1977, 61ff. Das Buch erschien zuerst 1525 ano-
nym mit dem Titel Libretto volgare con la dechiaratkme … U.s.w.; die Nachdrucke unter

dem Namen des Erasmus erfolgten 1526, 1540 und 1543, vgl. ebd. 62.
73a. Lucien Febvre: Le probleme de l’jncroyance au 16e siecle. La religion de Rabela{B,
Paris 1968, 224.
74. Didlogo, f. vro.

281

Kirche, sind nebensiichlich: «Mirad padre, lo que yo dixe que el christiano deve
tener, es lo principal: Estotro es accessorio.»7S Aus diesem Grund, und nicht,
weil er flir Laien zu schreiben vorgab, unterschlug Valdés in der Bearbeitung
der Inquisitio de [ide viele theologische Erkliirungen des Erasmus, verzichtete
er vollstiindig auf die Kasuistik der SÜDden, die den grofl,en Teil von Luthers
Decem Praecepta ausflillt, überging er geschickt die systematische Darstellung
der Sakramente, indem er die Beichte und das Abendmahl nur kurz und ohne

jede theologische Stellungnahme unter den fünf kirchlichen Geboten behan-
delte, und nannte schliefl,lich die Zeremonien einen blofl,en Zeitvertreib, den

Gott den Juden verordnet hatte, um sie zu beschiiftigen und vor schlimmerem

zu bewahren 76. All dies betrachtete Valdés als iiufl,erliche Dinge, die nicht abzu-
lehnen, sondern einfach als unwichtig zu betrachten seien: «pluviese a Dios que

aprendiéssemos todos los que nos llamamos christianos: a no hazer tanto hin-
capié en estas cosas corporales y exteriores: e a poner todo el fundamento de

nuestra christiandad en las espirituales e interiores.» 77
1m Diálogo war dieser Unterschied zwischen Innerlichem und Aufl,erlichem,

den Cantimori aus dem spiiteren Werk des Valdés meisterhaft formulierte, be-
reits ausgedruckt: «L’interiore era la vita spirituale, la devozione, la medita-
zione mistica, la convinzione che solo la fede giustiflca. L’esteriore, tutto cio che

diceva la tradizione: i dogmi, le cerimonie, cioe il sistema dei sacramenti, la
messa, le buone opere, le osservanze: tutto quello, o gran parte di quello che

luterani e zwingliani (e poco piu tarde i calvinisti) combattevano come super-
stizione papale, romana. Per il Valdés non c’era da combattere apertamente

contro queste esteriorita: non c’era da combattere perché per lui esse non ave-
vano nessuna importanza. » 78

Cantirnori erkliirt den aufl,erordentlichen Erfolg der valdesianischen Lehre in

Italien durch den unbestimmten Charakter, welcher dort die kirchliche Reform-
bewegung jahrzehntelang auszeichnete: «Questo carattere vago e incerto, pieno

di impeti sentirnentali e di passione, questa inquietudine, questa confusione,
insomma, mentale e sentimentale, spiegano a loro volta la fortuna che ebbe in
Italia il movimento detto valdesiano, cosi chiamato da Juan de Valdés, il quale

seppe inserire il suo rifluto della tradizione dogmatica cattolica e la sua propa-
ganda per le dottrine luterane in quel movimento di ritorno alla prattica e alla

75. Ebd., f. vro-vo.
76. Ebd., f. xcro ; Nieto hat mit Recht auf die Kritik dieses Standpunktes durch Calvin
hingewiesen, vgl. Juan de Valdés, a.O., 124 Anm. 163.
77 . Diálogo, f. xiiivo .

78. Delio Cantimori: «ll circol0 di Juan de Valdés» (1961), in: Ders.: Umanesimo e reli-
gione nel Rinascimento (piccola Biblioteca Einaudi 247), Torino 1975, 199.

282

fede dell’eta evangelica e di quena apostolica, che viene chiamoto evangelismo
e che non ha nuna di eterodosso. E la sua azione fu cosi sottile da ingannare
non solo molti dei contemporanei, almeno per un certo tempo, ma anche molti
studiosi di questi argomenti, fmo ai giomi nostri.» 79

Als Cantimori 1961 diese Zeilen über die lutherische Propaganda durch Val-
dés und die Valdesianer schrieb, stand er stark unter dem Eindruck der Ent-
deckung von Tornmaso Bozza, wonach das berühmte Buch Del beneficio di

Cristo, das als Inbegriff der valdesianischen Religiositat gegolten hatte, nichts
anderes als ein Flickwerk aus der Institutio religionis christianae des Calvin zu
sein schien 80. Die spatere Forschung und im besonderen der Herausgeber der

prachtigen Ausgabe des Beneficio im CorpusReformatorumltalicorum, Salva-
tore Caponetto, haben Bozzas anfángliche Oberbewertung der dort vorhande-
nen Kriptozitate aus Calvin auf ihre wirkliche Dimension zurückgesehraubt:

«La dottrina valdesiana costituisce il nocciolo e il substrato den’opera»; «E che

Valdés resti la fonte primaria del Beneficio lo conferma il fatto che rnolti con-
cetti, comuni ai riformatori e allo Spagnolo, sono riproposti per il tramite val-
desiano. » 81

Aber Caponetto neigte zu stark auf die ande re Seite, als er schrieb: «Farne
(del Beneficio) un’opera di pura propaganda protestante di un abile ritagliatore

di testi dei riformatori e una spiegazione semplicistica e lontana dal vera: Ri-
marrebbe da chiarire il fine di questa propaganda, se persone del ceto ecclesia-

79. Ebd., 197.
80. T. Bozza: II Beneficio di Cristo e la Istituzione della religione cristiana di Calvino,
Roma 1961; Ders.: Introduzione al Beneficio di Cristo, Roma 1963; Ders.: Calvino in

Italia, Roma 1966; Ders.: La Riforma cattolica. II Beneficio di Cristo, Roma 1972. Nach-
dem diese Seiten redigiert waren, habe ich, dank der Freundlichkeit von Manfred E. Welti,

das neue Buch von Bozza: Nuovi studi sulla Riforma in Italia, 1, II Beneficio di Cristo,

Roma 1976, einsehen konnen. Hier bleibt Bozza immer noch bei seinem Standpunkt, wo-
nach das Beneficio di Cristo nichts als die reine Lehre Calvins wiedergibt («Ed e proprio,

oltre lo schema, la dottrina del trattatello che e identica alla dottrina della summa del Ri-
formatore di Ginevra», p. 409f … Nulla nel Beneficio che possa ricordare la dottrina della

Chiesa cattolica … Nulla neppure che ricordi lo stesso Valdés, perché altro e ü processo
della fede nell’eretico spagnolo.», p. 391). Bozza ist allerdings überzeugt, da1\ Valdés die
Bücher und Lehre der Reformatoren sehr genau kannte (ebd. pp. 264, 272, 274), aber am
Ende hat auch er den Rat cantimoris nicht befolgt, die Schriften des Spaniers nach dem
moglichen EinfluL\ von Luther und Calvin sorgfáltig zu untersuchen, vgl. D. Cantimori:
Conversando di storia, Bari 1967,69.

81. Benedetto da Mantova: R Beneficio di Cristo con le versioni delsecolo XVI, docu-
menti e testimonianze, a cura di Salvatore caponetto, (Corpus Reformatorum Italicorum)

Firenze-Chicago 1972, 474-478; A. Rotonda: .. Atteggiamenti della vita morale italiana
del Cinquecento. La prattica nicodemitica,» in: Rivista Storica Italiana, 79, 1967, 1015f.
283

stico fomite di una buona cultura teologica la lessero con grande fervore senza

pensare’ a Lutero e a Calvino e se, ancora di recente, un conoscitore delle con-
troversie teologiche del Cinquecento come Hubert Jedin poteva non trovarvi

esplicite eresie.» 82 Auch Domingo d~ Santa Teresa hat keine Hiiresie in den
Werken des Juan de Valdés wahrgenommen, was aber nur he~t, dd sich die
Kriterien zur «Ketzermachung» seit Ambrogio Catarino sehr stark gewandelt

haben. Und was den Zweck der Schrift betrifft, so ftigt der modeme Heraus-
geber des Beneficio hinzu: «In realta, Benedetto Fontanini e il suo collabora-
tore Marco Antonio Flaminio non intessero diffondere il Juteranesimo’ o il

,calvinismo’, e neppure il valdesianismo nella sua forma piu originale ed estre-
ma, ma annunciare la ,santa dottrina’ della giustificazione riservata da Dio agli

eletti e predestinati, i cui nomi sono scritti nellibro della vita.» 83
Als ob die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben nicht erst durch
Luther wieder erschIossen und propagiert worden wiire und als ob sie nicht den
geschichtlichen Ausgangspunkt der ganzen Reformation ausmachen würde. Und
wenn dies damals nicht allen klar genug sein sollte, wiederholte es Luther selbst
mit kriiftigen Worten in den Schmalkaldischen Artikeln von 1537, indem er als
ersten und Hauptartikel den bezeichnete, «dd wir ohne unser Verdienst uro
des Erlosungswerkes Christi willen durch den Glauben gerecht werden. ,Von
diesem Artickel kan man nichts weichen, Es falle Himel und Erden.’ – ,Und
auff diesem Artickel stehet Alles, das wir wider den Bapst, Teuffel und Wellt
leren und leben’.» 84
Viel realistischer als Contarini und Melanchthon, die 1541 in Regensburg eine

provisorische Einigung ausgerechnet über diesen Punkt der Rechtfertigung zu-
standebrachten, urteilten Wittenberg und Rom. Luther nannte die Einigungs-
formel eine «weitleufftige geflickte Notel … , darin sie [die Katholiken] recht

und wir auch recht haben», und in Rom fand sie au&r bei Reginald Pole über-
haupt keine Zustimmung8S. In Italien wuBte praktischjeder theologisch Gebil-
dete, von Caterino Politi bis Carnesecchi, uro den Ursprung und die Tragweite

der Rechtfertigungslehre, und wenn jemand den Beneficio di Cristo tatsiichlich
«senza pensare a Lutero e a Calvino» gelesen hat, beweist dies nur den hohen
82. B. da Mantova, n Beneficio, a.O., 479.
83.Ebd.
84. Luthers Werke, WA 50, 198f.
85. Gasparo Contarini: Gegenreformatorische Schriften (1530-1542), hg. v. Friedrich
Hünermann, in: Corpus Oztholicorum 7, Münster i.W. 1923, XX; Eine zweite vorlaufige

Einigung bedeutete das Augsburger Interim von 1548, das aber praktisch nirgends Gültig-
keit erlangte. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 besiegelte die endgültige Tren-
nung der Konfessionen.

284

Grad an Wirksamkeit, welche die protestantische Propaganda durch die Valde-
sianer unterschwellig erreicht hatte. DaS es trotzdem vielen gelang, die luthe-
rische Rechtfertigungslehre in gutem Glauben von ihren verheerenden Folgen

fÚ! das katholische Kirchensystem zu trennen, war deshalb moglich, weil man
diese Folgen um der Wiedervereinigung willen und in der Hoffnung auf eine
tiefgreifende Reform der Kirche zuniichst verdriingte (Contarini, Pole, Morone)
oder weil fÚ! sie, (die Valdesianer), die Beibehaltung der ii~eren Kirche vollig
nebensiich1ich geworden war.
Diese ganze Bewegung allgemein als Evangelismus zu bezeichnen, wie es heute

vielerorts Mode geworden ist, geht nur an, wenn man von den lutherischen An-
fángen von Valdés nichts wem und die lutherische Seite seiner religiosen Propa-
ganda in Italien vollig a~er acht l~t. Bleiben wir mit Cantimori bei der Be-
zeichnung «valdesianische Bewegung» mit ihrem lutherischen und spiritualisti-
schen Element, ohne aber die Anhiinger dieser Bewegung, wie es damals die In-
quisitoren taten, gleich als Lutheraner und Calvinisten abstempeln zu wollen.

Prazise konfessionelle Stellungnahmen innerhalb der valdesianischen Bewegung
konnten nur im Kontakt mit der etablierten Reformation stattfmden, also bei

den Exulanten86• Es wurden jedoch nicht wenige von diesen wegen der Beibe-
haltung des Spiritualismus von Valdés auch von den Reformatoren alsHiiretiker

betrachtet. Als Paradebeispiel sei nur Bernardino Ochino genannt, von dem Cal-
vin und Beze behaupteten, er hiitte seine profanen Spekulationen direkt aus

den 110 Considerazioni des Valdés entnommen: «aus einem Buch», – so die
Reformatoren – das noch vor dem Druck Mtte verbrannt werden sollen, da
es in vielen Teilen den anabaptistischen Geist atme, die Menschen vom Worte

Gottes entferne und sie zu Spekulationen verfiihre, «quas falso spiritum vo-
cant.» 87

In Spanien hingegen wurde jede Entfaltung des Valdesianismus bereits in nuce

verhindert, indem die Inquisition die Bewegung der Alumbrados und der Eras-
misten kurz nach Erscheinen des Diálogo de doctrina endgilltig zersch1ug. DaS

der junge Valdés zunachst in diesen ihm so vertrauten Kreisen Luthers Ideen
zu verbreiten suchte, beweisen deutlich genug die Widmung an den Marquis de

Villena, den Schirmherrn von Alcaraz, die wiederholten Berufungen auf Eras-
mus und die zentrale Rolle, die einem prominenten Exponenten von Cisneros’

Reform, dem bereits verstorbenen Fr. Pedro de Alba, im Diálogo zugesprochen
wird. Die spontane Begeisterung, die das Büch1ein gerade bei vielen dieser Leute
sofort hervorrief, muBte Valdés davon überzeugen, daS er sich weder in der
86. A. Rotondo, «Atteggiamenti,» a.O., 1016.
87. Th. de Beze: Epillto1arum theologicarum liber unUIl, Genevae 1573, ep. IV, 33-48.
285

Wahl seiner Mittel noch in der Bestirnmung seines Leserkreises verrechnet hatte.
Verrechnet hatte er sich allerdings, wie viele seiner Freunde und Beschützer, in
der Einschatzung der tatsachlichen Macht der Ordensbrüder und auch in der

Annahme, d~ die Inquisitoren einen wesentlichen Unterschied zwischen Lu-
ther, Erasmus und den Alumbrados machen würden. «Los errores de los que se

dicen alunbrados», lesen wir in der Anklageschrift gegen Vergara, «quasi cohin-
~iden con los dichos errores lutheranos» und «Erasmo era segundo Luthero e
como glosa dél dezía y hablava mucho mal.» 88 Als Alumbrados, Erasmisten
und Lutheraner wurden Valdés und seine Freunde unter Anklage gestellt und
als solche auch verurteilt.
AnschlieBend an seine meisterhafte Schilderung dieser Unterdrückung durch
die Inquisition schrieb Bataillon: «Nous sornmes maintenant mieux préparés a
comprendre certains mouvements et certains hommes que l’Inquisition a traités
de ,luthériens’, et que les historiens modernes, protestants ou catholiques, ont
trop facilement annexés au protestantisme.» 89 Für Bataillon stand fest, d~ im
Spanien des 16. Jahrhunderts überhaupt keine Rede davon sein konnte, und

vom Vorwort bis zum SchluB seines Werks gebrauchte er das Wort «Iuthéranis-
me» in bezug auf Spanien stets in Anführungszeichen. Der sehr reale Luthera-
nismus – diesmal ohne Anführungszeichen – im Diálogo des Juan des Valdés

berechtigt uns zu der Frage, ob wir heute diese Bewegungen weiterhin durch

Begriffe wie Erasmismus oder lihnliches einschranken dürfen. Auch die gewalti-
se Menge von Büchem protestantischer Autoren, welche die Inquisition von Se-
villa bis 1560 konfisziert hatte (und die Bataillon nie erwiihnt hat, obschon

das lange Verzeichnis seit 1902 veroffentlicht ist), beweist deutlich, d~ dort
nicht nur Erasmus gelesen wurde 90• Es ist also ein dringendes Postulat der
88. «Proceso de Vergara,» f. 134ro , 135vo.
89. Bataillon, Erasme et l’Espagne, a.O., 548 (Erasmo y España, a.O., 509).

90. Ernst Schiifer: Beitriige zur Geschichte des spanischen Protestantismus und der Inqui-
sition im sechzehnten Jahrhundert, 2., Gütersloh 1902, 392-400. Hier folgt eine Auswahl

der protestantischen Theologen mit der Anzahl ihrer im Memorial der Inquisitoren ver-
zeichneten Bücher: A. Corvinus, 5; A. Osiander, 1; A. Althamer, 2; Aretius Felinus (But-
zer), 1; B. Westhemer, 3; B. Ochino, 2; Chr. Hofmann, 2; C. S. Curíone, 3; Ch. Hegendorf,

I;C. Pellican, 6 Bd. Op. omn. + 2;E. Sarcerius, 16;F. Lambert, 5;G. Creutziger, 2;K. Me-
gander, 2; BuUinger, 10; Zwingli, 3 Bd. Op. omn.; Calvin, 11; J. Draconites, 2; J. Spangen-
berg,4; tlkolampad, 8; Bugenhagen, 7; Vadian, 1; J. Gast, 3; J. Pérez de Pineda, 2; Sleydan,

1; J. Jonas, 2; J. Wilichius, 2; J. Rivius, 4;J. Rinthisius, I;J. Agrícola, I;J. Brentz, 15; L.
Loss, 4; L. Culman, 3; M. Butzer, 8; M. Borrhaus, 3; Luther, 5 Bd. op. omn.; M. Servet, 1;
N. Gallus, 1; O. Brunfels, 2; P. Viret, 6; P. M. Vermigli, 2; P. Phrygio, 1; P. Fagius, 1;P.
Artopoeus, 2; Melanchthon, 2 Bd. Op. omn. + 8; S. Münster, 5; S. Meyer, 2; S. Castalio, 1;

Th. Bibliander, 4; Th. Veratorius (Gechauf), 1; W. F. Capito, 3; W. Wissenburg, 1; U. Re-
gius, 1; W. Musculus, 5; (A~erdem wurden noch 5 Werke des Erasmus, 2 des Juan de

281′»

Historiographie, die Bedeutung des Erasmismus als Katalisator und gemeinsa-
mer Nenner der spanischen Religiositat des 16. Jahrhunderts um einige Grade

abzuschwachen.
Mit diesem Abbau hatte allerdings Bataillon selbst begonnen, als er unter dem
Eindruck von Nietos Forschung in seinem Aufsatz «Vers une définition de

l’érasmisme» schrieb: «Que Juan de Valdés ait coloré ou non son Diálogo d’éras-
misme pour dissimuler une dette envers un maftre moins avouable, il reste qu’il

a appartenu, comme son frere Alfonso, au monde des propagateurs de la gloire
des idées d’Erasme en Espagne. Mais pour qui veut suivre le progrés de ces idées
dans une zone ambigue entre l’hétérodoxie et l’orthodoxie traditionelle, il est

impossible de négliger cette possibilité que l’érasmisme ait été a l’occasion as-
sumé ou porté comme le masque rassurant d’une pensée hétérodoxe.»91 Ba-
taillon stand damals unter dem Eindruck der noch nicht verOffentlichten These

Nietos und dachte dabei an Alcaraz. Heute würde sich der gro~e Hispanist wie-
Valdés, eins von Cerió Furiol und 5 von Constantino Ponce de la Fuente verzeichnet). Die-
se Bücher wurden in zwei Kisten aufbewahrt «f\ir den Fall, da1l. einmal eins derselben zu

irgend einer Feststellung benotigt wird», wie die Inquisitoren von Sevilla in einem Brief
vom 8. Januar 1562 an den Consejo der Inquisición Suprema berichteten. Alle weiteren

Exemplare derselben Werke – «eine sehr groBe Menge» – waren bereits im Hof des Triana-
schlosses verbrannt worden. Auch von den beschlagnahmten Bibeln behielten die Inquisi-
toren jeweils ein Exemplar, die übrigen sollten entweder zensiert und verkauft oder, wenn

die Suprema es so wollte, verbrannt werden (vgl. José 1. Tellechea Idígoras: «Biblias publi-
cadas fuera de España secuestradas por la Inquisición de Sevilla en 1552,» in: Bulletin His·

panique 64, 1962, 236-247). Die verdachtigen Bücher, die man expurgieren sollte – auch

hier «eine sehr groJl,e Menge» – wurden zum Hospital del Cardenal gebracht, und diejeni-
gen, die nicht verboten waren, den Besitzern zurückgegeben. Ein groBer Teil dieser Bücher

stammte offensichtlich aus der Bibliothek des Doctor Constantino. 1m Inventar der ca.
900 Bücher, die in seinem Hause beschlagnahmt wurden, befindet sich zwar kein einziges
Werk der Reformatoren (vgl. Klaus Wagner: El doctor Constantino Ponce de la Fuente. El
hombre y su biblioteca, Sevilla 1979), aber nach dem Bericht von Reginaldus Gonsalvius
Montanus hatte Constantino vor seiner Verhaftung die gefáhrlichen Bücher im Hause der

Witwe Isabel Martínez einmauern lassen. Auch der Jesuit Diego Suárez berichtete im Au-
gust 1559 an Laínez, man habe bei einer dem Constantino sehr zugetanen Dame zwischen

zwei Wiinden mehr als 2000 verbotene Bücher gefunden: «más de dos mil cuerpos de libros

prohibidos emparedados en dos tabiques, y a ellos y a ella llevaron a la Inquisición.» (Ba-
taillon, Erasmo y España, a.O., 528). Bataillon hingegen hat die Behauptung des Verfassers

der lnquisitionis hispanicae artes als legendiir abgetan («un buen capítulo de novela») und
dem Zeugnis des Jesuiten keinen groBen Wert gelegt, nur weil Constantino im Sommer
1560 im Gefángnis an einer Krankheit und nicht früher auf dem Scheiterhaufen gestorben
ist. «Julianillo» Hernández, den die lnquisition ein Jahr vor Constantino verhaftet hatte,
wurde erst im Dezember 1560 verbrannt.
91. Bataillon: «Vers une définition de l ‘érasmisme,» in: Colloquia Erasmiana Turonensia,
Tours 1969, 29; Ders.: Erasmo y el erasmismo, Barcelona 1977, 154.

287

der korrigieren müssen und auf Valdés übertragen, was er eine Seite zuvor über
Berquin geschrieben hatte: «Son érasmisme pourrait etre tenu pour vetement
rassurant d’un luthéranisme bien réel.»
Trifft dies aber ausschlieBlich ftir Valdés zu, als ob er irn Alleingang seine
Freunde über Erasmus hinaus zu Luther zu lenken versuchte, oder war diese

lutherische Propaganda die Folge und der Ausdruck einer weitverbreiteten Hal-
tung? Die enge Solidaritlit, die dem Verfasser des Diálogo durch die Erasmisten

von Alcalá zuteil wurde, grenzte in einigen Flillen an Komplizenschaft.
An erster Stelle sei hier Val dé s’ Bruder Alfonso, Sekretlir des Kaiser, erwlihnt,
der wlihrend des Augsburger Reichstags von 1530 die Rolle eines taktvollen
Vermittlers zwischen dem Kaiser, dem Nuntius Aleander und Melanchthon wie

kein anderer zu spielen vermochte. Auf Alfonso de Valdés hatte Girolamo Ale-
ander offenbar gezielt, als er einige Leute aus der Umgebung des Kaisers bezich-
tigte, «diese lutherische Sekte, sosehr sie dieselbe in ihren Reden verwürfen,

doch durch die Tat zu fOrdern, und weil sie sich über Luther, da die ser ver-
dammt sei, nicht frei liuBern dürften, so hoben sie den Erasmus in den Hirnmel

und verbreiteten dessen Verehrung in Spanien,,91a. Ein Nachhall aus der Lek-
türe von Luthers Schriften ist vor allem irn Diálogo de Mercurio y Carón des

Alfonso de Valdés unüberhOrbar 91b , aber die wortlichen Entlehnungen, die wir
feststellen konnten, stammen alle aus den Werken des Erasmus 91C.
Ahnlich bruchstückhaft ist unser Wissen über die wirkliche Haltung des Juan

de Vergara: Seiner Erkllirung vor den Richtern, wonach er den Diálogo de doc-
trina nicht gelesen, sich ein Urteil darüber nur aus den günstigen Zeugnissen von

Carranza und Coronel gebildet und hochstens mit seinem Halbbruder Tovar da-
von gesprochen hlitte, dürfen wir bestirnmt keine allzu groBe Bedeutung bei-
messen 92. Mindestens eines der von Valdés benutzten Bücher, 6kolampads

lsaiaskommentar, hatte Vergara gehort und es ist anzunehmen, daB dieser mehr

lutherische Bücher besaB als die fúnf, die er irn August 1530 der lnquisition sel-
ber aushlindigte 93. Von einem weiteren lutherischen Buch aus Vergaras Biblio-

91a. E. Boehmer: «Juan und Alfonso de Yaldés,» in: Realencyklopiidie für protestanti-
sche Theologie und Kirche 3, 20, 383.

91b. Alfonso de Yaldés: Diálogo de Mercurio y Carón, ed. J. F. Montesinos, (Clásicos
castellanos 96), Madrid 1965,134 6-22,208 14-26,210 24-30.
91c. Alfonso de Valdés: Diálogo de las cosas ocurridas en Roma, ed. J. F. Montesinos
(Clásicos castellanos 89), Madrid 1969, 20-26,28 (vgl. Querella pacis, Erasmi Opera, LA,
IV, 628-635, 639, 641-642); Ders., Diálogo de Mercurio, a.O., 12-19 (vgl. Querella
pacis, 631; Enchiridion, Erasmi Opera, Y, 5, 41, 48-49; Colloquia, Erasmi Opera, 1, 679,
685,709 usw.)
92. Longhurst, Erasmus and the spanish lnquisition, a.O., 42f.
93. «Proceso de Vergara,» lvo ; Bataillon, Erasmo y España, 439.
288

thek, das Tovar an Juan del Castillo weitergegeben hatte, erfuhren die Inquisi-
toren wiíhrend der Vernehmung von Castillos Bruder Gaspar de Lucena 94. Gegen

einen militanten Lutheranismus des Vergara spricht freilich ein geheimer Brief,
den dieser dem bereits verhafteten Tovar zukornmen lie~. Vergara wollte vom
Bruder wissen, was er mit jenen Teufeln (gemeint sind wohI die verhafteten
Alumbrados) alles geredet und ob er die aberglii.ubischen Dinge nach der Art
des Erasmus oder aber nach der des Hundes Luther kritisiert habe («Tamen
multum refert si va la cosa a fuert de Erasmo o a fuert del perro de Luthero

quod Deus avertat») 95. Aber geh6rte dieser Ton nicht in einen Brief, der wo-
mOglich in die Hii.nde der Inquisitoren geraten k6nnte, wie es dann tatsii.chlich

auch geschah?
Auf jeden Fall war Vergara nicht so unvorsichtig wie sein impulsiver Bruder

Tovar oder dessen Freund Castillo, die als Anftihrer der Cohors sive factio fu-
theranorum van dem Kleriker Diego Hernández denunziert wurden. Den Aus-
sagen des Hernández wird von den Historikern keinerlei Glaubwürdigkeit beige-
messen, aber selbst Bataillon hat anerkennen müssen, d~ sich dieser als Lufti-
kus verrufene Kleriker in den Kreisen der «Alumbrados érasmisants» von Alca-
lá sehr gut auskannte und d~ seine Angaben, abgesehen von den abgestuften

theologischen Rubrikaten, mit denen er jeden Namen versah, nicht einfach zu

verwerfen sind 96. Mit der Aufdeckung der Quellen des Diálogo von Valdés er-
fahren jetzt aber diese Rubrikate des Hernández eine unerwartete Aufwertung,

und das weitere Schicksal der vom Kleriker als «dañados» oder «finíssimos lu-
theranos» Denunzierten l~t vermuten, d~ Hernández in der Weitergabe von

Castillos Indiskretionen vielleicht übertrieb, aber keineswegs fantasierte.
López de Calaín, Garzón und Castillo erlitten den Feuertod; über TovarsEnde
ist nichts überliefert 96a; Vergara m~te «de vehementi» widerrufen; Valdés,

Villafaña, Miona, Díaz, Pascual und Torres setzten sich ins Ausland ab. (Gas-
par, Pedro oder Juan) de Villafaña ist sehr wahrscheinlich der Martinus a Villa-
fana Hispanus, der sich 1543 zusarnmen mit dem Buchdrucker Pietro Perna in

das Matrikelbuch der Universitii.t Basel einschreiben lie~ 97. Bei dem Studenten
(Gasión oder Manuel) Díaz, der 1530 mit Miona nach Paris floh, k6nnte es sich
um keinen geringeren handeln als um den berühmten Juan Díaz (aus Cuenca
94. Ebd., 478.
95. Ebd., 454; die beschlagnahmten Briefe des Vergara an Tovar sindjetzt in M. Ortega,
Proceso de la Inquisición contra Marfa de Cazalla, a.O., 515-518, abgedruckt.
96. Bataillon, Erasmo y España, 483.
96a. Tovars Proze1lo dauerte noch 1541, vgl. Angela Selke: «Vida y muerte de Juan López
de Calaín, alumbrado vizcaíno,» in: Bulletin Hispanique, 62,1960,145.
97. Die Matrikel der Universitiit Basel, ,hg. V. H. G. Wackernagel, n., Basel 1956, 32.
289

gebürtig wie Valdés), dessen Teilnahme am Regensburger Religionsgesprach als
Vertreter der protestantischen Seite die Spanier so sehr aufbrachte, daB sein
eigener Bruder ihn ennordete, um die Ehre der Familie und des Vaterlandes zu
retten. Bis Ende 1544 hatte Juan Díaz «totos tredecim annos aut eo amplius»

in París unter Budé studiert, was sowoh1 mit der Chronologie wie mit der Stu-
dienrichtung des geflohenen Studenten aus Alcalá übereinstimmt. Er war woh1

der Johannes Diazius, den die Akten der Universitat Paris 1536 als Bach. arti-
um bezeichnen 98.

Der Rektor der Universitiit Alcalá, Mateo Pascual, wurde nach Spanien zu-
ruckgelockt und wegen einiger Satze über das Fegefeuer bis 1537 im Gefángnis

gehalten; er m~te diesen Satzen abschworen und verlor alle seine Ámter. 1538
gehorte er in Rom zu den drei «viros acres hispanos», die Ignatius und dessen
Freunden mancherlei Schwierigkeiten machten 99.
Bei Miona und Torres scheint jedoch der K1eriker Hernández selbst gesehen
zu haben, dai er zu weit gegangen war, als er sie wegen ihrer Freundschaft mit
Tovar in seiner ersten Denunziation auf die gleiche Stufe wie Valdés stellte; in
seiner zweiten, die um weitere vierzig Namen angewachsen war, erwiihnte er die

beiden nicht mehr. Der Portugiese Manuel Miona war der Beichtvater von Igna-
tius von Loyola in Alcalá gewesen und hatte diesem die Lektüre von Erasmus’

Enchiridion militis christiani empfoh1en. 1534 studierte Miona in París, und

zwei Jahre spater versuchteIgnatius, ihn zur Absolvierung der Exercitia zu be-
wegen. Erst 1544 trat Miona in die Gesellschaft Jesu ein1OO• Der Versuch von

R. García-Villoslada S.J., Miona von jedem Verdacht des Erasmismus und
Alumbradismus freizusprechen, gehort in den Bereich der Hagiographie.
Der Vizerektor des Collegium Trilingue, Torres, (den Villoslada, wie früher
auch Bataillon, als den spateren J esuiten Miguel de Torres identifIzierte, der
98. Menéndez y Pelayo: Historia de los Heterodoxos ellpaffoles (l.IV, c.5), IV, Buenos
Aires 1951, 232f.; Luis de Matos: Les Portugais a l’Université de Parisentre 1500 et 1550,

Coimbra 1950, 89, (wo Joannes Diasius, 1536, mit einem Portugiesen Joao Dias ohne je-
den weiteren Beweis identifiziert wird); Ricardo García-Villoslada: «La Universidad de

París durante los estudios de Francisco de Vitoria,» in: Analecta Gregoriana XlV, ser.
Fac. Hist. Ecc\es. Sectio B N.2, Roma 1938, 400, wiederholt die Angaben von Menéndez y
Pelayo, hat aber den Namen des Juan Díaz in den Acta rectoria Univ. Par. übersehe.l.
99. Bataillon, Erasmo y Espaffa, a.O., 476f.; M. Del Piazzo – C. Dalmases: «ll processo

sull’ortodossia di S. Ignazio e dei suoi compagni svoltosi a Roma nel 1538. Nuovi docu-
mentí,» in: Arch. Hist. Soco Jesu, 38,1969,434.

100. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 213. Über die ersten Prozesse des Ignatius im Zu-
sarnmenhang mit der Verfolgung der Alumbrados vgl. Milagros Ortega Costa: «San Ignacio

de Loyola en el Libro de Alumbrados; nuevos datos sobre su primer proceso,» in: Arbor,
107,1980,163-174.
290

sich aber in Basel Christophorus a Turri nannte)1Ol, kam im Marz 1533 nach
Basel; hier wurde er dreimal eingekerkert und mit dem Tode bedroht ftir den
Fall, d~ er je wieder in die Stadt zurückkornmen würde. Torres hatte sich in
den Kopf gesetzt, die Basler von der Lehre des «servum arbitrium» abzubringen
und zur Rückkehr in die allgemeine Kirche zu bewegen. Dank dem Beistand

von Bonifatius Amerbach und Simon Grynaeus gelang es dem eifrigen Grazi-
sten von Alcalá, a~s Basel heil wegzukommen. Damilio de Gois, der von dem

Fall gehOrt hatte, erkundigte sich bei Amerbach über Torres’ weiteres Schick-
sal 102. 1m Kerker von Basel hatte Torres jedoch seinen Lebenslauf ftir Amer-
bach niedergeschrieben, der ein überraschend neues Licht auf die Vorfálle in

Alcalá wirft und uns gleichzeitig einen unmittelbaren Einblick in die bizarre
Atmosphare des «Alumbradismo érasmisant» gestattet 103.
101. R. García-Villoslada: Loyo/a y Eras1OO, Madrid 1965, 66f., IOOff.; Bataillon, Eras-
100 y Espafla, a.O., 213, 484. Torres signierte seine Briefe an Amerbach mit einem Kreuz
auf einem Turm oder Hügel; über den Balken des Kreuzes schrieb er die Buchstaben «s.

m.», darunter aber «s. ch.» Wollte er damit symbolisieren, daf> er in normalen Zeiten Mi-
chael hie~ (s[um) m[ichaelJ) aber unter der Last der Verfolgung den Namen Christophorus

annahm (s[um) ch[ristophorus]), oder sollten wir diese Buchstaben als ein banales «sum
mariae, sum christi» interprctieren? Auch Amerbach konnte das Rlitsel nicht losen, vgl.

Die Amerbachko»espondenz, hg. v. A. Hartmann, IV., Basel 1953, 237. Eine Schwierig-
keit fúr die Identifizierung von Christophorus mit Miguel de Torresjedoch ergibt sich aus

der Chronologie. Wenn die Lebensdaten von Miguel de Torres 1509-1593 stirnmen (vgl.
Manrellll XXII, 1950, 73-80), dann war er kaum zwanzigjlihrig und schon Priester und
Vizerektor, was unwahrscheinlich scheint.
102. In der Aktenllllmmlung zur Geschichte der Bas/er Reformation hg. v. E. Dürr und
P. Roth, Basel 1921ff., Bd. 6, Nr. 263, 265, 276 u. 278, heiEt es: «Her Cristoffel a Turri,

sol1 priester und hispanier sin. 1st in gefencknusz gelegen, von wegen das er vnnsere predi-
canten ouch kilchen geschuldiget, vnd so er dorumb vss gotlicher vnd biblischer geschrifft

red vnd antwort geben vnd nemmen sol1en, hat er das zethund abgeschIagen. Der vrsachen
halb, vff Mittwoch den 9 tag Aprilis wider ledig gelossen, hatt vff dem heilgen Evangelio
ein vfrechte volkummene vrfecht geschworen, vnd das er von stund an vss der statt vnd
land Basel sich thun well, inn ewigkeit niemer dorin zekummen, by pen de schwerts etc.»
Er kam aber sofort wieder, wurde aufgegriffen und ins Gefangnis geworfen, aber am 18.
April freigelassen. AIs er ein drittes Mal erschien, wiederholte sich die Prozedur; bei seiner
Entlassung am 16. Mai drohte man ihm an, wenn er nochmals komme, «wellen min herren

inn als ein meyneidigen ertrencken oder mit dem schwert lossen richten … Doruff er geant-
wurt, das er willig vnd bereit sig, vmb des nammen gottes vnd sins heiligen worts willen

zeliden vnd zersterben; wie es dem herrn gefall, ¡¡Iso solle es beschehen. Domit ist er abge-
scheiden.» Am nlichsten Tag berechnete man die Gefangniskosten: «Item lib. un s. VI d.

ist über den Hispanischen pfaffen by Kolern irn Wasserthurm gangen.» Vgl. Die Amerbach-
ko»espondenz, a.O., IV., 203, 298, 237; Elisabeth Feist Hirsch: Damiiio de Gois, The

Hague 1967,85.
103. Univ.-Bibl. Basel, Ms. G II 50, 3 (zeitgenossische Kopie, ebd. 6). Dieser Lebenslauf
291

«IESUS. Quia petisti a me, c1arissime Consul, ut tibi dicerem, cur patria mea relicta huc
me contulerim, ut tibi potestati a domino christianis fratribus datae obtemperem, en narro
quam paucis potero. Compluti operam Iitteris latinis ac graecis, aliquam etiam dialectis
dabaml04• Audivi semel propositiones quasdam publice recitari a quibus omnes abstinere
iubebantur; inter eas erant quaedam, quae me vehementer offenderunt, quia videbantur
pietati simpliciorum obstarelos. Potest fieri ut ego non recte senserim, non memini quales
erant. Dum hoc ego egerrime ferrem, quidam mihi charissimus pater (gestrichen: frater)
vere dei servus, quantum ex fructibus (gestr.: doctrina et vita eius) Iicebat cognoscere, in
carcerem est obstrussuSI06• Quam rem ego tarn tuli acerbe, ut non potuerim non publice
clamare, et asserere eum vere christianum esse. Et eos qui i1Ium in carcerem coniecerant,

accusabam. Mox doloris impatiens convocavi omnes universitatis doctores, et i1Ios ut vi-
derent quid in fidei negotiis fieret admonui; et alia quaedam, quae nescio qualia i1Iis visa

sunt, dixi. IIIi yero me iusserunt abire, harumque rerum securum esse. Postea ego, pudore
correptus, accessi ad fidei inquisitores et ingenue quae feceram fassus sum ac veniam, si
quid erraveram, petii. Absit enim a me ut tam sim superbus, ut a consensu totius ecclesiae
iam tot annis abomnibus christianis approbatae discedarn. At iIIi me itidem dimiserunt.
Tunc ego, maiori quam anctea affectus pudore, amicis meis saIutatis, relinquo quam mihi
non magis patriam, quam totum christianum orbem puto. GaUiam ingressus, in quadarn

eius urbe ultra annum versatus suml .’, ubi in quosdam nobiles viros, qui opiniones quas-
dam defendebant, incidí, qui me conducere ut quibusdam graece legerem voluere. Contra,

cum ego timerem ad iIIos ingredi, quia cum i1Iis scilicet consentiendum erat aut perpetuo
contendendum, quorum utrumque horret anima mea, tribus perpetuis diebus ubicumque

erarn oravi dominum, ut me iIIis adiungeret, si illi veritatem haberent, quam ego, prae-
ter[e)a nihil, inquiro. Audivi tandem si arnplius de relinquendo omnium christianorum

consensu consulerem dominum, me iturum in viam Balam. Iam ego in catholica fide con-
firmatus, a1iud dominum orare coepi: ut mihi aliunde victum prospiceret. Ne hoc quidem

mihi concessit dominus, sed contra visus est mihi mortem per famem incidere, nisi ad iIIos

accederem, cum a1iquandiu pane tamen et prunis et aqua, nec his semper abunde, viven-
dum esset. Praeterea dominus me confirmavit, ut i1Iorum curam susciperem, tum ut iIIos

fratrerna charitate admonerem, tum ut aIios adhortarer ne hostilem in i1Ios animum gere-
rento In quo instituto semper hactenus profeci, unde ab utrisque ingentem invidiam mihi

und die weiteren Missiven des Torres an Amerbach und Grynaeus sind dem Herausgeber
der Amerbachko»espondenz entgangen.
104. Diego Hernández sagte vor den Inquisitoren aus, daJl. Torres mehr mit Tovar als mit
Miona verkehrte, da er (Torres) «ya era griego y gran latino», «Proceso de Vergara,» f.
44ro ; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 213 Anm. 16.
105. Torres bezieht sich hier offenbar auf den Edicto de los Alumbrados de Toledo von
1525, der in aUen Kirchen an den Sonn- und Feiertagen vorgelesen wurde: » … e por la

presente mandamos que vos apartéis en todo e por todo de los dichos herrores, e nove-
dades, e no la creáis … «, vgI. A. Márquez, Los alumbrados, a.O., 2.

106. Hochstwahrscheinlich Bernardino Tovar, der im September 1530 verhaftet wurde.
Diego Hernández behauptete, daJl. sich Miona und Torres nach Paris absetzten, nachdem
Tovar verhaftet worden war, vgI. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 475.
107. Leider hat Torres den Namen dieser Stadt nicht erwahnt.
292

conciliabam, ut quisque cordatus satis potest cogitare. Tandem cum ferre non possem a
multis digito ostendi, nec hoc solum, sed ab iisdem, quorum ego causam agebam, audirem

in faciem iam: Tu per tuas graecas literulas vis omnia instituta maiorum nobis semel abrro-
gare. Cum haec itaque ferre nequirem, ex meo stipendio et a bonis laemosinibus accepto

satis largo comeatu, conducto equo, Lutetiam profectus sum, ubi deus me ut solet ubique

alebat, nec quicquam mihi, etiamsi illic multis annis mansuro, defuturum videbatur. Ve-
rum, aliud domino visum esto Nam postea quam conducta celia, emptis supellectilibus,

accepto puero, qui mihi victum curaret, Aristoteli, qui legebatur graece, operam totis
viribus dare parabam, en tibi amici mei, qui me ex patria no[ve]rant, qui me statirn primis

congresibus admonent poenitentiarium quem dicunt adire, alioqui non mihi impune futu-
rum, si velirn Parrisiis manere. Adeo, ne illis scandalo essem, patefacio Adamo illi, sic

enirn poenitentiarius sese appellabatur’08, plura fortasse peccata quam ille audire cupiebat.
Verum, quod iJlis non fuerat ingratum futurum, dissirnulo, ne deum offenderem, nomina

iJlorum videlicet quibuscumque fueram versatus, quod illi pulchre noscebant; dissimulo in-
quam coram omnibus ubique, ut quos credebam meis admonitionibus resipuisse; praeser-
tim cum inter iJlos et quandam eiusdem ordinis foeminam, antea non satis fortem (gestr.:

hactenus satis superstitiosam) veram amiciciam reconciliarat per me deus, adeo ut istius

illi publicum patrocinium susciperent. Haec res Lutetiae eo spiritum meum afflictionis ade-
git, ut his qui mihi insidiabantur, pia mente ego interpretor, relicta cum suis supellectilibus

celia, media die, velut in agro perambulaturus, Lutetia profectus sirn, quo praesidio novit
Christus. Inde, Orientem pro duce habens, ignarus viae multa conficio miliaria, ubi crucem

in via offendebam coram Christo meo genua flectens ac cJamans misericordiam, donec in-
venio multos peregrinantes ad divi Nicolai aedes euntesl09, nescio an anirni an religionis

ergo. Verum, quia Orientem versus iter tenere videbantur, illis me itineris comitem adiun-
go, eodem nomine sciJicet peregrinaturus verius si Christo placuit quam illi. Idem voveram,

si modo deo ita videretur, né mihi mentiendum esset in itinere si qui viae causam rogarent,
ilIis non tamen animo reddidi. Illinc, audito Friburgi minime post aliquot miliaria, nam
prius Romam tendebam, illuc tendo, quia ibi audiebam E(rasmum) R(otherodamum) esse,

virum de republica christiana quam bene meritum, altissirnus esto iudex. Ad eum cum ven-
tum est, non licuit colloqui (gestr.: retulit enirn minister eum) non satis recte valenti;

acceptis tum ab eo per famulum pecuniis, discedo, a docto viro Clareano viae in Italiam
locorum catalogo conscripto, illuc animum intenderamllo• Verum, cum iter facere non
valerem (nam a Friburgo hucusque circiter 5 vel 6 dies impendii et novem tum obolos
haberem) cum ab hac urbe abessem unum tantum miliare, hora diei quinta, non satis me-
108. Ein Joannes Adam war Rektor der Universitat von Miirz 1531 bis Juni 1532, vgl. R.
GarcÍa ViJloslada, La Universidad de Par/s, a.O., 438. Offenbar hat sich Torres nicht in die
Acta rectoria eintragen lassen, dennn Villoslada’s Angaben über den Aufenthalt Torres’ in
París stützen sich lediglich auf denjenigen von Bataillon.
109. Niklashausen a. d. Tauber, vgl. Will-Erich Peucker: Die grofte Wende, Darmstadt
1966, 1., 263-296 («Der Paucker von Niklashausen»).

110. Erst beim zweiten Besuch im April, wohl nach der ersten Ausweisung aus Basel, ge-
lang es Torres, mit Erasmus zu sprechen, vgl. Allen, Opus Episto/arum, 10,217 (ep. 2805,

6-7). Erasmus, der oft genug die Spanier mit den Portugiesen verwechselte, nannte ihn
«Lusitanus», worauf Allen irrtümlich auf Damiao da Gois in seiner Anmerkung verweist ..
293

mini, agressus ex illo oppidulo viae edoctus utcumquequo vel huc, vel alío tendere liceret.
Cum ad Bivium ventum est, sinistrum iter aggressus sum; deinde progressus palilulum, iam
omnia mihi obscurabantur, nil nisi montes altos circumspiciebam, quos crura mea cane
p[eJius et angue oderunt. Tunc ego ignarus prorsus idiomatis, pernoctaturus apud rusticum

fortasse ubi muto assidere mensae non licuisset, nisi largiter comesturo, soluturo ac quan-
tum et alli, quorum utrumque meae negabant vires, alterum capitis, alterum loculorum.

His curis anxius orabam dominum non frigide, crede mihi ciare Consul, ut mihi suam volun-
tatem patefaceret, sponte videlicet secuturo intellectam. Tandem, post longam et a[n]xiam

orationem, huc gressus dirigit meos dominus; nam si satis memini, urbem ciare conspicie-
bam. Antequam ad urbem appropinquarem, sacrificulis obvius sum factus quibusdam, qui

me convicüs incipiunt lacessere, quod venirem fugitivus dicentes, et alia divisionum nomi-
na, quae ilIi frequentissima in ore habent, impingentes. Ego contra, quantum poteram ver-
bis blandis remedium ab illis peterem, fortiter me irrisum demittunt ac vertunt terga. Ego

yero, conviciis magis animo confllmato, multo alacrius huc contendo, ridens certe quod
viae reliquum erat. In hanc quam nobis deus ad suam gloriam ex[tJollendam conservet
urbem ingresso, quaecumque accidere omnibus nota sunt1l1•
Hactenus tibi, clarissime consul, viae meae rationem reddidi, quia hoc visus es mihi velle.
Tu modo, quid sit agendum prudens ut serpens, simplex tum ut columba, meditare ne tuis
viribus fidas, at sequere Christum vocantem, sub lata cruce, sine pudore, sequendo yero niI
tibi tribuas, qui servus es quales caeteri; interimque omni momento a crucifixo anima tua

pendeat, sine intermissione orando. Ego yero nunquam tibi et mihi sum defuturus, si quic-
quam apud deum omnium atque nostrum praecibus quaeam efficere. Spes autem bona est

velle iam tandem Christum suae sponsae misereri. Aspiret coeptis benignissimus noster
IESUS. Amen.»
Noch deutlicher als manche Aussagen in den Inquisitionsprozessen zeigt dieses
Cu»iculum des unbefangenen Torres eine Grundhaltung der Alumbrados, die

glaubten, alle ihre Entscheidungen allein aus dem unmittelbaren und experi-
mentellen Gesprach mit Gott treffen zu müssen. Nach einem die ser intensiven

Gesprache entschlo~ sich der ehemalige Professor von Alcalá in einer uns leider
unbekannten Stadt Frankreichs, anstatt zu den Lutheranern überzugehen, bei
ihnen zu bleiben, uro sie zu bekehren. Aus einem weiteren Gesprach schopfte
er die prophetische Sicherheit, mit der er in Basel, wie ein zweiter Jonas, als
Gesandter Gottes auftrat: «Est ergo», schrieb er im Kerker an Grynaeus und

Arnerbach, «quod per me vobis dominus mandat, dilectissime fratres, ut in-
clytae huius urbis senatum in nomine dornini Jesu iubeatis convenire, ut et ipsi

quid per me illis itidem mandet deus, accipiant; quod si feceritis, servabitis ani-
mas vestras; sinminus, quod minime a vobis spero, ego vobis vale dicto discedo,

vobisque hanc civitatem cornmitto, cuius domino cum ille petat rationem red-
detis.» 112 Aus einem dritten Gesprach mit Gott, J ahre spater in Rom, wird ilun

111. Die Auseinandersetzung mit den Theologen der Stadt, s. Anm. 102.
112. Univ.-Bibl. Basel, Ms. G 11 50, 5, Brief Torres’ an Grynaeus und Amerbach vom
26.3.1533.
294

wohl die Erleuchtung gekommen sein, in die Gesellschaft Jesu einzutreten; dies
zur groBen Freude des Ignatius, der ihn schon früher in Schutz genornmen hatte
und zu sagenpflegte: «El que tocare al Dr. Torres, me toca a mi en las niñas de
mis ojos. ,,113

Miguel oder Cristóbal de Torres einfach als offensichtlich etwas gestOrt abzu-
tun, hieBe die Zeugnisse von Erasmus und Amerbach zu ignorieren, die ihn «vir

bonus nec illiberalis» und «vir (nisi multum fallor) praeter vitae integritatem
pius ac reipublicae christianae optime cupiens» nanntenl14• Erasmus, der Basel

wegen der Reformation verlassen hatte und Amerbach, der trotz dieser als Mit-
glied der alten Kirche in der Stadt geblieben war, hatten wohl gemerkt, daB der

Spanier als zwar ungebetener, aber immerhin treuer und mutiger Anwalt ihrer
eigenen Ideen in Basel aufgetreten war:
«Dominus ac redemptor noster, viri domino dilecti, me ad vos ut videtis misit

per suam ecclesiam, ut suam vobis in me voluntatem patefaciat; ea est, ut duo-
rum quae hactenus (quo spiritu, deus novit) defendistis, poenitentiam agatis to-
to corde: quorum alterum est, servam homini mentem esse. Haec enim propo-
sitio altissimum horrendis opprobüs afficit, utpote quae eum asserat, sibi simi-
lem imaginem servam, non liberam, condidisse ab initio, vel post Adarni lapsum

sui unigeniti fllii morte non in integrum reparasse. Neque hoc solum, sed quae
nos quotidie nostra malitia flagitia cornmittimus, deo tribuit; ut quae asserit

nos a deo vel invito s impelli ad peccandum, absit ab ore meo blasphemia. Alte-
rum est, quod tandium a cornmuni omnium christianorum consensu alienati

esse patiamini. ,,115
Bezeichnenderweise erwli.hnte Torres in Basel weder die Rechtfertigung durch
den Glauben, noch die reformierte Sakramentenlehre, noch die Abschaffung der
Helligenbilder; Ansto~ nahm er lediglich an der Lossagung von Rom und vor

allem an der Lehre der Priidestination und des «servum arbitrium». Seine Ein-
wiinde zu diesem letzten Punkt sind genau die gleichen, die vor ihm Erasmus

und Servet und nach ihm Castellio und Fausto Sozzini von Basel aus gegen die
Reformation vorbrachten.

Auch Valdés konnte sich mit der Lehre des «servum arbitrium» nie richtig be-
freunden. Vielmehr wich er dem Problem aus, indem er es zu den unnotigen

Fragen relegierte, welche von der Nachfolge Christi ablenken würden116• Wer
113. R. García-Villoslada, Loyo/a y Erasmo, a.O., 103f.
114. Allen, Opus epistolarum, 10, 217, Anm. 6;Die Amerbachko»espondenz, a.O., IV.,
237.
115. Univ.-Bibl. Basel, Ms. G 11 50, 4.
116. Diálogo, 136.

295

hingegen in dieser Lehre mit Luther vollig einig ging, war der Alumbrado Pe-
dro Ruiz de Alcaraz.

«It was in the little town of Escalona, Spain», hat Nieto geschrieben, «that
the problems of the libero arbitrio and de servo arbitrio, were first anticipated,
prior to Erasmus’ Diatribe (Sept 1, 1524) and Luther’s De servo arbitrio (Dec.
1525). ,,117
Die A~erungen von Alcaraz zu diesem Thema stammen aus dem Jahr 1523;
abersollten wir den Einwand erheben, d~ Luther seit 1516 die Lehre des

«servum arbitrium» mit so kriiftigen Worten formuliert hatte wie etwa «Volun-
tas hominis sine gratia non est libera, sed servít, licet non invita» (1516, WA 1,

147 38-39) oder «non sumus domini nostrarum actionum a principio usque

ad fmem, sed serví» (1517, WA 1, 226 6-7); d~ Luthers Satz «liberum arbi-
trium post peccatum est res de solo titulo» in der Bulle Exurge Domine von

1520 durch Leo X. bereits verurteilt (WA 7, 142ff.) und d~ auch in der Deter-
minatio theologicae facultatis parisiensis vom gleichen Jahr als ketzerisch be-
zeichnet wurde (WA 8, 287f.), würde Nietobestimrnt auf die «Tatsache» hin-
weisen, d~ das theologische System von Alcaraz auf die Jabre 1511-1512

zuruckgeht. Diese Datierung wird jedoch einzig und allein durch eine Aussage
des Alcaraz wiihrend der Folter belegt:
«Fuele comen~ado a hechar otro jarro de agua e amonestado que dixese la
verdad dixo que Ysabel de la Cruz le habló sobre las cosas que dize e que no las

cono~ió por errores e que avía más de quinze años que le dixo estas cosas. Pre-
guntado si desde aquel tiempo acá a estado en ello e lo enseñava ansy, dixo que

sy y que pensava que era bueno. ,,118

Wenn man auf diesem einzigen Satz «vor mehr als fúnfzehn Jahren» die Exi-
stenz einer autochthonen spanischen Reformation vor Luther aufbauen will,

m~ man zuerst den Beweis erbringen, d~ ein Mensch, dem auf barbarische
Weise ganze KfÜge voll Wasser durch den Mund eingetrichtert wurden, in der
Lage sein konnte, die Worte «cinco» oder «quince» so deutlich auszusprechen,
d~ der am Tisch sitzende Protokollflihrer sie ohne Schwierigkeit unterscheiden

konnte. Kommt noch dazu, d~ das Wasser durch ein Tuch durchgelassen wur-
de, das tief in den Rachen glitt und gleichzeitig die Atrnung durch die Nase bei-
nahe verunmoglichte. Hat Alcaraz «cinco» gesagt, dann gibt es kein Problem,

die Bekehrung geschah kurz vor 1519, in einer Zeit also, von der anderweitig
belegt ist, d~ Isabel de la Cruz und Alcaraz «dogmatisierten». Sollte er jedoch

117. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 69f. Anm. 72; Ders.: «The heretical Alumbrados dexa-
dos: Isabel de la Cruz and Pedro Ruiz de Alcaraz,» in: Hommage a Marcel Bataillon, Re-
vue de Littérature Comparée, 52, 1978, 307 Anm. 29.

118. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 62, Anm. 49.
296

tatsachlich «quince» gesagt haben, dann bleibt nur die Erklarung, d~ sich die
Ideen von Alcaraz im Laufe der Zeit stark verandert hatten. Um die Gleichung
Luther = Alcaraz = «Deux initiateurs de génie» zu akzeptieren, brauchen wir
gewichtigere Beweise als die zweifelhafte Aussage eines armen Ertrinkenden 119.
D~ Alcaraz und Isabel de la Cruz einige der Thesen Luthers bereits 1519

kannten, hat Augustin Redondo aus den Aussagen von María de Cazalla plausi-
bel gemacht. Die Prasenz Luthers im Diálogo des Juan de Valdés scheint die

These von Angela Selke und Redondo zu bekraftigen, wonach ein direkter Ein-
flu~ stattgefunden haben mu~, denn die Alumbrados ,,held beliefs that were

essentially the same as the principal doctrines of Martin Luther» (Selke), und
weil die lutherischen Bücher sogar in spanischer Obersetzung sehr früh nach
Spanien geschmuggelt worden waren (Redondo )120.

Die Berichte über den Schmuggellutherischer Bücher nach Spanien, die Long-
hurst, Redondo und Tellechea zusammengestellt haben, sind natürlich wertvoll,

auch wenn die Zuverlassigkeit einiger Quellen, vor allem was die spanischen
Obersetzungen betrifft, keineswegs garantiert ist 121.
Girolamo Aleander zum Beispiel schrieb am 28. Februar 1521 nach Rom: «In
Antuverpia se imprime a Luther in hispanico, credo per sollicitudine di Marani,
che sono in Fiandra, et se devea mandar in Ispania; Cesar ci ha detto haverci
rimediato.»122 Kaum war ein Monat vergangen, so wurde in einem Breve Leo’s
119. Für die Beschreibung dieser Art Folter vgl. Henry Charles Lea: A History of the
Inquisition ofSpain, New York 1906-1907, 1Il, 19.
120. A. Redondo: «Luther et l’Espagne de 1520 a 1536,» in: Mélanges de la Casa de
Velázquez, l., Paris 1965, 109-165; Ders.: «Les premiers ,illuminés’ castillans et Luther,»
in: Aspects du libertinisme au XVIe siecle (De Pétrarche a Descartes, XXX), Paris 1974,
85-91; A. SeIke: Algunos aspectos de la vida religiosa en la España del siglo XVI: Los

alumbrados de Toledo, unveroffentl. These, Univ. of Wiscosin 1953, zit. nach: A. Már-
quez, Los alumbrados, a.O., 169. Márquez, der den Ausdruck «Juan de Valdés teólogo de

los alumbrados» gepriigt hat, bezeichnet diese Bewegung als eine protestantisch-spirituali-
stische Stromung, die über Erasmus und Luther hinaus mit den anderen radikalen Bewe-
gungen der Reformation zusammenfliefl.t, ebd. 17lff. Hoffen wir, d~ er diese Behauptung

in seiner künftigen Ausgabe des Proce,w des Alcaraz nicht nur «typologisch», sondern auch
mit theologischen und historischen Texten ausflihrlicher belegen kann.
121. J. E. Longhurst: «Luther in Spain: 1520-1540,» in: Proceedings ofthe American

Philo,wphical Society, 103, [959,66-93; Ders.: Luther’s Ghost in Spain, Lawarce, Kan-
sas, 1969 (mir unzuganglich); A. Redondo, Luther et l’Espagne, a.O.; J. Ignacio Tellechea

Id Ígoras: «Carlos V ante et luteranismo español,» in: Diálogo ecuménico 8,1973,57-63;
Ders.: «La reacción española ante el luteranismo,» in: ebd., 6, 1975 (Beide Aufslitze sind
in Tellechea: Tiempos recios. Inquisición y heterodoxias, Salamanca 1977,19-32 wieder
erschienen. )

122. Theodor Brieger: «Aleander und Luther. Die vervollstandigten Aleander-Depe-
schen,» in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Reformation 1, Gotha 1884,81;

297

X. über die Angelegenheit nach Spanien berichtet, worauf der Gro~inquisitor
Adrian von Utrecht ein Edikt gegen die Werke Luthers erlie~, «las quales diz
que están imprimidas para las publicar y vender en estos reynos»123. Auch die
zwei Statthalter in Spanien schrieben an Karl V., dai1 mit HUfe «de algunos de
estas parte!l~ que desean impedir o enervar el Santo Offi~io de la ynquisi~ion, ha

tenido fOrnl’a (Luther) de hazer traduzir y poner en lengua castellana sus here-
gías y blasfemias y embiar las a sembrar y publicar en esta católica na~ión.»l24

Karl V. traf die geeigneten M~nahmen in zwei Briefen vom 20. April aus
Worms «furl den Fall, d~ Luther und seine Gesellen und Komplizen ihre Bü-
cher bereits in unsere Konigreiche gesehickt hiitten oder sie dorthin schicken
wollten» 125.

Es l~t sich leicht erraten, dai1 alle diese Dokumente lediglich auf die Depe-
sehe des Aleander zuruckgehen, der stets die iberischen Kaufleute jüdischer Ab-
stammung in Antwerpen verdiichtigte, vielleicht nur deshalb, weil ihn Erasmus,

Hutten und Luther einen «ungetauften Juden» zu beschimpfen pflegtenl26. Da
Die Übersetzung dieses Absatzes durch P. Kalkoff: Die Depeschen des Nuntius Aleander,

(Schriften für Reformationsgeschichte 17), Halle 1886, 77, trifft vollig daneben: «In Ant-
werpen werden Luthers Schriften in spanischer Sprache gedruckt auf Betreiben jener mau-
ruchen (richtig: von Juden stammenden) Kaufleute, die man von Flandern wieder nach

Spanien zurückschaffen sollte (!)». (Nicht die Kaufleute, sondern die Bücher waren für

Spanien bestirnmt!) Diese falsche Übersetzung hatte zur Folge, daB Kalkoff Aleanders De-
pesche beiseite lie1\, als er Jahre spater über die Marranos von Antwerpen und ihrer Sympa-
thie für Luther sChrieb, vgl. Die Anfiinge der Gegenreformation in den Niederlanden, 1,

(Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 79), Halle 1903, 41ff.
123. Longhurst, Luther in Spain, a.O., 67; Redondo, Luther et l’Espagne, a.O., 121.
124. Ebd.; ebd.
125. J. Ignacio Tellechea, Tiempos recios, a.O., 1977, 21f.

126. «Do poi le míe altre scritte a di doi del presente io ho fatto bona inquisitíone di in-
tender, come si porta Antvversa nel fatto di Luther, et trovo, che invero l’universal tutto

si porta benissirno, eccetto alcuni mercanti Alti Alemani et alcuni Marani, li quali dicono
et fanno pur qualche puzía in favor di Luther, del che Cesar é ben advertito.», Brüssel,
etwa 8. Sept. 1521, vgl. Brieger, «Aleander und Luther,» a.O., 264. Zu den Au1l.erungen
über das angebliche Judentum des Aleander vgl. P. Bayle: Dictionnaire hislorique el cri·
tique, ed. París 1820, 1, 423-425. DaB die spanischen Conversos in den Niederlanden in
Luther zeitweise einen Kampfgefáhrten gegen die verha1\te Inquisition gesehen haben, sol1-
te man nicht aIlzusehr veraIJgemeinern, denn Conversos waren auch Luis Coronel, der 1522
als Inquisitor gegen Luthers Anhiinger in Gent und Brügge vorging; Juan Luis Vives, der
1522 in seinen Kommentaren zum De civitate Dei die Inquisition zwar heftig kritisierte,
für Luther jedoch keinerlei Sympathie zeigte; oder der Hebr3.ischlehrer und Erasmusfreund
Mateo Adriani aus Huesca, von dem Luther 1521 schrieb: «Nihil hornini feci, conciones
meas insectatur, parartus me docere Evangelium, qui Moisem suum non intelliget.» (WA
Briefe, 2. Bd., 193, 211, 266.) Der Zulauf von spanischen Conversos zum Luthertum und
Calvinismus in den Niederlanden fand ent spliter statt (Encinas, Marcos Pérez, López de
298

aber kein einziges Exemplar je gesehen noch irgendwa über eine allfállige Ver-
nichtung berichtet warden ist, konnen wir ruhig annehmen, daB diese spani-
schen Obersetzungen von Luthers Büchern nur in Aleanders Phantasie existier-
ten 127. Erst im Jahre 1531 erfahren wir van einem Buch Luthers in Spanien

«q ue era escripta en rromange» 127 a.
Villanueva, Fernando de Bernuy). In Kastilien hingegen stellten Conversos die grol1te Zahl

der Alumbrados (Bataillon, Erasmo y Espafia, a.O., 180f.) Auch die Converso-Abstam-
mung von Juan de Valdés, die Bataillon noch als nur wahrscheinlich betrachtete, ist kürz-
lich von M. Jiménez MonteserÍn bewiesen worden. Da die Inquisitoren geneigt waren,

zwischen Alumbradismus und Lutherturn einen kausalen Zusarnrnenhang zu sehen (A.
Márquez, Los Alumbrados, a.O., 159), darf es nicht verwundern, daJ1 sich der Kardinal
Siliceo zu der Behauptung versteigen konnte, es sei ein «fait bien connu, que les chefs
hérétiques qui ont bouleversé l’Allernagne et qui sont le scandale de toute la chrétienté

descendent de Juifs. ‘L’Espagne elle rneme peut offrir I’exernple des alumbrados ou pullul-
laient les Confesos.» (A. Sicroff: Les controverses des statuts de «Pureté de IIllng» en Es-
pagne, Paris 1960, 111.) Und selbst Karl V. schrieb 1558 anl¡¡j)¡lich der Entdeckung der

evangelischen Gerneinden von Sevilla und Valladolid an seine Tochter: Man solle gegen

diese Leute exemplarisch vorgehen, «en especial siendo confesos, por habello sido casi to-
dos los inventores de estas herejías» (A. Dornínguez Ortiz: Los Judeoconversos en Es-
pafia y América, Madrid 1971, 158).

127. Aleander hatte seine Depesche über den Druck von spanischen Lutherübersetzungen
aus Worrns, nicht aus Antwerpen geschrieben, er war also kein testis ocularis. Als er arn
13. Juli 1521 vierhundert lutherische Bücher in Antwerpen verbrennen Iiefl., ist weder in
Aleanders Bericht (Brieger, 249) noch im Bericht des Lutheraners Gerardus Geldenhauer
(G. Geldenhauer: Colfectanea van G. Geldenhauer, Arnsterdam 1901, 12f.) kein Wort über

die Sprache zu vernehrnen, in der die Bücher geschrieben waren. Longhurst, der diese Do-
kumente nur aus zweiter Hand kennt (Bataillon, Lea), dreht die Tatsachen folgenderrnaJ1en

urn: «Jerome Aleander, when he discovered that Spanish editions of Luther’s writings
were being printed in Antwerp, rounded up all he could find and consigned thern to the

flarnes of a great public bOnIrre on July 13, 1521.» (Luther in Spain, a.O., 68). Einen ahn-
lichen Wert haben Longhurst’s Angaben über die Drucke der spanischen Obersetzungen

von Luthers Kommentar zum Galaterbrief und vorn De libertate christiana («Flanders
1520») sowie vorn De servo arbitrio («Antwerpen ca. 1525»): Hier ist die Quelle, Thomas
M’Crie: History of the progress ami supression of the Reformation in Spain von 1828.
M’Crie hatte aber die Titel aus Daniel Gerdes: Historia reformationis, Tornus III, 166-172
(einem Auszug aus den Memoiren des Francisco de Encinas) und die Erscheinungsdaten

der Originalausgaben einfach dazugesetzt. Encinas hatte das De libertate christiana über-
setzt, das durch seinen Bruder Diego in Antwerpen veroffentlicht wurde, aber erst 1540!

(E. Boehrner, Spanish Reformers, 1, 165f.) und drei Jahre spiiter wurde er beschuldigt,
auch das De servo arbitrio übersetzt zu haben (ebd., 166). Das uns schon bekannte Buch
Okolarnpads, das Vergara besaJ1 und in Alcalá zirkulierte, wird plotzlich als «spanische
Übersetzung» bezeichnet und in die Mehrzahl gesetzt: «Spanish rnerchants with business

in Flanders were buying Spanish editions of books by Luther and Ocolampadius and ship-
ping thern horne.» (Longhurst, Luther in Spain, a.O., 69) In seinem Luther’s Ghost in

Spain (ich kenne das Buch nur aus Nieto’s Résurné in «Luther’s Ghost and Erasmus Masks
299

Trotzdem wurden immer wieder lutherische Bücher in Latein nach Spanien
geschmuggelt und der Inquisition gelang es sogar, in den Seehafen von Valencia

(1521), San Sebastián (1523) und Granada (l525) gro~e Mengen sicherzustel-
len128• In seinem neuen Aufsatz «Luther’s Ghost and Erasmus’ Masks in Spain»

hat sich Nieto an diese Daten geklammert, um die Inftltration lutherischer Bü-

cher in die Peripherie der Halbinsel, wo es keine Alumbrados gab, zu beschriin-
ken, auch wenn er die M6glichkeit eines direkten Kontakts von Alcaraz mit

dieser klandestinen Literatur nicht mehr so radikal wie früher bestreitet. Was er
irnmer noch bestreitet ist die M6glichkeit, d~ diese Bücher, sollten sie Alcaraz
zu Gesicht gekommen sein, etwas Wesentliches in seinem theologischen System
veriindert hiitten 129.
Jetzt, wo wir wissen, wie gut Alcaraz’ Lieblingsschüler Juan de Valdés mit den
Büchern des Reformators urnzugehen verstand, müssen wir uns fragen, ob er

sich diese Fiihigkeit nicht erst in Escalona in der Umgebung von Alcaraz erwor-
ben hatte.

Zwar wurden nur drei der achtundvierzig irn Edila der Alumbrados aufgeftihr-
ten Irrtümer ausdrücklich als ,)utherisch» qualiflZiert (Beichte, Heiligenvereh-
rung und Abl~), aber fUr mindestens zwartzig weitere Siitze lie~en sich mit

Leichtigkeit entsprechende Texte des frühen Luther fmden. Und natürlich noch
viel mehr, wenn man die über dreihundert Propositionen in den Summarien der

Denunziationen durchliest, aus denen, wie A. Márquez bewiesen hat, die Inqui-
sitoren ihre Auswahl fUr das Edikt trafen130. Begnügen wir uns mit einer dieser

letzten, die allerdings den Kern des Alumbradismus betrifft. ,,3. Articulus: lam

dicendum est de nova doctrina huius rei (quae pertinet ad materiam liberi arbi-
trü) quod ad dimissionem seu suspensionem voluntatis creatae in deum quam

hic reus (Alcaraz) vocat lingua vernacula dexamiento o dexarse en dios ubi vo-
luntas suspendat omnem actum suum.»131

Márquez hat sich gewundert, daB die Lehre des Dexamiento irn gleichen Kapi-
in Spain,» in: Bibliotheque d’Humanisme et Renaissance, 39, 1977, 33-49, Anm. 14)

spricht Longhurst von spanischen Ausgaben einiger Werke Luthers in Basel um 1520. Da
aber Longhurst in seinem früheren Aufsatz («Luther and Spain,» a.O., 66) den Brief Fro-‘
bens an Luther von 14.2.1519, wonach der Basler Drucker 600 lateinische Exemplare des
Reformators nach Frankreich und Spanien geschickt hatte, richtig interpretiert, geht diese
Erfindung vielleicht nicht auf sein Konto zurück.
127a. Redondo, Luther et l’Espagne, a.O., 154 Anm, 3.
128. Longhurst, «Luther and Spain,» a.O., 68f.; Redondo, Luther et I’Espagne, a.O.,
126f., l3lf., 134f.
129. Nieto, «Luther’s Ghost and Erasmus Masks,» a.O., Anm. 20.
130. Márquez, Los alumbrados, a.O., 103ff.
131. Ebd., 112.
300

tel wie die vom «servum arbitrium» zusarnmengezogen wurde und deshalb die
Inquisitoren als Urheber dieser Vermischung bezeichnet. D~ aber die beiden

Lehren untrennbar waren, hatte schon Luther mehrere Jahre zuvor ín der Aus-
legung des Vaterunser ausdIÜcklich dargelegt.

«Omnino enim diffidendum est facultati propriae, qua nobis vide mur bonam

voluntatem, bonam intentionem, bonumque propositum habere aut facere pos-
se. Igitur ut superius dictum est, ibi verissime est bona voluntas, ubi nulIum est

velIe. Ubi autem nullum est velIe, ibi solummodo Dei est voluntas, omnium
praestantissima. ( … ) Atqui libera voluntas est quae proprium velIe non habet,

sed totam se divinae committi voluntati, per quam et ipsa libera permanet, nun-
quam adhaerens vel affIXa. ( … ) Porro nisi peccatis sit vacuus, nemo potest esse

integer, a peccatis autem vacue fieri datur, cum nostra voluntas radicitus evulsa
ac solius Dei voluntas in nobis esto ,,132
Ebenfalls in den Decem praecepta wittenbergensi praedicata popu/o, um nur

bei den von Valdés gebrauchten Büchern zu bleiben, sprach Luther von der not-
wendigen Gleichgültigkeit der wahren Christen den guten oder schlechten Er-
fahrungen gegenüber: ,,Et prorsus ita sint ad utrumque immoti et quieti, ut

quoquo modo illa cadant satis sit eis, quod Jesum Christum habent.»133 Valdés
übersetzte hier «de la una parte y de la otra seguro y sosegado», offenbar um

Worte wie quieto, dejado usw., die stark nach Alumbradismo kIangen, zu ver-
meiden. Diese Sorgen hatten die frühen Anhlinger Luthers nicht, und Andreas

Bodenstein von Karlstadt etwa kOlmte nicht Worte genug fmden, um den Dexa-
miento als die erste Voraussetzung flir die Nachfolge Christi zu preisen; man

lese nur die letzten Seiten seiner Missive van der al/er hóchsten Tugent Gelas-
senheyt, Augsburg 1520 und Wittenberg 1521.

Ob es sich bei dem Dexamiento der Alumbrados um direkte Abhángigkeit von
Luther handelte oder vielmehr um die logische Entwicklung der lutherischen

Lehre des «Servum arbitrium», konnen wir beim heutigen Stand unsererKennt-
nisse nicht entscheiden. Auf jeden Fall darf die künftige Forschung das Zeugnis

von Juan Maldonado über die Alumbrados nicht, wie Bataillon, vollig entwer-
ten oder wie Nieto einfach verschweigen: ,,Ego quid divinem non habeo, nisi

quod plane suspicor scintillam fuisse Lutheranam: quae si non fuisset a censori-
bus mature supressa, magnum aliquod suscitasset incendium. ,,134 Der abtrünni-
ge Erasmist Maldonado kam der historischen Wahrheit sehr nah, als er in seinem

De foelicitate christiana weiterschrieb: «Praedicabant Christum,jactabant Evan-
132. Luther, Expositio dominicae orationis, a.O., 108.
133. WA 1,400 16-17.

134. J. Maldonado: De foelicitate christiana (1534 geschrieben), in: /. Maldonati quae-
dam opuscula, Burgos 1541 (zitiert nach Bataillon, Diálogo, 4lf. Anm. 1).

301

gelium et bonam mentem: erantque nauseabundi ad maiorum decreta, sacro-
rumque plaerosque ritos: redolebant certe Lutherum: et praeterea forte novum

quidpiam induce re moliebantur.»135
Aber ebenso verfehlt wiire es, die Lehren und Taten der Alumbrados dexados

allein auf Luther zurückfiihren zu wollen: Die zentrale Rolle, welche die Fr6mm-
lerinnen («Beatas») in der Bewegung spielten, die morbide Abhiingigkeit auch

vongelehrten Kopfen ihnen gegenüber und das prophetische Gehaben, mit dem
sie sich von den anderen absonderten, waren einem Protestanten wie Juan Díaz

derart zuwider, dl& er die Alumbrados in den gleichen Topf warfwie die An-
hiinger von Loyola oder die Zauberer und Hexen. In Spanien, antwortete er

1544 in Regensburg seinem Widersacher Pedro de Malvenda, gebe es auch ,,non

paucos phanaticos spiritus, qui novasquotidie sectas instiuunt: quales sunt Illu-
minatorum, Ignigistarum, Beatarum, Magorum, Lamiarum, et hoc genus infini-
ta portenta,ad quae hominum ingenia necessario relabuntur, quando verbum

dei tanquam certissimam vitae ac veritatis regulam non intuentur,,136.

V.

Soviel wir überblicken k6nnen, begann Luther erst durch die Übersetzung und
Adaptation von Juan de Valdés spanisch zu sprechen, und es wurden Texte von

ihm in Spanien gedruckt – aber bald danach auch in Amerika: Denn die Doc-
trina cristiana des Bischofs von Mexiko, Juan de Zumarraga (México 1545-46),

ist ein treuer und vollstiindiger Nachdruck (lediglich die Dialogform wurde in
laufende Prosa abgeandert) der Suma de doctrina cristiana des Constantino
Ponce de la Fuente (Sevilla 1543), die ihrerseits viele Stellen aus dem Diálogo
des Valdés übemommen hatte 137•
Der Doctor Constantino, derzur gleichen Zeit wie sein Landsmann Valdés in
Alcalá studiert hatte, m~ früher oder spiiter um die wirklichen Quellen des
Diálogo gew~t haben, denn er folgte Luthers katechetischen Schriften auch an

Stellen, die Valdés nicht abgeschrieben hatte, so zum Beispiel in seiner Aufziih-
lung der Versto~e gegen daserste Gebot.

«Nunc de altera specie transgressionis dicendum, scilicet eorum, qui pro vero
deo idolum sapiimtiae et iusticiae suae colunt» (WA 1,426).
«Las obras contrarias son, confiar el hombre en su propio saber … [Pecan tam-
135. Ebd.
136. Claudius Senarclaeus: Historia vera de morte saneti viri Joannis Diazii Hispani,
quem eius frater germanus Alphonsus Diazius … nefarie ínterfecit, (Basileae, Oporin),
1546,64.
137. Bataillon, Erasmo y Espafla, a.O., 825f., 535ff.
302

bién contra él] los que ponen su confianya en sí mismos yen las obras de su
justicia. ,,138
Mehr konnte Constantino vorlaufig nicht sagen, denn was hier bei Luther
folgt, ist ein Kapitel über die Lehre des «servum arbitrium». Da die Suma der
praventiven Zensur der Inquisition unterworfen war, mu~te er seine Quellen

viel geschickter als Valdés verstecken, was ihrn dank seiner langjahrigen Erfah-
rung als Prediger und einer au~erordentlichen Beherrschung der Sprache zu-
niichst vollkommen gelang. Menéndez y Pelayo nannte die Suma des Constan-
tino den zwar nicht orthodoxesten, daftir aber am schonsten geschriebenen

Katechismus, und empfahl sie als klassisches Buch der spanischen Sprache. Ba-
taillon seinerseits hat in der Suma, obwohI der Name Erasmus dort nie erwiihnt

wird, den Inbegriff der Spiritualitiit des spanischen Erasmismus gesehen 139• Wir
hoffen, einmal zu zeigen, mit welcher Akribie und Eleganz der Domprediger

von Sevilla manche Grundbegriffe der Reformation unbeschadet durch die Zen-
sur der Inquisitoren zu schmuggeln verstand 140.

Durch Constantino gelangte auch mancher Satz Luthers in den portugiesi-
schen Compendio de doctrina christiía des Fray Luis de Granada (Lisboa 1559;

span. Obers., Madrid 1595), wo der oben zitierte Satz lautet: «Finalmente que-
brantan este precepto los que la principal confianza de su salvación tienen pue-
sta en sus obras y propios merecimientos, en su industria y justicia.,,141

Fray Luis hatte nicht nur die Auslegung des Vaterunser gro~tenteils von Con-
stantino überoornmen 142, sonde ro hatte. die Suma auch in der Erkliirung des

G1aubenssymbols und im Kornmentar zu den zehn Geboten wo irnmer moglich
verwendet 143.
Schlie~lich gerieten Texte von Luther auch in die berühmten Comentarios

sobre el Catechismo Christiano des Erzbischofs von Toledo, Bartolomé Carran-
za. Es ¡st schade, d~ in der schOnen kritischen Ausgabe des José Ignacio Tel-
lechea die Entlehnungen aus Valdés und Constantino nicht in den Anmerkun-
gen verzeichnet wurden. Aber auch sonst hatte Carranza lutherische Bücher

138. C. Ponee de la Fuente: Summa de doctri1lll ChrilItia1lll, ed. Luis Usoz (Reformistas
antiguos españoles XIX), 96.
139. Dúilogo, 198f.; Bataillon, EralImo y ElIpaffa, a.O., 539.

140. Ieh kenne noeh nieht W. BurweIl Jones: ConlItantino Ponce de la Fuente: The Prob-
lem o[ Protestant Influence in Sixteenth-Century Spain, (unveroff. Diss.), Nashville 1965.

141. Luis de Granada: Obras completalI, I1I, (Biblioteca de Autores Españoles XI), Ma-
drid 1945, 96b.

142. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 589.
143. J. R. Guerrero: «Catecismos de autores españoles de la primera mitad del siglo XVI

(1500-1559),» in: Repertorio de la BilItoria de las Ciencias Eclesúisticas en ElIpQffa, 2, Sa-
lamanca 1971, 259.

303

verwendet, da er seinen Katechismus als ein Bollwerk gegen die Reformation

verstanden wissen wollte, und dadurch profitierte er natürlich auch für die Re-
daktion seiner eigenen Kornmentare:

«Ideo denique et negative praecipit (d.i. non habeto deos alienos), quia nega-
tiva est vehementior quam affirmativa. siquidem et samaritani olim coluerunt

unum deurn sed simul deos suos» (WA I 398-399).
«Esto digo: que en la negación, diciendo: no tendrás dioses ajenos, no hay
menos significación para lo que Dios quiere de nosotros que en la afirmación.
Porque los samaritanos conocieron al Dios que servían los judíos, que era el
verdadero, y juntamente servían a sus dioses. ,,144
Dieser Vergleich steht stellvertretend fúr viele andere, theologisch markantere
Texte wie etwa die Auffassung des sabbatum spirituale oder die Deutung des

Fiat voluntas tua, deren Gegenüberstellung hier allerdings zu viel Raum bean-
spruchen würde l44a•

So hatte sein Widersacher Melchor Cano nicht so unrecht, als er Carranza im

Auftrag der Inquisition bezichtigte, er hatte, wenn auch guten Glaubens, man-
che Irrtümer aus lutherischen und alumbradistischen Büchern in seinen Kate-
chismus übernornmen145. Auch nicht ganz zu unrecht verbot Gregor XIII. 1576

den Katechismus in jeglicher Sprache, weil Carranza «der schlirnmen Lehre von

vielen verurteilten Ketzern wie Martin Luther, Okolampad und Philipp Melan-
chthon gehuldigt hatte, und nicht wenigen von deren Irrtümern stellenweise

verfallen sei. ,,146
Aber damit sind wir noch nicht am Ende der Oberraschungen. Ein spanischer

Forscher, A. García Suárez hat neulich die These aufgestellt, d~ der Catechis-
mus Romanus des Trienter Konzils sehr stark von den Comentarios des Carranza

beeinflu~t- wurde 147. Sollte sich dies bewahrheiten – was angesichts der beweg-
144. Bartolomé ,Carranza de Miranda: Comentarios sobre el Catechismo Christiano, hg.
J. I. Tellechea Idígoras (BAC maior 1-2), Madrid 1972, 1, 448f.
144a. Als ich diese Zeilen schrieb, kannte ich weder Tellechea’s Aufsatz «Melanchton y
Carranza. Préstamos y afinidades» (Diálogo ecuménico, 12, 1977,3-50; 13, 1978,3-47;

301-363; 14, 1979, 3-53) noch dessen deutsche Kurzfassung «Melanchthon und Carran-
za. Wortsinn und Wiederhall» (in: Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger

Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche. Internationales Symposium der Ges. zur Her-
ausgabe des Corpus Catholicorum in Augsburg vom 3.-7. September 1979, hg. von Erwin

¡serloh, Münster 1980, 687-691).
145. Márquez, Los alumbrados, a.O., 113.
146. M. Menéndez y Pela yo , Historia de los heterodoxos, a.O., V, 63.
147. A. García Suárez: «El Catecismo de B. Carranza, fuente principal del Catecismo
Romano de S. Pio V?,» in: Scripta Theologica, 2, 1970, 341-423 (zit. nach Tellechea’s
Ausgabe der Comentarios des Carranza, a.O., 1, 88f.).
304

ten Geschichte der Entstehung dieses Katechismus nicht leicht zu beweisen sein
wird 148 – so wiire es bestirnrnt reizvoll, in diesem fUr 400 J ahre m~gebenden

Lehrbuch der romischen Kirche nach Texten Luthers zu suche n und moglicher-
weise festzustellen, d~ solche über den Diálogo de doctrina des Juan de Valdés

dorthin gelangt sind.
Carlos Gilly
Frobenstrafle 75, CH-4053 Basel

ABSTRACT

When Juan de Valdés, a young student, published his Diálogo de doctrina cristiana in Al-
calá in 1529, he saw no better way to cover up the true sources of his work, narnely

Luther and Ocolampadius, than to use the name of Erasmus. So successful was he with
this disguise that he not only deceived the Spanish Erasmians but also the Inq uisition,

which was for more alert, as well as later historians. He was certainly mistaken in his as-
sumption that the Spanish inquisitors would make a substantive distinction between Eras-
mus and Luther. His Diálogo was so relentlessly pursued that only a single copy survived.

In 1922 Mareel Bataillon discovered it in Lisbon and three years later the French hispanist
published a facsímile edition in Coimbre. Bataillon’s interpretation of the young Spaniard
basing his world view on Erasmus shaped the historiographical portrait of Valdés for four
decades. José C. Nieto was the first person to change this picture with his Juan de Valdés

and the Origins of the Spanish and [talian Reformation (Geneva, 1970). He correctly di-
minished Erasmus’ function to that of serving as an alibi. Nieto then traced the doctrines

put forth in the Diálogo exc1usively to the influence of the Alumbrado, Pedro Ruíz de

Alcaraz, whom he saw as a precursor of Luther in the formulation of the doctrine of justi-
fication by faith as well as other «major themes of Protestant theology.» The present

artic1e demonstrates the presence of Luther’s early catechetical works – Decem praecepta
Wittenbergensi praedicata populo of 1518, Explanario dominicae oratíonis of 1520 and so

forth – in Juan de Valdés’ Diálogo. This not only destroys Nieto’s theory of an autoch-
thonous Spanish Reformation but, at the same time, requires a new evaluation of the

origins of the Alumbrado Movement in Spain. During the Italian period of his literary
activity, Valdés always reached back to Luther’s writings, even after he himself had taken
a more radical religious direction. This incessant crypto-Lutheran propaganda diffused by
Valdés and the broad movement which sprang from it, bear witness to the need to relate

the role of Erasmianism in Spain and Evangelism in Italy as the embodíment of pre-Tri-
dentine spirituality.

148. Gerhard Bellinger: Die Antwort des Catechismus Romanus auf die Reformation,

Diss. Univ. Münster, 1965, 7 -24. «Von den uns bekannten Theologen (die an der Verfas-
sung des Katechismus Romanus mitarbeiteten), karnen neun aus Spanien, drei aus Italien,

drei aus Flandern und mehrere Theologen aus LOwen und Frankreich.» Drei Italiener und
ein Portugiese waren fUr die letzte Fassung verantwortlich, ebd., 20f.

305

Sonderdruck aus

Archiv für Reformationsgeschichte

Jahrgang 74 . 1983

Gütersloher Verlagshaus Gerd MohnJuan de Valdés: Übersetzer und Bearbeiter
von Luthers Schriften in seirtem Diálogo de Doctrina
Von Carlos Gil/y
Am 14. Januar 1529 erschien in Alcalá de Henares aus der Presse des Universi-
tiitsdruckers Miguel de Eguía ein anonymer Katechismus mit dem Titel Diá-
logo de Doctrina christiana nuevamente compuesto por un Religioso 1. über die
Orthodoxie des Diálogo dürfte der engagierte Buchdrucker keine Bedenken ge-
hegt haben, wurde doch darin die Lektüre der Werke des Erasmus empfohlen,
mit denen Eguía den spanischen Büchermarkt seit J ahren versorgte 2. Au~erdem
hatte ein Domherr zu Sant Yuste, der Erasmist Hernán Vázquez, das Manu-
skript tagelang geprüft und allfállige gewagte Stellen daraus entfernt 3• D~ das
Buch anonym erschienen war, brauchte den Drucker ebenfalls nicht zu beun-
ruhigen, denn das Verbot, «quosvis libros de rebus sacris sine nomine auctoris»
zu drucken oder zu verkaufen, wurde erst 15 Jahre spiiter in Trient erlassen.
Und überhaupt war es in Alcalá ein offenes Geheimnis, wer der Verfasser war:
Juan de Valdés, ein Student der Complutensis, dessen Bruder Alfonso als Se-
kretür beim Kaiser fungierte.
Miguel de Eguía konnte ja nicht ahnen, d~ er in Wirklichkeit eine Bearbei-
tung von Schriften Luthers gedruckt hatte. Die betonte Priisenz von Erasmus
war lediglich ein Vorwand des Verfassers gewesen, um die Zensurbehorden von
den wahren Quellen des Buches abzulenken: Martin Luthers Decem Praecepta
1. DiJilogo de doctrina cristiana, reproduction en fac-similé de I’exemplaire de la Biblio-
theque Nationale de Lisbonne (édition d’Alcalá de Henares, 1529), avec une introduction
et des notes par Marcel Bataillon, Coimbra 1925 (im folgenden zitiert: Diálogo); Marcel
Bataillon: Erasme et I’Espagne, Recherches sur l’histoire spirituelle du XVIe siecle, Paris
1937 (zitiert nach der 2. spanischen Ausgabe, Erasmo y España, estudios sobre la historia
espiritual del siglo XVI, México-Buenos Aires 1966), 345ff.; John E. Longhurst: Erasmus
and the Spanish Inquisition: The case 01 Juan de Vakiés, Albuquerque 1950, 35ff.
2. Bis 1529 hatte Miguel de Eguíafolgende Werke des Erasmus gedruckt (die Zahlen ent-
sprechen der Numerierung in Bataillons Bibliographie, Erasmo y España, a.O., xxi-cxvi):
Lateinisch, Nr. 467,468,496,497,500, SOl, 507, 513, 514, 517, 534, 554, 560, 561,
562, 563, 564, 565, 566; Spanisch, Nr. 487, 490, 504, 505, 519, 520, 555, 568, 575.
3. Diálogo, 68f.; John E. Longhurst: «Alumbrados, erasmistas y luteranos en el processo
de Juan de Vergara», in: Cuadernos de Historia de España, Buenos Aires, fase. xxvii, 1958,
99-163; xxviii, 1958, 102-165; xxix-xxx, 1959, 266-292; xxxi-xxxii, 1960, 322-
356; xxxv-xxxvi, 337-354; xxxvii-xxxvii, 1963, 356-371 (im folgenden zitiert als
«Proceso de Vergara» und nach der Foliierung im Original, Archivo Histórico Nacional,
Inquisición de Toledo, lego 223, núm. 42), f. 181ro.
257
Wittenbergensi praedicata populo von 1518, Luthers Explanatio dominicae
orationis pro simplicioribus laicis von 15201 Okolampads In Iesaiam Prophetam
Hypomnemata von 1525 und wahrscheinlich noch Melanchthons Enchiridion
elementorum puerilium von 1524.
Dies haben allerdings auch die Theologen von Alcalá nicht gemerkt, auch
nicht die spanische Inquisition und ebensowenig die alte und neuere Valdésfor-
schung. Aber gehen wir der Reihe nacho
1.
Der Didlogo de doctrina schien zunachst derart ungef3hr1ich, d~ der neu er-
~annte Inquisitor von Navarra, der Erasmist Sancho Carranza de Miranda, gleich
mehrere Exempiare erwarb und sie unter dem K1erus seiner Diozese verteilte.
Erst nach sorgfáltiger Lektüre habe er einige Sachen bemerkt, «die nicht gut
ausgedrückt worden waren; allerdings nichts, das in früheren Zeiten Anstofl er-
regt hatte oder das mit geringftigigen Anderungen nicht korrigiert werden konn-
te.»4 Aber das Buch mufl bald auch andere Leser gefunden haben, die es nicht
so woh1wollend wie Carranza beurteilen wollten. 1m Gegenteil: gekriinkt wie
viele Ordensbrüder waren, nachdem die Konferenz von Valladolid von 1527
aufgelost wurde, ohne d~ sie die dort angestrebte Verurteilung des Erasmus er-
reicht hatten, und noch mehr, weil die hochofflzielle Protektion des Verfassers
vom De libero arbitrio und von der Hyperaspistes durch Papst und Kaiser, durch
den Groflinquisitor Manrique und den Primas von Spanien, Fonseca, die Or-
densbrüder gezwungen hatte, dieApologia ad Monachos hispanos stillschweigend
hinzunehmen, sahen sie in der Publikation des Didlogo de doctrina den ersehn-
ten Seitenweg, uro die spanischen Erasmisten zu bekampfen.
Wahrscheinlich auf eine Denunziation aus diesen Kreisen hin beauftragte der
Groflinquisitor Manrique die theologische Fakultiit von Alcalá mit der Oberprü-
fung des Didlogo, woh1 in der Oberlegung, d~ die meist erasmianisch gesinnten
Complutenses die Áffáre um dieses Buch, flir das sogar sein Sekretiir, Luis Co-
ronel, so sehr schwiirmte, ohne grofles Aufsehen beilegen würden. Zur Sicher-
heit schickte Manrique jedoch seinen Freund Carranza zu der bereits tagenden
Kommission und liefl den Theologen mitteilen, er wüosche keine theologische
«QualifIkation» der im Didlogo aufgestellten Thesen (d.h. keine Aufstellung
more theologico von suspekten, aus dem Zusammenhang gerissenen Siitzen mit
der üblichen Zensur ,,haeresiam sapit» etc.), sondern vielmehr, d~ das Buch
4. «Proceso de Vergara,» f. 203vo; Diálogo, 65f.; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 361,
363. Longhurst, Erasmus and (he Spanish /nquisition, a.O., 40.
258
korrigiert und so ungefáhrlich als moglich wieder gedruckt würde s. Auch Juan
de Vergara, hinter dem der Erzbischof von Toledo, Fonseca, stand, mahnte
zwei der Theologen, Alonso Sánchez und Juan de Medina, zur Moderation in
der Zensur, uro einen Neudruck des Diálogo zu ermog1ichen 6• Juan de Valdés
selbst, von Medina um den Sinn einiger Stellen aus dem Buch befragt, bat die-
sen instandig, so1che Stellen nicht zu notieren und auch nicht zu verOffentli-
chen, denn er hatte sie, so schwor er, keineswegs im unorthodoxen Sinne ge-
meint ‘. Von seiten der aufgeklarten Theologen Mateo Pascual, Pedro de Lerma
und Hernán Vázquez hatten die Freunde des Valdés nichts zu beftirchten. Vor
der Kornmission machte Vázquez sogar kein Hehl daraus, das Manuskript gele-
sen und korrigiert zu haben und verteidigte mit Vehemenz die Orthodoxie der
gesarnten gedruckten Fassung des Diálogo 8. Kein Wunder also, d~ unter sol-
chen Umstanden der SchluBbericht der Kommission fUr das Buch relativ günstig
ausfiel, auch wenn einige Theologen ihre Unterschrift unter das Dokuroent ver-
weigerten wegen dessen «gro&r Milde», wie sie Jahre spater vor der Inquisition
aussagten 9. Valdés konnte sich vorHiufig auBer Gefahr wahnen, und sogar Eras-
mus gratulierte ihm Mitte Marz von Base] aus, weil der junge Freund «incolu-
men ex isto naufragio enatasset»lO.
Aber die Ordensbrüder lieBen nicht locker. Der Franziskaner Pedro de Vitoria
griff den Diálogo in seinen Predigten scharf an, so d~ eine begeisterte Erasmus-
leserin, María de Cazalla, das Buch «zuunterst in einem Koffer» versteckte und
ihren Tochtern die weitere Lektüre untersagtell. Andererseits begingen die
Buchhandler die Unvorsichtigkeit, das Buch weiterhin Offentlich zu verkaufen,
was den Empfehlungen der Kommission gewili zuwiderlief. So muBte Man-
rique, um die Angelegenheit nicht zu einem noch groflJeren Skandal anwachsen
zu lassen, die Regionalinquisitoren in einem Rundschreiben anweisen, alle in
ihren Gebieten feilgebotenen Exemplare des Diálogo zu beschlagnahmen12• Das
Rundschreiben des GroBinquisitors tragt zwar das Datum vom 27. August 1529
und ist auch dann abgeschickt worden; aber die Formulierung «es wurde vor
5. «Proceso de Vergara,» f. 182ro ; Didlogo, 66, 70f.; Longhurst, Erasmus, a.O., 40, 42f.
6. «Proceso de Vergara,» f. 181vo-182vo ;Didlogo, 69f.; Longhurst, Erasmus, a.O., 4lff.
7. «Proceso de Vergara,» f. 182co ; Didlogo, 70; Bataillon, Erasmo y Espafla, a.O., 362.
8. «Proceso de Vergara,» f. 181rO ;Diálogo, 68f., 116; Longhurst, Erasmus, a.O., 38-40.
9. «Proceso de Vergara,» f. 181ro – vo ; Longhurst, Erasmus, a.O., 44.
10. Diálogo, 67; P. S. Allen: Opus epistolarum Erasmi, 8,96 (ep. 2127 1-3).
11. Didlogo, 73; Milagros Ortega Costa: Proceso de la Inquisición contra María de Caza·
Ha, Madrid 1978, 137.
12. Diálogo de Doctrina Cristiana de Juan de Valdés (Biblioteca de visionarios, hetero-
doxos y marginados 25; ed. von JavÍer Ruiz mit einem Anhang von Miguel Jiménez Monte-
serín), Madrid 1979,182-183.
259
wenigen Tagen ein Buch gedruckt» zeigt uns klar, d~ das Dokument in seiner
ersten Fassung unmittelbar nach Eintreffen des Berichts der komplutensischen
Kornmission, aIso wohl irn Februar, verf~t wurde. Offenbar hatte Manrique
lange gezogert, die Inquisition direkt in eine Sache einzuschalten, in der sich
einige seiner engsten Freunde und sogar er selbst allzusehr engagiert hatten. Da
aber die Affare, anders als die Konferenz von Valladolid 1527 und auchanders
als der Skandal um den Diálogo de Lactancio des Alfonso de Valdés 1528, dies-
mal zu überborden drohte, m~te er die Angelegenheit offlZiell den Inquisito-
ren übergeben. Das Buch enthalte, so ist irn Rundschreiben zu lesen, ,,muchas
cosas erróneas e no bien sonantes, y ansí está declarado por muchos doctores
teólogos que le han visto y examinado, et conviene con toda diligencia y pre-
steza proveer y remediar cómo el dicho libro no se venda ni extienda por diver-
sas manos e personas, porque después sería difícil remediarse»13. Von der Mog-
lichkeit einer zweiten, expurgierten Ausgabe war darín überhaupt nicht mehr
die Rede; vielmehr betonte Manrique, wie das Werk die Leser zu IrrtÜInern ver-
leiten konnte, die danach nur schwer zu beseitigen waren~
Wie er sein Buch in den Handen der Inquisition sah, war es fijr Valdés klar, d~
ilm nur die Flucht vor dem unweigerlich kornmenden ProzeB und der sicheren
Verurteilung retten konnte. Bereits am 22. September übertrug er seinem Bru-
der Diego die Verwaltung einiger Renten und kurz darauf, wahrscheinlich noch
vor dem ersten Verhor von Vergaras Halbbruder Bemardino Tovar, verlieB er
Spanien ftir irnmer14.
Tovars erstes Verhor durch die Inquisition irn Dezember 1529 und seine de-
fmitive Verhaftung zehn Monate spater machten den Anfang ftir eine Kette von
Prozessen, welche den Erasmismus in Spanien in wenigen Jahren endgültig zer-
schlagen sollte. Allein 1530 wurden unter anderem die Prozesse gegen Juan de
Vergara, Miguel de Eguía, Mateo Pascual und Juan de Valdés eingeleitet. Bald
folgten diejenigen von Alfonso de Valdés, Juan del Castillo, Juan und María de
Cazalla1S. Leider sind nur wenige Akten dieser Prozesse erhalten geblieben, aber
aus diesen geht deutlich hervor, mit welchem Nachdruck die Unterstützung
oder auch nur die einfache Lektüre des Diálogo de doctrina zum Anklagepunkt
erhoben wurde.
Juan de Vergara, der am meisten von einer IdentiflZierung der wahren Quellen
von Valdés’ Buch zu beftirchten hatte – die Inquisition hatte Okolampads
13. Ebd., 183; (Archivo Diocesano de Cuenca, Inquisición, lego 224, f. 46ro.)
14. Ebd., 183f.; Didlogo, 80rr.; Bataillon, Erasmo y Espalia, a.O., 452 Anm. 2; Long-
hurst, Erasmus, a.O., 52ff.
15. Bataillon, Erasmo y Espalia, a.O., 437ff., 470ff., 475ff.; Longhurst, Erasmus, a.O.,
74.
260
Kornmentare zu Isaias bei ihm entdeckt! – verneinte gesehiekt, den Didlogo ge-
lesen zu haben. Seine Kenntnisse über das Bueh, so Vergara weiter, beruhten
lediglieh auf den Beriehten von Sancho Carranza und Luis Coronel. Wohl hatte
er bei einigen Theologen der eomplutensisehen Kornmission interveniert; dies
aber nur aus Freundsehaft zu dem jungen Verfasser und keineswegs, um et-
waige Irrtümer im Bueh zu entsehuldigen oder deren Zensur zu vereiteln. Au-
~rdem habe er im personliehen Gespraeh mit Valdés diesen hart kritisiert, sieh
an eine Materie gewagt zu haben, die nieht zu seinem Faeh gehorte 16. Vergaras
gesehickte Verteidigung verfehlte ihre Wirkung nieht: dieser Punkt wurde im
Urteilssprueh fallengelassen.
Nieht so bei Maria de Cazalla. Als diese 1533 wiederholt naeh Valdés’ Bueh
gefragt wurde, gab sie ihren Riehtern die naive Antwort: «Ich habe eueh sehon
gesagt, d~ ieh das Bueh über die Doctrina christiana gelesen habe; da es von
EuerGnaden nieht verdarnmt worden ist, kann kein Irrtum darin enthalten
sein.» 1m Urteilssprueh war es den Inquisitoren ein leiehtes, diese Aussage ge-
gen die Angeklagte zu drehen: «… sie hat das Büehlein der Doctrina christiana
sehr gelobt, obwohl darin wahrhaftig Irrtümer gegen unseren heiligen Glauben
enthalten sind.»17
Die Kommission von Alcalá hatte Valdés wohl freigesproehen, niehtaber die
Inquisition. 1m Gegenteil, diese hatte den Didlogo de doctrina als «lutherisch
und dessen Verfasser formlieh als Ketzer qualiftziert», wie Juan Antonio LIo-
rente, der den heute versehollenen Valdés-ProzeB noeh einsehen konnte, in
seiner Historia crítica de la Inquisición 1818 ~sarnmenf~te18. Die Inquisito-
ren hüteten sieh indes, dieses Urteil vorzeitig preiszugeben, denn sie wollten
den Flüehtling naeh Spanien zurüekloeken19.
Bedeutet das von LIorente überlieferte Urteil, d~ die Inquisitoren die Prasenz
von Schriften Luthers im dem Didlogo de doctrina aufgedeekt hatten? Aufkei-
nen Fall, denn sonst hatten sie nieht auf eine mogliehe Rüekkehr des Valdés
naeh Spanien gewartet, sondern ihn einfaeh in Rom oder Neapel verhaften las-
sen. D~ sie über genügend Maeht dazu verfligten, zeigt der Fall von Juan del
16. «Proceso de Vergara,» f. 284ro – vo; Longhurst, ErallmulI, a.O., 43f.
17. Bataillon, Erallmo y Ellpaña, a.O., 472; M. Ortega, Procero contra M. de Cazalla, a.O.,
129, 230,498; José Constantino Nieto: Juan de Valdéll and the origins ofthe spanish and
itallan Reformation, Geneve 1970, 139f.
18. Juan Antonio Llorente: Hilltoire critique de I’lnquisition d’Ellpagne, depuilll’époque
de ron établillllement par Ferdinand V, jUllflu’au regne de Ferdinand VIl (trad. de l’espagnol
sur le manuscrit et sous les yeux de l’auteur par Alexis Pellier), Paris 1817-1818, lI, 478;
Diálogo, 78; Longhurst, ErallmulI, a.O., 49; Nieto, Juan de Valdéll, a.O., 231.
19. Diálogo, 77ff.; Bataillon, Erallmo y Ellpaña, a.O., 476, 483.
261
Castillo, einem früheren Schützling des Manrique: Nach Tovars erstem VerhOr
hatte sich Castillo nach Paris abgesetzt. Als ihn dort der Pariser Inquisitor auf-
grund eines HaftbefehIs aus Spanien festnehmen lassen wollte, konnte er recht-
zeitig nach Itallen fliehen. Dort lie~ die Inquisition heirnlich nach ihm suchen,
bis sie ihn schlie~lich in Bologna, wo er Griechisch unterrichtete, aufspürte. Er
wurde verhaftet, nach Spanien gebracht und 1537 als Lutheraner verbrannt 20.
Wenn die spanische Inquisition mit Valdés nicht lihnlich verfuhr, obschon sie
über seinen Aufenthalt in Rom und Neapel Bescheid wu~te, heilit dies, d~ sie
den Fall Juan de Valdés fúe weniger ergiebig hielt als denjenigen des Castillo.
Wiire sie auf das Geheimnis um die Quellen des Diálogo de doctrina gekornmen,
so hiitte diese Entdeckung Valdés bestimmt das Leben gekostet.
Der Aufwand an Kraft und Zeit, welchen die Inquisition fúe die Festnahme
von Juan del Castillo entfaltete, war vor allem auf die ftihrende Rolle zurückzu-
ftihren, die Castillo, iihnlich wie Tovar, sowohI unter den Erasmisten wie auch
unter den Alumbrados gespielt hatte 21. Die Inquisitoren hofften offenbar, aus
Castillos Gestiindnissen genügend Material zu sarnmeln, um beide Bewegungen
ein fúe allemal zu zerschIagen. Denn nur auf diese hatten es die Inquisitoren ano
fánglich abgesehen und nur gegen deren Anhiinger war die Welle von Verhaf-
tungen und Prozessen gerichtet. Wer, wie etwa Miguel de Eguía, Juan de Valdés
und María de Cazalla in beiden Bewegungen zu Hause war, erfuhr daher eine
doppelte Bedrohung.
Unglücklicherweise s~ seit Ostern 1529 im Inquisitionsgefángnis von Toledo
die «Beata von Valladolid» Francisca Hernández, eine berühmte Alumbrada,
deren einstmals gro~e Anhiingerschaft sich meist den Erasmisten zugewandt
hatte 22. WohI aus Rache an Vergara und Tovar begann sie im Mai 1530, ihre
zwei früheren Freunde als Lutheraner zu denunzieren. Am gro~en Interesse und
Erstaunen der Inquisitoren über diese Enthüllungen konnte sie sich eine Ver-
besserung ihrer eigenen Lage ausrechnen, wenn sie in dieser Richtung fortftihre.
So war denn in der folgenden Zeit kaum ein spanischer Erasmist, den sie nicht
als Alumbrado und Anhiinger von Luther denunziert hiitte. Vor ihren Richtern
weiter ermutigt, sprach sie sogar von einem geheimen Generalstab von Abtrün-
nigen. Die Inquisitoren nahmen die Denunziationen der Alumbrada offenbar
20. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 478f.
21. Longhurst: «The ,alumbrados’ of Toledo; Juan del Castillo and the Lucenas,» in:
Archiv für Reformationsgeschichte, XLV, 1954,233-254.
22. Eduard Boehmer: Franzisca Hernández und Frai Francisco Ortiz. Anfange reforma-
torischer Bewegungen in Spanien unter Kaiser Karl v., Leipzig 1865; Angela Selke (de Sán-
chez Barbudo): El Santo Oficio de la Inquisición. Proceso de fray Francisco Ortiz (1529-
1532), Madrid 1968.
262
vollig ernst, denn sie beschlossen, einen ihrer noch treuen Anhanger, Antonio
de Medrano, unter die Folter zu stellen, um weitere Informationen aus ihm her-
auszupressen «para que, si Dios fuera servido, se vaya descubriendo poco a
poco aquella capitanía apostática … de que haze mención Francisca Hernán-
dez»23.
Sehr viel prazisere Informationen erhielten die Inquisitoren jedoch von einem
weiteren Gefangenen, dem Kleriker Diego Hernández, der jahrelang in den hu-
manistischen Kreisen von Alcalá verkehrt hatte. 1m Mai 1532 denunzierte er
namentlich 27 «Anhanger des Bernardino Tovar» und stufte sie nach Angaben,
die ihm Juan del Castillo anvertraut Mtte, in flinfKategorien ein: «dañados o
dolientes o enfermos o confesados o conversantes». Zu den am meisten Kom-
promittierten, den Dañados, ziihlte er als ersten Juan de Valdés; diesem folgten
Mateo Pascual, die künftigen Jesuiten Manuel Miona und Miguel de Torres, fer-
ner Vergara, Alfonso de Valdés, Gaspar de Villafaña, Juan López de Calaín und
Alonso Garzón 24. Ein Jahr spater hatte sich sein Gedachtnis offenbar unheim-
lich verbessert, denn jetzt denunzierte Hernández über siebzig Personen, die er
ebenfalls in Kategorien einteilte, von «finíssimo lutherano endiosado» (Tovar,
Juan de Valdés, López de Calaín) über «fino lutherano endiosado» (Vergara),
«fmo lutherano» (Alfonso de Valdés, Alonso de Virués), «conoscido luthera-
no» (Villafaña), «lutherano» (Mateo Pascual), ,,gentil vel quasi lutherano»
(Hernán Núñez de Guzmán), ,,herido por Erasmo» (Juan de Cazalla, Dionisio
Vázquez), ,,herido por Tovar» (Hernán Vázquez) … und so fort bis zu den un-
gefáhr1icheren Kategorien von «santo atrevido», «atado», «devoto» und «nes-
cio». Der Drucker Miguel de Eguía wurde hier ausnahmsweise ,,muy buen
hombre» genannt. Auch die Ko-Denunziantin Francisca Hernández entging
dem Gedachtnis des geschwatzigen KIerikers keineswegs: «Endiosada nescia»
nannte er sie 25.
Wie in seiner ersten Denunziation berief sich der reumütige Hernández mit sei-
ner detaillierten Einstufung wiederum auf Juan del Castillo, von dem er diesmal
den Inquisitoren zusatz1ich eine besondere Geschichte zu erziihlen wu~te: Vor
seiner Flucht nach Paris Mtte Castillo vor Hernández behauptet, «d~ er im
Falle seiner Verhaftung in der lutherischen Sekte, Gott lobend, sterben würde,
und d~ er, auch wenn er dafür lebendig verbrannt werden solIte, keinen der
Anhanger dieser Sekte verraten würde. Diese solIten weiterleben, um die Sekte
23. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 437; A. Selke, El Santo Oficio, a.O., 67f., Anm.
43.
24. «Proceso de Vergara,» f. 44ro-45ro ; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 437, 444,
475.
25. «Proceso de Vergara,» f. 45IO-46vo; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 444.
263
der früheren Valdésforschung einzugehen ist hier umsoweniger notwendig, als
José C. Nieto in seinem Juan de Valdés and the origins of the spanish and ital-
ian Reformation (Geneve 1970) sie in chronologischer Reihenfolge ausführlich
besprochen hat 29. Dem Leser sei nur in Erinnerung gerufen, d¡ill, die bunte Pa-
lette von Interpretationen zwischen den Kennworten «strenger Lutheraner»,
«adogmatischer Protestant», «Erasmist», «Spiritualist» ,,,Anabaptist», «Anti-
trinitarier», «Vorliiufer der Pietisten oder der Quiiker», «Aristokratischer Alum-
brado» oder «mittelalterlicher Mystiker» variiert. In bezug auf die Aufziihlung
von J. C. Nieto sei hinzugefügt, d¡ill, Curiones Bezeichnung «Dottore e Pastore
di persone nobili e illustri» im Vorwort zu den no Considerazioni von 1550
nicht das erste gedruckte Zeugnis über Valdés darstellt. Denn bereits 1544hatte
derselbe Curione in seinem Pasquillus ecstaticus Valdés neben Luther, Zwingli,
Okolampad, Capito, Lambert, Lefevre d’Etaple und Girolamo Galateo als die
Eroberer des wahren Himmels und die Zerstorer des Ersatzhimmels des Papstes
eingereiht 30. Aber kehren wir zur modernen Valdés-Historiographie zuriick.
«Un catéchisme érasmien»: So mu~ Bataillon gedacht haben, als er in Lissa-
bon das wmrend Jahrhunderten verschollene Buch zum ersten Mal durchbliit-
terte, und mit diesen Worten erOffnete er in seiner «Introduction» die Deutung
des Diálogo. Denn die Namen der Gespriichspartner Antronio und Eusebio wa-
ren den Colloquia familiaria des Erasmus entnornmen; die Werke des «excelente
doctor e verdaderamente teólogo Erasmo» wurden dort nahezu ausschlie~lich
empfohlen. In der tlbersetzung der Bergpredigt aus dem Griechischen war Val-
dés dem Text von Erasmus treu gefolgt, und sogar in der Technik des Dialogs
war der Schüler in die Fu~stapfen des Meisters getreten: «e’est un long Col-
loque erasmien que ce livre.» Mehr noch: Der Kornmentar zum Glaubenssym-
bol, ,,l’une des maftresses pieces de son catéchisme», war beinahe wortlich aus
der Inquisitio de fide übersetzt.
Paradoxerweise hielt Bataillon diese Seiten über das Credo, «qui sont de l’Eras-
me presque pur», keineswegs fúe die «plus authentiquement érasmiennes du
Diálogo»; Die echtesten Merkmale vom Geist des Erasmus fand er etwa in der
Defmition des christlichen Menschen, in der Betonung des evangelischen Voll-
kornmenheitsgebots für alle Christen und nicht nur fur die Monche, in der Rela-
tivierung der iiu~eren Zeremonien oder der Verachtung fúe abergliiubische De-
Text des Didlogo, so d~ der Leser immer noch auf die Faksimile-Ausgabe von 1925 ange-
wiesen ist.
29. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 13-28.
30. C. S. Curionis Pasquillus ecstaticus (Basileae 1544), 34f.: «Ioannes Valdessus, vir
summa religione, fide, eruditione, qui Neapoli diem obiit suum, egregiis relictis ad hoc
coelum excidendum instrumentis.»
265
votionen. «Toute cette critique de la fausse piété», fl&te Bataillon zusarnmen,
«cette perpetuelle opposition de l’ordre spirituel a l’ordre charnel, ce souci de
faire sentir au fidele l’étendue da sa liberté, c’est l’enseignement méme d’Eras-
me. Tout celk trahit, chez Valdés, le lecteur fervent de l’Enchiridion et de la
Pietas puerilisr ,,31
Dennoch konnte Bataillon, als gro~em Kenner der Religiositat des Reforma-
tionsjahrhunderts, die Tatsache nicht entgehen, dl& sich Valdés’ Frommigkeit
mit der Philosophia Christi des Erasmus keineswegs in allen Punkten deckte.
«Mais son catéchisme, si érasmien par tant de cotés, témoigne déja d’une ex-
périence qui n’est pas toute entiere réductible a la piété érasmienne.» Bataillon
hat auch als erster und beinahe einziger gemerkt, d~ die irreversible Bewegung,
die Valdés von Werk zu Werk weiter von Erasmus entfemte, bereits im Didlogo
eingesetzt hatte. Als Beispiel die Auslegung des Vaterunser: Zwar hatte Valdés,
schrieb Bataillon, die Lektüre der Precatio dominica des Erasmus empfohlen; er
verwendete sie jedoch nicht in seinem Katechismus: «le commentaire qu’il y
substitue a un autre accent.» 32
Es mu~te wohl einen anderen Akzent haben, denn es handelt sich hier in
Wirklichkeit um die Zusarnmenfassung und zum Teil wortliche Übersetzung
von Martin Luthers Auslegung deutsch des Vaterunsers ftir die einfiiltigen Laien
von 1519!
Vergleichen wir zuerst Bataillons Wiedergabe und den entsprechenden deut-
schen Text:
«Accomplisez votre volonté et non la
mienne. La mienne, je ne veux en aucune
maniere qu’elle s’accomplisse, car elle est
toujours contraire a la votre, laq uelle seule
est bonne, du meme que seul vous etes
bon: et la mienne est toujour mauvaise,
meme quand elle me semble fort bonne. «33
«Mach als, was du wilt, das nur dein wil
unnd yhe nith der unser gschee. Were, lie-
ber vater, und lasz uns nichts nach unserm
gut duncken, willen und meynung furne-
men und volbringen. Dan unser und dein
will sein widdernander, deyner allein guth,
ob er wol nit scheynet, unnszer bosze, ob
wo l er gleisseth.» 34
Und dann Valdés vollstlindigen Text mit dessen lateinischer Vorlage:
«… e assí le pesa quando le corrige e cas-
tiga: por esso pide a Dios le dé su gracia
para que de buena voluntad consienta que
se cumpla en él la voluntad de Dios: como
31. Diálogo, 93ff., 112ff.
32. Diálogo, 114, 151.
33. Diálogo, 151.
«Poenitet nos facti huius, quod salutarem
manum tuam neque intelligimus neque su-
stinemus. Confer gratiam o pater, et affer
opem, ut divinitatis tuae fieri in nobis per-
34. D. Martin Luthers Werke, Kritische Gesamtausgabe, Weimar 1883ff. (im folgenden
zitiert WA), n, 128f.
266
si le dixesse: Padre eterno, puesto caso que
mi sensible carne se sienta, no curéis sino
hazed lo que hazéys: dadme el castigo que
quisierdes, cumplid vuestra voluntad e no
la mía, la qual en ninguna manera quiero
que se cumpla, pues siempre es contraria a
la vuestra; la qual sola es buena, assi como
solo vos sois bueno: y la mía es siempre
mala,aunquando me parece muybuena.»35
mittamus voluntatem. Et tu quidem etiam-
si nobis doleat, age quod agis: argue, punge,
seca, ure. Effíce quod tu vis, ut tantummo-
do tua, nunquam nostra voluntas fíat. Re-
sisto o pater, et ne permitte nos sententiam,
voluntatem, consilium et in tentationem
nostram praesumere atque complere. Tua
enim ac nostra voluntas invicem sibi ad-
versantur. Tua sola est bona, etiam cum
non apparet; nostra yero mala, quantumvis
eximie resplendeat.» 36
Genau den gleichen Text zitierte Bataillon 12 Jahre spiiter wieder in seinem
Erasme et l’Espagne, und dort lautete seine Deutung: «Quand il cornmente le
Pater – non pas en suivant Erasme, comme pour le Credo, mais en se flant a
l’inspiration divine – il donne au flat vol untas tua le sens d’une opposition ab-
solue entre la volonté de Dieu et la pauvre volonté individuelle.» 37
Wie wir jetzt wissen, hatte diese gottliche Inspiration des Valdés einen irdi-
schen Mittler gehabt, niimlich Martin Luther. Wie Recht hatte Bataillon, als er
anschlieBend an diesen Text schrieb: «Erasme n’a pas glossé ainsi le flat volun-
tas tua. » 38
Bataillon hat sich natürlich das Problem eines moglichen Einflusses von Lu-
ther auf Valdés gestellt und hat auch geschrieben, daB dieser EinfluB, sollte er
nachgewiesen werden, bereits vor der Abfassung des Diálogo de doctrina statt-
gefunden haben mul:lte: denn die Rechtfertigung durch den Glauben und das
intensive Bewul:ltsein der Sünde, deren Reich nur durch die Allmiichtigkeit der
Gnade begrenzt wird, bilden die Hauptthese von Valdés’ Katechismus. Dies hat
Bataillon hervorgehoben und hinzugefúgt: Hiitte Valdés Luthers Formulierung
«simul peccator et justus» gekannt, so hatte er sie glanzend (lumineuse) gefun-
den 39.
Aber Bataillon hat sich den Weg zur L6sung selbst versperrt, weil er das Pro-
blem von vorneherein ausgeklammert hat. «Mais avant de rechercher, dans le
Diálogo, ce qui annonce la plus intime pensée des oeuvres de maturité, il est
important d’écarter le probleme de l’influence luthérienne. Pressant en appa-
35. DiJílogo, f. lxxviiiro – vo.
36. M. Luther: Explanatio orationis dominicae, in: Tomus septimus omnium operum Re-
verendissimi Do mini Martini Lutheri, Wite(n)bergae 1557, 117vo.
37. Bataillon, Erasme et.I’Espagne, a.O., 380; (Erasmo y España, 351).
38. DiJílogo, 152.
39. Ebd., 127; Bataillon, Erasmo y Espafla, a.O., 351.
267
rence, il se pourrait que se fUt un faux probleme.»40 Die Tatsache, d~ Valdés
sich nie, auch nicht in seinen privaten Schriften, zu Luther bekannt hat, d~ er
Luther in der Lebre des servum arbitrium wiein vielen anderen Punkten nicht
gefolgt ist, d~ er weder Offentlich noch vor seinen Freunden mit Rom und der
offlZiellen Kirche gebrochen hat, lie~en Bataillon den langwierigen Vergleich
der Werke beider Reformatoren als überflüssig erscheinen. «Et voila pourquoi
il nous panlit oiseux d’étudier Valdés en fonction de Luther.» 41
1m Grunde spielte es rur Bataillon keine Rolle, auf welchem Weg der junge
Spanier zu seinem starken Bewu~tsein von der Sünde des Menschen und der all-
miichtigen Gnade Gottes gekommen war. So konnte er schreiben: «Peu nous
importe que cette évidence se soit imposée a lui en lisant saint Paul, en lisant
Luther, ou en écoutant les illuminés d’Escalona. Valdés dira plus tard que la
sainte Ecriture elle-m~me n’est que l’interprete dont il se sert pour lire en son
propre livre, lequel est son ame. Ce qu’il a lu dans son livre, volla ce qui nous
intéresse. Tout son commentaire des dix commandements, qui est peut-etre la
partie la plus personelle du Diálogo, pourrait porter en épigraphe la parole de
l’Epitre aux Romains: ,Je n’ai connu le péché que par la Loi’ .,,42
Der Kommentar zu den zehn Geboten ware demnach Valdés’ persanlichster
Beitrag in dem Diálogo? Das Gegenteil ist der Fall: gerade hier kommt die Pra-
senz Luthers am starksten zum Ausdruck. Valdés’ Kommentar wurde in seinem
wesentlichen Teil fast wartlich Luthers Decem Praecepta Wittenbergensi prae-
dicata populo von 1518 entnommen!
Nehmen wir nur den Anfang zum Vergleich:
«Primum quaeritur, cur non praecipit af-
firmative, sic ‘Habeto proprium vel unum
deum’, vel ‘adora me unicum deum’? Se-
cundo, Cur non imperative magis quam
indicative dicit ‘Non habeto deos alieno s’?
Ad utrumque simul respondeo, Quod
omne praeceptum dei magis positum est,
ut ostendat iam praeteritum et praesens
peccatum quam ut futurum prohibeat, Si-
quidem iuxta Apostolum: Per Legem nihil
nisi cognitio peccati, Et iterum: Conclusit
deus omnes sub peccatum, ut omnium mi-
sereatur. Ideo praeceptum dei veniens in-
venit peccatores et auget, ut amplius abun-
40. Düílogo, 116.
41. Ebd., 127f., 122.
42. Ebd., 128.
268
«… e pues nos avéys de declarar los man-
damientos, querría me dixéssedes primero,
por qué casi en todos los diez mandamien-
tos no manda dios lo que quiere que haga-
mos, sino lo que quiere que no hagamos.
Quiero decir, por qué no dize: adorarás a
un solo dios, sino: no adorarás dioses age-
nos, e semejantemente en los más de los
otros …
Avéys de saber que las leyes de los hom-
bres solamente se ponen porque no haga-
mos de nuevo lo que ellas nos viedan; pero
la ley de dios es muy de otra manera; por
la qual no solamente somos por delante
det peccatum, Ro: v. Leges vero hominum
propter futura peccata ponuntur. Ideo spi-
ritus, ut est benignissimus Magister, magis
loquitur indicative, q. d. ‘0 miser horno.
ecce tuam tibi ostendo pravitatem. Talls
esse deberes, qui nullos deos haberes, non
assumeres nomen dei tui frustra, Sabba-
tum sanctificares, Non occideres, Non con-
cupisceres etc.: Nunc autem totus es alius
et perversus.» 43
avisados de lo que devemos hazer e no ha-
zer, pero como dize sant Pablo, por ella
venimos en conoscimiento de los malos
pecados que avernos hecho contra dios; e
assí muestra nos cómo somos pecadores.
El qual conocimiento es principio de ver-
dadera justificación. Assí que, quando yo
oyo que es la voluntad de dios que no ado-
re dioses agenos, mejor vengo en conoci-
miento de lo que en esto he pecado que si
me dixesse: Adora a un solo dios. Porque
en dezírmelo de la manera primera, parece
me a mí que me dize la ley: O miserable
hombre. Ves, aquí te muestro tu maldad.
Devías ser tal que ni tuviesses dioses age-
nos, ni tomasses el nombre de tu dios en
vano, e que ni matasses, ni fornicasses, y
ves te aquí muy ageno de esta bondad e
perverso. ,. 44
In seiner Anmerkung zu obigen Worten des Paulus («por ella venimos en con,os-
cimiento … etc. «) schrieb Bataillon: «Cette conception paulinienne du sen s de
la Loy est, des 1529, le point de départ de la véritable vie religieuse selon Val·
dés. L’Al/abeto y reviendra avec plus de force. ,,45 Aber gerade die von Bataillon
angebrachte Stelle aus Valdés’ Alfabeto von 1534 erweist sich wiederum als
Ob.ersetzung von Luther!
….. havete Signora da sapere, che la legge
ci e molto necessaria, perche se non fusse
le legge, non vi sarebbe conscientia, e se
non fusse la conscientia, il peccato non sa-
rebbe conosciuto, et se’l peccato non fusse
conosciuto, noi non ci humilieremmo, e se
noi non ci humiliassimo, non acquisterem-
mo la gratia, e se non acquistassimo la gra-
tia, non saremmo giustificati, et non essen-
do giustificati, non salveremmo l’anime
nostre.» 46
43. Luther, WA l., 398 6-21.
44. Didlogo, xixro – vo.
45. Ebd., 233.
….. qui enim non agnoscit se praeceptum
hoc debere, quomode se agnoscet esse pec-
catorem? Qui autem non agnoscit se pec-
catorem, quomodo timebit deum et iudi-
cium eius? Qui autem non timet,quomodo
humiliabitur? Qui non humiliatur, quomo-
do gratiam consequetur? qui gratiam non
consequitur, quomodo iustificabitur? Qui
non iustificatur, quomodo salvus erit?»47
46. Juan de Valdés: Alfabeto christiano, ed. Luis Usoz i Rio, (Reformistas antiguos
españoles, tomo XV) London 1861, (italienischer Text) u vo _12ro ; (spanischer Text) 22;
Didlogo, 233.
47. Luther, WA 1.,429f.
269
Diese Stelle beweist, daJl, Valdés auch wiihrend der italienischen Periode seiner
literarischen Tiitigkeit auf «seinen» Luther zurückgriff. Aber die Untersuchung
dieser Periode müssen wir uns hier aus Gründen von Zeit und Raum leider ver-
bieten.
Was bleibt von Bataillons Deutung des Didlogo denn übrig, wird sich der Leser
fragen. Noch recht viel, mu~ die ehrliche Antwort lauten. Denn Valdés hat
nicht nur Luther abgeschrieben und glossiert, sondern er hat in seinem Didlogo
auch genug von sich selbst offenbart, um ihn hier als eines der «echtesten reli-
glosen Genies des Jahrhunderts» – dies sind Bataillons Worte – mindestens.in
nuce erkennen zu lassen. Und dies hat der vor vier J ahren verstorbene Meister
auch aus den echten valdesianischen Stellen des Didlogo zu zeigen vermocht
und noch vieles mehr. Ihm verdanken wir auch die Kenntnis über die geheirne
Nachwirkung von Valdés’ Katechismus, worauf wir noch zurückkornmen wer-
den.
Bataillons Interpretation des Didlogo de doctrina,die ohne wesentliche Ande-
rung im Erasme et l’Espagne übernornmen wurde, hat das Bild des Juan de
Valdés wiihrend dessen spanischer Periode ftir Jahrzehnte gepragt. Mit gering-
fligigen Varianten finden wir es, trotz der Verschiedenheit der Betonung, in den
Arbeiten von Montesinos, Cione, Longhurst, Bainton, Ricart, Bakhuizen van
den Brink und auch Fr. Domingo de Santa Teresa48. Letzterer versuchte zwar
zu beweisen, daJl, Valdés’ Religiositat ihren Ursprung in den katholischen Re-
formbestrebungen hatte und daJl, sie diesen Rahmen eigentlich nie sprengte.
Aber ohne die Deutung von Bataillon Mtte Fray Domingo es kaum gewagt,
Valdés in solchem Grade vonjeglicher Haresie freizusprechen 49.
Der einzige, der dieses Bild grundsatzlich verandert hat, ist der protestantische
Theologe und anerkannte Valdésspezialist José Constantino Nieto.
Nietos bedeutendste Entdeckung in seinem Juan de Valdes and the origins of
the spanish and ¡talian Reformation ist zweifellos die treffende Bestirnmung
der Rolle des Erasmus irn Didlogo de doctrina: Erasmus wurde hier als Tarnung
– «contrived devise» – und Maske benützt, um Gedankengange zu kaschieren,
die als haretisch bereits verurteilt worden waren. Nietos originellster Beitrag ist
das Zurückfúhren dieser Gedankengange auf die Lehre des «alumbrado» Pedro
Ruiz de Alcaraz, dessen Inquisitionsproze~ er wie kein zweiter kennt. Nietos
48. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 3lff.
49. Domingo de Sta. Teresa, Fr., O.C.D.: Juan de Valdés 1498(?)-1541. Su pensamiento
religioso y las corrientes espirituales de su tiempo, (Series Facultatis historiae ecclesiasticae,
V, !xxxv, Sectio B, n. 13), Roma 1957, 66ff. Von Luther stammen die auf S. 67 Anm. 14,
15,16,18, 19; auf S. 69 Anm. 28; auf S. 70 Anm. 30, 32, 36 … und noch viele weitere der
im Buch besprochenen Texte aus dem Diálogo.
270
grundsatzlicher Fehler liegt in der Beharrlichkeit, mit der er jeglichen EinfluB
von Luther oder anderen Reformatoren auf die Formulierungen des jungen
Valdés verneint hato Mehr noch, er hat die These aufgestellt, wonach in Spa-
nien, unabhángig von Luther und sogar vor Luther selbst, die Lehre von der
Rechtfertigung durch den Glauben und andere «majors themes of Protestant
theology» entworfen und formuliert wurden.
Diese überraschende These wurde zunachst nicht ganz ohne Widerspruch hin-
genommen, fand aber sofort die Unterstützung von Marcel Bataillon: In seiner
Besprechung der gedruckten englischen Fassung, die ihm ja gewidmet war,
schrieb Bataillon:
«Nieto s’étonne a plusieurs reprises de ,the paucity of Bataillon’s comments
about Alcaraz’ influence on Valdés’ et se demande si j’ai scruté la pensée du
dejado dans ses lettres aux Inquisiteurs: la réponse est non. Cette insuffisance
de mon information me rend plus sensible a une des originalités principales de
la reconstruction de Nieto: sa démonstration que la pensée religieuse de Valdés
est filie de celle d’Alcaraz, malgré de passagthes prudences de langage ou des
compromissions avec celle d’Erasme. J’avais abondamment montré que la pen-
sée de l’Alfabeto cristiano était déja préformée dans le Diálogo. C’est mainte-
nant le valdésianisme dans son entier développement que Nieto interprete
comme de fIliation alcarazienne. Les hardiesses du réformateur de Naples sont
sensiblement les memes qui, chez Alcaraz, rendaient un son ,luthérien’. S’il faut
choisir, sur ce dernier point, entre deux explications divergentes, celle de Mme
Sánchez Barbudo qui croit percevoir des échos de Luther lui-meme chez le
dejado espagnol50, et celle de Nieto pour qui le dejamiento, hérésie propagée
par Isabel de la Cruz et Alcaraz des 1511 environ, s’est affirmé avant les prises
de position théologiques de Luther, bien qu’il offre avec celles-ci d’analogies
surprenantes, je serais enclin a suivre plütot cette chronologie de Nieto et les
conséquences qu’il en tire, mais sans étre aussi persuadé que lui qu’Alcaraz et
Luther sont deux initiateurs de génie, et comme deux commencements abso-
lus de cette modalité moderne du christianisme qu’on apelle la ,reformation’.» 51
Und Bataillon ftigte hinzu: «N’ayant pas dépouillé le proces d’ Alc araz , je suis
tenté de faire confiance a Nieto quand il rapproche des formules alcaraziennes
certaines idées religieuses fondamentales de Valdés.» 52
50. Angela Selke: «Algunos datos nuevos sobre los primeros alumbrados. Edición del
Edicto de 1525 y su relación con el proceso de Alcaraz,» in: Bulletin Hispanique, LlV,
1952,125-152.
51. Bataillon’s Rezension von J. C. Nieto: «Juan de Valdés,» in: Bibliotheque d’Humanis-
me et Renaissance, XXXV, 1972, 375.
52. Ebd.
271
A~er aus Nietos Darstellung kennen auch wir den Prozefl von Alcaraz nicht
und werden deshalb auf das Problem seines Einflusses auf Valdés nicht nmer
eingehen. Wir wollen lediglich und moglichst kurz daraufhinweisen, dafl vieles
von dem, was Nieto als «alcarazianisch» bezeichnet hat, in Wirklichkeit direkt
von Luther starnmt.
Nehmen wir zuerst ein allgemeines Beispiel: «Nonetheless, the guiding prin-
cipIe of Alcaraz’ criticism, as well as reconstruction, is present in Valdés’ Diá-
logo de doctrina, in his approach to the Sacraments, the Lord ‘s Prayer, the Ten
Cornmandments, the Cornmandments of the Church, faith and works, the de-
votion of the Saints and Mary, and the radical theocentric interpretation of
Chnstianity grounded in God’s love and man’s incapacity to fulfill the com-
mandment of love.» 54 Wie wir bereits wissen und noch weiter sehen werden,
starnmen Valdés’ Kornmentare zum Vaterunser und zu den zehn Geboten (in
denen doch auch die übrigen Themata behandelt wurden), in ihren wesentli-
chen Zügen und sehr oft auch wortlich von Luther. So zum Beispiel in der oben
nur teilweise wiedergegebenen Stelle über das erste Gebot, die natürlich auch
von Nieto zitiert wird, denn «in the first Cornmandement seen in the light of
Paul ‘s interpretation Valdés fmds the source of his theology» 55.
Aber sehen wir uns noch einige konkrete Beispiele ano Nieto erklart uns nicht,
wie die theozentrische Religiositat eines Alcaraz bei Valdés zu einer christozen-
trischen wird. Er schreibt: «What Valdés seems to have done is to substitute
the Alcarazian concept of the ,love of God’ and the vital and dynamic relation-
ship to it in the life of the Christian or ,Perfect’, for the terms ,justification’,
,to be just’, or ,justified in Christ’. This change is in itself rather significant be-
cause it points to the love of God in Christ and to the vital relationship of the
Christian to Christ. In this Valdesian revision of Alc~az’ thought we have a
clear Christocentric reformulation of what, in Alcaraz’ ideas, was primarily
theocentric presentation.» 56 Ob diese «revision» von Inhalt und von Termino-
logie wohl aus heiterem Hirnmel geschah?
Die i\l).nlichkeiten – «striking similarities» – in den Formulierungen von Val-
dés und Luther sind auch Nieto nicht entgangen. Er hat sie sogar starker als
Bataillon hervorgehoben und Textvergleiche angestellt, die ihn eigentlich hatten
vorsichtiger machen sollen. Zum Beispiel die Vergleiche mit Texten aus dem
De servo arbitrio oder dem De liberta te christiana 57. Aber offenbar hat ihrn die
starre Überzeugung von Alcaraz’ und Valdés’ Originalitat den Weg zur Ent-
54. Nieto, Juan de Va/dés, a.O., 95.
55. Ebd., 132.
56. Ebd., 323.
57. Ebd., 329f., 217 Anm. 73.
272
deckung Luthers in dem DiJílogo vollstandig versperrto So konnte er zusarnmen-
fassen: «Reformation sources had to be used to explain Valdés’ thought when
historians did not know of his stay at Escalona and his contact with Alcaraz’
thoughto Alcaraz’ Paulinism and Valdés’ own study of Paul, are now sufficient
explanation to account for Vakiés’ similarity to the ideas of the Reforma-
tion o» 58
Diese Schlu~folgerung wird im Laufe des Buches zu einem wahren Ritornello:
«000 at no moment of his life was Valdés in direct contact with Reformation
sources»; ,,he ignored the Protestant Reformation as a religious movement of
this time and tried to formulate his theological thought in the light of his per-
sonal knowledge and experience», «Valdés independently from Luther, ex-
perienced and formulated the doctrine of justification 000 without the psycho-
patic and abnormal elements of Luther’s experienceo» 59
Nieto hat der Sekundarliteratur über Luther zu sehr vertraut und sich nicht
dahingehend abgesichert, indem er die katechetischen Schriften des frühen
Luther mindestens durchgeblattert Mtte: aber er hat deren Existenz nicht ein-
mal zur Kenntnis genornmeno Hatte er die vox Katechismen, anstatt im Dic-
tionnaire de Théologie Catholique, in der Realencyklopiidie ftir pro testan tische
Theologie und Kirche 3 (lO, 130ffo) nachgeschlagen, so ware er nicht dem Irr-
tum verfallen, es gebe keine katechetischen Schriften Luthers vor dem Deudsch
Catechismus vom April1529 600
Ich mu~ indessen bekennen, d~ mich erst die Beharrlichkeit, mit der Nieto
jeglichen Einflu~ der Reformatoren auf Valdés bestreitet, recht eigentlich auf
den Gedanken gebracht hat, in dem DiJílogo de doctrina nach Texten von Lu-
ther zu sucheno Aber kornmen wir endlich zu diesen Texteno
IIIo
In der folgenden Tabelle von Valdés’ Entlehnungen bei Luther haben wir ledig-
lich Texte verzeichnet, wo eine wortliche oder fast wortliche Übersetzung vor-
liegto Der DiJílogo wird nach der Faksimile Ausgabe von Bataillon, jedoch mit
zusatzlicher Zeilenzahl zitierto Luthers Texte werden nach der kritischen Wei-
marer Gesamtausgabe angegebeno 1st in die ser nur der deutsche Text abgedruckt
worden, so verweise ich noch auf die Wittenberger Ausgabe der lateinischen
Opera omniao Kurze versprengte Entlehnungen von einigen Worten wurden
nicht berücksichtigto
580 Ebdo, 174f.
590 Ebdo, 201, 334, 3360
600 Ebdo, lISo
273
Diálogo de doctrina Decem praecepta
(Coimbra 1925) (WA, 1,398-521)
1. Gebot f.xix 16-22 S.398 6-9 . , X1X 1-3 398 16-17
3-9 398 10-14
18-23 398 18-21
xx 11-26 399 11-18 , xx 1-3 399 18-19
7-22 399 21-27
25-26 399 29
xxi 1-7 399 30-32
10-16 399 33-35
16-18 400 1-2
18-26 400 8-12 ., XXl 6-13 400 13-15
14-18 400 16-17
20-24 400 25-27
xxii 7-8 400 27-28
10-26 400 28-34 .. , XXll 1-6 400 35-37
2. Gebot xxili 10-26 430 6-13,22-23 … , XXlll 1-2 430 23
3-8 431 1-5
14-18 431 9-10
21-23 431 17-19 . , XXlV 18-26 435 11-13,22-23
xxv 1-7 435 19-21
3. Gebot 21-26 436 18-19 , xxv 1-3 436 19-20
7-9 436 22
15-18 436 23-24
4. Gebot .. , XXV11 20-26 447 26-29,37-38
xxviii 1-26 449 1-5;450 3;451 2-6;
453 25,33-35;458 26-27 … , XXV111 3-7 459 26-27,31
8-13 460 1-4
19-23 460 14-16
xxix 7-14 460 24-26
274
5. Gebot . , XX1X 7-26 461 4-10,17-19;462 28-29
xxx 1-8 462 30-32
6. Gebot ., XXX1 22-26 482 22-27
xxxü 1-6 482 28-29,31
7. Gebot .. , XXX11 8-16 499 23-26; 500 3-5
19-20 503 15-16
24-26 503 1-3
8. Gebot … , XXX111 25-26
xxxiv 1-2 506 15-16
xxiv 6-9 506 18-19
11-13 509 19-20
9. Gebot . , XXX1V 7-9 515 5
13-14 515 14
17-20 515 15-16
10. Gebot xxxv 7-9 515 5-6
Zusarnmen- xxxv 19-20 470 27-28
fassung der 23-26 470 32-34
10 Gebote , xxxv 4-5 470 35
9-11 471 13
12-15 470 6-8
16-19 470 22-23
20-22 470 26-27
23-26 471 19-21
xxxvi 6-18 471 22-28 ., XXXVI 3-5 468 3-4
12-14 468 2-3
xxxvii . 19-21 468 5-6
Die 7 Haupt- xliii 12-16 517 5-8
sünden xliü’ 1-26 517 18-27
xliv 1-3 517 27-29
xliv’ 15-26 518 20-25
xlv 4-6 518 36-37
12-16 518 27
17-18 518 28
xlv’ 1-4 519 30-32
xlvi’ 15-26 519 34-36
xlvii 1-4 ‘ 520 14-17
24-26 521 11-12
xlvii’ 1-2 521 12-13
275
10-16 521 16-18
16-23 521 19-22
Auslegung Auslegung deutsch des Vaterunsers
des Vater- Explanatio dominicae orationis
unsers (WA, n, 80-130; Opera Lat. 7,99-
118)
lxxv , 14-17 81 1-3 (f. 99)
20-24 81 10-15 (f. 99)
Ixxvi 2-6 81 18-19 (f. 99)
!xxvi’ 20-21 128 4-6 (f. 117)
lxxvü 6-12 128 14-17 (f. 117′)
lxxvü’ 4-5 128 23-24 (f. 117′)
15-18 128 24-26 (f. 117′)
lxxviii 8-10 128 26-28 (f. 117′)
18-26 128 33-37 (f. 117′)
lxxvüi’ 1-5 128 37-38; 129 1-2 (f. 117′)
lxxix 14-26 129 14-19 (f. 117′)
Ixxix’ 6-8 129 21-22 (f. 117′)
Ixxx 6-8 129 31-32 (f. 118)
!xxxii’ 16-22 130 10-13 (f. 118)
23-26 130 14-16 (f. 118)
!xxxiii 1-3 130 16-18 (f. 118)
Ein paralleler Abdruck aller die ser Stellen würde den Rahmen dieses Aufsatzes
sprengen, weshalb wir uns auf die Wiedergabe von nur zwei Proben beschrlin-
ken. In der Auswahl haben wir uns um theologisch interessante Texte bemiiht,
in denen zugleich Valdés seine übersetzungs- oder Bearbeitungskunst am klar-
sten zeigt.
«Non quod damnati sint omnes qui tam
perfecti non sunt, sed quod ista meta et fí-
nis est nobis propositus, a cuius assecu-
tione nemo excusatur, nisi is qui cum ge-
mitu agnoscit et confitetur, sese non esse
talem, et quotidie laborat, ut fíat talis, Et
quod minus facit, humiliter petit ignosci,
dicens: dimitte nobis debita nostra, Et il-
lud: Cor mundum crea in me, deus. Hiis
inquam timoratis et confitentibus, queren-
276
«Antronio: De manera que, según vuestra
sentencia, todos los que no tienen essa per-
fíción se van al infierno? Arzobispo: No
digo yo tal; pero digo que éste es el puesto
o término adonde todos avemos de tener
ojo para alcan~arle; y digo más, que de los
que no le alcan~, solamente aquellos son
perdonados que con dolor de su anima
conoscen y confiessan que no son tales co-
mo conviene, y también los que cada día
tibus, petentibus non imputatur ista ido la-
triae suae mixtura propter Christum in
quem credunt, Illis vero qui sine timore,
sine sollicitudine proficiendi in securitate
stertunt, omnino imputatur et sunt vere
idolatrae, Nec excusabuntur, quod non sit
necesse esse perfectum, quasi praeceptum
illud lapidibus aut lignis, ac non potius ho-
minibus si! positum … » 61
«Ah pater, vera profecto sunt ista. Nemo
viribus suis fortis esto Et quis poterit coram
manu tua subsistere, si non tu ipse nos
confortaveris et consolatione recreaveris.
Quapropter, amantissime pater, assume
nos ac comple voluntatem tuam, ut ad glo-
riam et laudem tuam regnum efficiamur
tuum. Robur in hoc negocio da nobis, o
chare pater, et per sanctitatem verbi tui
panem nostrum quotidianum communica
nobiscum_ Imprime cordibus nostris ima-
ginem dilecti filü tui lesu Christi, veri coe-
lestisque panis, ut per eum confortati, ala-
criter voluntatis nostrae detruncationem
ac mortificationem, tuique beneplaciti pro-
secutionem ferre ac sustinere valeamus.
Quin et gratiam toti Christianitati confer,
mitte ad nos doctrina praestantes sacerdo-
tes et concionatores, qui nobis, non quis-
quillas, paleasque et anillum fabularum de-
liramenta, sed sanctam Evangelli tui doc-
trinam, ac lesum Christum in docendo
proponant.» 63
trabajan por ser tales y por alcan~ar esta
perfici6n, y que mientras no la alcan~an
dizen aquello del Pater Noster: Dimitte
no bis debita nostra, sicut et nos dimitti-
mus debitoribus nostris. Y aquello de Da-
vid: Cor mundum crea in me, deus, et spi-
ritum rectum innova in visceribus meis.
Pues a estos digo que se les perdonan sus
faltas, mediante Jesucristo nuestro señor, en
el qual creen; pero aquellos que sin temor y
sin cuydado de aprovechar en este camino
duermen a pierna tendida, verdaderamente
no guardan este mandamiento, y yo os
prometo que no se escusarán con dezir que
no es sino para los perfectos, como vos
dixistes, pues está claro que no se dio para
las piedras sino para los hombres. «62
«Arzobispo: … Pues tornando a nuestro
propósito: porque tener los hombres esta
entera e fume conformidad con la volun-
tad de dios, es cosa que sobrepuja las fuer-
~ humanas, aconsejonos nuestro dios,
que la quarta peticion dixéssemos de esta
manera: Nuestro pan el de cada día danos
lo oy. Quando estas palabras dize el chri-
stiano, mire bien que lo que aquí pide es
gracia para poder cumplir la voluntad de
dios, que es pan espiritual, que substenta
y da vida a nuestras ánimas. Este pan es la
gracia del spÍIitu santo, sin la qual ni un
solo momento pueden ser agradables nue-
stras ánimas delante de dios, de que el áni-
ma maravillosamente se mantiene. Y quan-
do, mediante este pan tuvieren nuestras
ánimas impressa en sí la ymagen de jesu
christo, el qual es el verdadero y celestial
pan, podrán enteramente e con mucha
alegría romper e quebrar en todo sus vo-
luntades e sentirán assimismo por dulce
e sabrosa qualquier persecución que dios
les embiare. Deve, en fm, el christiano pe-
61. Luther, Decem praecepta, WA 1,400 27 -37.
62. Didlogo, f. xxiiro – vo.
63. Luther, Explanatio orat. dominicae, Tomus septimus Operum, a.O., f. 117vo.
277
dir a dios en esta petición que nos embíe
verdaderos e santos dotores que repartan
al pueblo christiano el pan de la dotrina
evangélica, limpio e claro, y no depravado
ni suzio, con opiniones e affettos huma-
nos, de lo qual ya veys quan grandíssima es
la necessidad que ay.»64
Au~er dem Decem praecepta und der Exp/anatio dominicae orationis scheint
Valdés auch Luthers De votis monasticis iudicium von 1521 (WA VIII, 573-
669) ausgewertet zu haben. Dieser Eindruck verstarkt sich, wenn wir das Kapi-
tel De fundamentis devotariorum (WA VIII, 580-583) mit Valdés’ Interpreta-
tion des 5., 6., und 7. Kapitels des Matthausevangeliums (ff. xli’ -xlii’) verglei-
chen. Beide Reformatoren verwerfen die traditionelle Unterscheidung zwischen
«praecepta dei» und «consilia evangelica» mit der gleichen Energie und aus den
gleichen Gründen: Die Forderungen der Bergpredigt seien nichts anderes als die
Fortsetzung der 10 Gebote und genau wie diese ftir jeden Christen verpflich-
tend. Luther nennt sie «dec1arationes illae mandatorum dei et exhortationes ad
eadem servanda, Math. V. VI. et VII. a Christo factae» (580, 28-29). Für Val-
dés wurde Gottes Wille «parte en los diez mandamientos y parte en estos ca-
pítulos de sant Matheo que digo» den Menschen kundgetan (f. xli’ 25-26). Die
Ausrede, es handle sich hier um fromme Ratschlage, wird weder von Luther
noch von Valdés akzeptiert:
«Non est praeceptum, sed consilium? …
hac sacrilega et blasphema conscientia
vovere omnes, qui consilia esse sentiunt
praecepta dei, quis non inteUiget? (WA
VIII,581.)
«Antronio: Vos señor no veys que essas
cosas no son sino de consejo? Arzobispo:
Esso mal pecado dizen los que quieren te-
ner puerta abierta para ser ruines … » (Did·
logo, f. xlii’.)
D~ Valdés diese drei Kapitel des Matthaeus am Ende seines Katechismus ab-
druckte, war nun die logische Folgerung seiner Auffassung der Bergpredigt.
Allerdings hatte er auch hier einen berühmten Vorgiinger, niimlich Melanchthon:
Dieser hatte in seinem Enchiridion elementorum puerilium von 1524, gleich
nach den zehn Geboten, die drei Matthaeuskapitel gedruckt und war, genau wie
Valdés, dem Text des Erasmus gefolgt6s. Leider wissen wir nicht, ob Valdés
dieses Buch je zu Gesicht bekommen hato
Ober ein anderes Buch hingegen, Okolampads Kommentar zu Isaias, sind wir
64′. Didlogo, f. lxxviiivo-lxxixvo.
65. Ferdinand Cohrs: «Die Evangelischen Katechismusversuche vor Luthers Enchiridion,»
in: Monumenta Germaniae Paedagogica, Bd. XX, Berlin 1900,34-45.
278
aus dem Prozefl, des Juan de Vergara besser unterrichtet: Laut Aussage des Ber-
nardino Tovar gelangte ein Exemplar von «Colampadio sobre ysaya» in eine
Sendung von Büchem aus Flandern, und da sein Bruder Vergara abwesend war,
hatte es Tovar in dessen Bibliothek zu Alcalá deponiert. Er habe es gelesen, so
Tovar weiter, und gelesen Mtten es auch samtliche Doktoren in Alcalá – «to-
dos quantos doctores estavan en Alcalá avían leydo en el dicho libro Colam-
padio» -, denn sie Mtten ein weiteres Exemplar bei einem Buchhandler ent-
deckt und nach allfálligen Irrtümern un tersuch t 66. Unter den Lesern von Vergaras
Exemplar befand sich natürlich sein Freund Juan de Valdés, und jetzt begreifen
wir die Heftigkeit, mit der ihm die beiden Brüder vorwarfen, sich an Materien,
von denen er nichts verstünde, herangewagt zu haben (Vergara) bzw. das Buch
überstürzt und ohne Korrekturen gedrucktzu haben (Tovar)67. Mit Recht be-
fúrchteten die beiden, dafl. man die ihnen wohI bekannten Quellen des Dúílogo
am Ende doch entdecken würde. Denn Valdés hatte hier die sieben Gaben des
hI. Geistes nach Okolampad glossiert.
Der aufl,erst konzentrierte Kornmentar des Basler Reformators wurde zwar
sinngetreu übernornmen, aber Valdés, der nicht in erster Linie fúe Theologen
schrieb, versall es mft ausfúhrlichen Erklarungen. So nehmen Okolampadsknap-
pe Defmitionen von den Gaben der Weisheit und des Verstandes («Sapientia est
doctori opus ad manifeste, sane et ad aedificationem docendum», «Intellectu
vero auditori ad capienda audita et intellecta») in Valdés’ Text beinahe je eine
halbe Seite in Anspruch (f. lvi’ 1-12; lvii 1-6). Diejenigen des Starkmuts und
der Wissenschaft hingegen wurden eher wortlich übersetzt:
«Spiritus autem fortitudinis (datur) con-
silium accipienti ut perficiat quod con-
sulitur.»
«Spiritus scientiae datur sacerdoti docenti
legem Domini.»
» … fortaleza da dios al que es aconsejado,
para que con ánimo fuerte y perseverante
ponga en effecto el consejo que recibe (Ivii
23-25).
«Sciencia da dios a aquellos que elige por
predicadores y pregoneros de la doctrina
sagrada» (Iviii 17 -19).
Aber auch hier schalten sich die Gesprachspartner des Dúílogo mit ihren Bemer-
kungen ein, welche die Materie weiter erklaren sollen.
AIs Entlehnungen von grofl,erer theologischer Relevanz mochten wir noch
zwei weitere Stellen anbringen:
«Igitur et hoc loco Timor species est sua-
vissimae Religionis, summarn in se com-
66. «Proceso de Vergara,» f. ISro- vo.
«Assí que este santo temor parte de dul-
císsirna religion y es muy excelente: por-
67. Didlogo, 115; Bataillon, Erasmo y Egpafla, a.O., 361.
279
plectens iustitiam, fructusque aliorum est
donorum.»
«Scientia igitur … commendatur non mun-
dana illa inflactionis parens, sed scientia
domini.»68
que por él se conservan los otros dones»
(lix [falsch Ixi] 21-23).
«Mirad que debaxo de este nombre de
sciencia, no entendáys ésta, que con in-
dustria humana se adquiere, la qual hincha
y ensobervece» (lviii’ 13-16).
Diese letzte Stelle hat Nieto in seinem Buch zweimal wiedergegeben und dazu
bemerkt: «This is ofthe greatest importance for our understanding ofhis (Val-
dés) religious experience and knowledge.» 69
Diesem Begriff von «Experience» im Zusamrnenhang mit der Erkenntnis von
religiosen Wahrheiten hat Nieto ein ganzes Kapitel seines Buches gewidmet,
denn in ihm wurzelt Valdés’ Religiositat auch in seinen spateren Werken. Dies
haben frühere Forscher ebenfalls gesehen, aber keiner hat es so gründlich und
ausfúhrlich dargestellt wie Nieto. Hier stellt sich nun die Frage, ob Valdés die-
sen Begriff nicht erst von Luther übernommen hato Denn auch der deutsche
Reformator hatte über die Erkenntnis Christi durch «experientia saporis intimi»
geschrieben, über das «experimentum hilarescentis fiduciae», über den «expe-
rientiae sensu» und ebenfalls darilber, d~ des Geistes Gesetz im Menschen
nichts anderes sei als «ipsa viva voluntas vitaque experimentalis» 70.
Ober die mogliche Verwendung anderer reformatorischer Schriften konnen
wir uns jetzt nicht weiter au~ern. D~ Valdés solche noch vor 1529 gelesen hat,
kann man nicht mehr ohne weiteres verneinen. Allein, er konnte ja nicht alles
in einen Katechismus flir Laien zusammenpressen und mu~te vor allem auf all-
zu bekannte Formulierungen verzichten, welche die Professoren von Alcalá
oder gar die Inquisitoren unweigerlich auf die Spur zu seinen Quellen gefiihrt
hiitten. Wir kennen auch nicht die Streichungen, die Hernán Vázquez vor der
Drucklegung im Manuskript vorgenommen hato
IV.
Der Diálogo de doctrina cristiana stellt also den Versuch dar, die Grundgedan-
ken der Reformation in der in Spanien einzig moglichen Form zu propagieren.
Die Tatsache, d~ es sich dabei um bew~te lutherische Propaganda handelte,
darf man gew~ nicht so leichtsinnig übergehen, wie dies etwa Imbart de la Tour
68. 6kolampad: Commentarii omnes in libros Prophetarum, (Geneve) 1558, 103. Für die
lilteren Ausgaben vgl. Ernst Staehelin: Oko/ampad-Bibliographie, Nieuwkoop 19632 , Nr.
109, 110,201.
69. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 120,261 Anm. 14.
70. Luther, Tom. septimus operum, a.O., f. 111, 113; WA 11, 577 31-33,499 20-22.
280
im Falle des franzosischen Obersetzers von Erasmus und Luther, Louis Berquin
vor sechzig Jabren tat: ,,En fait, ce que Berquin semble d’abord avoir cherché
dans Luther, c’est l’expression la plus complete de cette religion interieure ou il
voyait l’épanouisement de son ame.»71 Um «seine Seele zu entfalten», hatte
sich Berquin gewi6 mit der privaten Lektüre von Luthers Werken begnügt; statt-
dessen veroffentlichte er die Obersetzungen, die ihm sch1ieBlich den Tod auf
dem Scheiterhaufen brachten 72. Und auch Valdés ware allein aus solchem
Grund dieses Risiko kaum eingegangen, indem er Luthers Texte buchstablich
in seinen Diálogo übernahm. A1lerdings erinnert die List des Spaniers, den Eras-
mus als Tarnung flir diese Propaganda zu benützen, nicht so sehr an Berquin wie
an diejenigen, die seit 1526 in Italien katechetische Schriften Luthers unter
dem Namen des Erasmus zirkulieren lieBen: La declaratione delU dieci com-
mandamenti: del Oedo: del Pater noster: con una breve annotatione del vwere
christiano per Erasmo Rotherodamo utile e necessaria a ciascuno fidele christia-
no 73. Und sch1ieBlich sol1 man nicht vergessen, daB der Barbatius im Co11oqui-
um Inquisitio de fide niemand anderen als Luther selbst darste11t 73a. Erasmus
hatte den Reformator die Auslegung des Glaubensymbols beinah mit dessen
eigenen Worten vortragen lassen, so daB Valdés’ Adaptation dieses Kapitels im
Diálogo de doctrina ebenfalls auf Luther zurückgeflihrt werden kann.
Was aber von Valdés vorgetragen wurde, war nicht allein Luthers Lehre: Be-
reits im Diálogo sind die ersten Ansii.tze einer spiritualistischen Radikalitat zu
erkennen, die über Luther hinaus die traditione11e Dogmatik und jegliche Kir-
chenordnung auf einen zweiten Platz relegierté: Das Leben eines christlichen
Menschen beginne mit dem Glauben, der Liebe und der Nachfolge Christi, und
damit ende es auch. «Que el christiano después de ayer recebido el agua del
baptismo se funda principalmente en fe y charidad y luego en aprovechar a
todos y no dañar a alguno y en fin en bivir a exemplo de ieso christo nuestro
señor pura y sinceramente.» 74 Alles andere, die Zeremonien und Statuten der
71. P. Imbart de la Tour: Les origines de la Réforme. 1/1, L’évangélisme (1521-1538),
Paris 1914, 199.
72. Nathanael Weül.: .. La littérature de la Réforme franf,/llise. Notes sur les traités de
Luther traduits en franlilÚs et imprimés en France entre 1525 et 1534, IV,» in: Bulletin
de l’HiBtoire du Protestantisme Frtz~ais 37, 1888,500ff.
73. Silvana Seidel Menchi: .. Le traduzioni italiane di Lutero nella prima meta del Cinque-
cento,» in: Rinascimento, seco serie XVII, 1977, 61ff. Das Buch erschien zuerst 1525 ano-
nym mit dem Titel Libretto volgare con la dechiaratkme … U.s.w.; die Nachdrucke unter
dem Namen des Erasmus erfolgten 1526, 1540 und 1543, vgl. ebd. 62.
73a. Lucien Febvre: Le probleme de l’jncroyance au 16e siecle. La religion de Rabela{B,
Paris 1968, 224.
74. Didlogo, f. vro.
281
Kirche, sind nebensiichlich: «Mirad padre, lo que yo dixe que el christiano deve
tener, es lo principal: Estotro es accessorio.»7S Aus diesem Grund, und nicht,
weil er flir Laien zu schreiben vorgab, unterschlug Valdés in der Bearbeitung
der Inquisitio de [ide viele theologische Erkliirungen des Erasmus, verzichtete
er vollstiindig auf die Kasuistik der SÜDden, die den grofl,en Teil von Luthers
Decem Praecepta ausflillt, überging er geschickt die systematische Darstellung
der Sakramente, indem er die Beichte und das Abendmahl nur kurz und ohne
jede theologische Stellungnahme unter den fünf kirchlichen Geboten behan-
delte, und nannte schliefl,lich die Zeremonien einen blofl,en Zeitvertreib, den
Gott den Juden verordnet hatte, um sie zu beschiiftigen und vor schlimmerem
zu bewahren 76. All dies betrachtete Valdés als iiufl,erliche Dinge, die nicht abzu-
lehnen, sondern einfach als unwichtig zu betrachten seien: «pluviese a Dios que
aprendiéssemos todos los que nos llamamos christianos: a no hazer tanto hin-
capié en estas cosas corporales y exteriores: e a poner todo el fundamento de
nuestra christiandad en las espirituales e interiores.» 77
1m Diálogo war dieser Unterschied zwischen Innerlichem und Aufl,erlichem,
den Cantimori aus dem spiiteren Werk des Valdés meisterhaft formulierte, be-
reits ausgedruckt: «L’interiore era la vita spirituale, la devozione, la medita-
zione mistica, la convinzione che solo la fede giustiflca. L’esteriore, tutto cio che
diceva la tradizione: i dogmi, le cerimonie, cioe il sistema dei sacramenti, la
messa, le buone opere, le osservanze: tutto quello, o gran parte di quello che
luterani e zwingliani (e poco piu tarde i calvinisti) combattevano come super-
stizione papale, romana. Per il Valdés non c’era da combattere apertamente
contro queste esteriorita: non c’era da combattere perché per lui esse non ave-
vano nessuna importanza. » 78
Cantirnori erkliirt den aufl,erordentlichen Erfolg der valdesianischen Lehre in
Italien durch den unbestimmten Charakter, welcher dort die kirchliche Reform-
bewegung jahrzehntelang auszeichnete: «Questo carattere vago e incerto, pieno
di impeti sentirnentali e di passione, questa inquietudine, questa confusione,
insomma, mentale e sentimentale, spiegano a loro volta la fortuna che ebbe in
Italia il movimento detto valdesiano, cosi chiamato da Juan de Valdés, il quale
seppe inserire il suo rifluto della tradizione dogmatica cattolica e la sua propa-
ganda per le dottrine luterane in quel movimento di ritorno alla prattica e alla
75. Ebd., f. vro-vo.
76. Ebd., f. xcro ; Nieto hat mit Recht auf die Kritik dieses Standpunktes durch Calvin
hingewiesen, vgl. Juan de Valdés, a.O., 124 Anm. 163.
77 . Diálogo, f. xiiivo .
78. Delio Cantimori: «ll circol0 di Juan de Valdés» (1961), in: Ders.: Umanesimo e reli-
gione nel Rinascimento (piccola Biblioteca Einaudi 247), Torino 1975, 199.
282
fede dell’eta evangelica e di quena apostolica, che viene chiamoto evangelismo
e che non ha nuna di eterodosso. E la sua azione fu cosi sottile da ingannare
non solo molti dei contemporanei, almeno per un certo tempo, ma anche molti
studiosi di questi argomenti, fmo ai giomi nostri.» 79
Als Cantimori 1961 diese Zeilen über die lutherische Propaganda durch Val-
dés und die Valdesianer schrieb, stand er stark unter dem Eindruck der Ent-
deckung von Tornmaso Bozza, wonach das berühmte Buch Del beneficio di
Cristo, das als Inbegriff der valdesianischen Religiositat gegolten hatte, nichts
anderes als ein Flickwerk aus der Institutio religionis christianae des Calvin zu
sein schien 80. Die spatere Forschung und im besonderen der Herausgeber der
prachtigen Ausgabe des Beneficio im CorpusReformatorumltalicorum, Salva-
tore Caponetto, haben Bozzas anfángliche Oberbewertung der dort vorhande-
nen Kriptozitate aus Calvin auf ihre wirkliche Dimension zurückgesehraubt:
«La dottrina valdesiana costituisce il nocciolo e il substrato den’opera»; «E che
Valdés resti la fonte primaria del Beneficio lo conferma il fatto che rnolti con-
cetti, comuni ai riformatori e allo Spagnolo, sono riproposti per il tramite val-
desiano. » 81
Aber Caponetto neigte zu stark auf die ande re Seite, als er schrieb: «Farne
(del Beneficio) un’opera di pura propaganda protestante di un abile ritagliatore
di testi dei riformatori e una spiegazione semplicistica e lontana dal vera: Ri-
marrebbe da chiarire il fine di questa propaganda, se persone del ceto ecclesia-
79. Ebd., 197.
80. T. Bozza: II Beneficio di Cristo e la Istituzione della religione cristiana di Calvino,
Roma 1961; Ders.: Introduzione al Beneficio di Cristo, Roma 1963; Ders.: Calvino in
Italia, Roma 1966; Ders.: La Riforma cattolica. II Beneficio di Cristo, Roma 1972. Nach-
dem diese Seiten redigiert waren, habe ich, dank der Freundlichkeit von Manfred E. Welti,
das neue Buch von Bozza: Nuovi studi sulla Riforma in Italia, 1, II Beneficio di Cristo,
Roma 1976, einsehen konnen. Hier bleibt Bozza immer noch bei seinem Standpunkt, wo-
nach das Beneficio di Cristo nichts als die reine Lehre Calvins wiedergibt («Ed e proprio,
oltre lo schema, la dottrina del trattatello che e identica alla dottrina della summa del Ri-
formatore di Ginevra», p. 409f … Nulla nel Beneficio che possa ricordare la dottrina della
Chiesa cattolica … Nulla neppure che ricordi lo stesso Valdés, perché altro e ü processo
della fede nell’eretico spagnolo.», p. 391). Bozza ist allerdings überzeugt, da1\ Valdés die
Bücher und Lehre der Reformatoren sehr genau kannte (ebd. pp. 264, 272, 274), aber am
Ende hat auch er den Rat cantimoris nicht befolgt, die Schriften des Spaniers nach dem
moglichen EinfluL\ von Luther und Calvin sorgfáltig zu untersuchen, vgl. D. Cantimori:
Conversando di storia, Bari 1967,69.
81. Benedetto da Mantova: R Beneficio di Cristo con le versioni delsecolo XVI, docu-
menti e testimonianze, a cura di Salvatore caponetto, (Corpus Reformatorum Italicorum)
Firenze-Chicago 1972, 474-478; A. Rotonda: .. Atteggiamenti della vita morale italiana
del Cinquecento. La prattica nicodemitica,» in: Rivista Storica Italiana, 79, 1967, 1015f.
283
stico fomite di una buona cultura teologica la lessero con grande fervore senza
pensare’ a Lutero e a Calvino e se, ancora di recente, un conoscitore delle con-
troversie teologiche del Cinquecento come Hubert Jedin poteva non trovarvi
esplicite eresie.» 82 Auch Domingo d~ Santa Teresa hat keine Hiiresie in den
Werken des Juan de Valdés wahrgenommen, was aber nur he~t, dd sich die
Kriterien zur «Ketzermachung» seit Ambrogio Catarino sehr stark gewandelt
haben. Und was den Zweck der Schrift betrifft, so ftigt der modeme Heraus-
geber des Beneficio hinzu: «In realta, Benedetto Fontanini e il suo collabora-
tore Marco Antonio Flaminio non intessero diffondere il Juteranesimo’ o il
,calvinismo’, e neppure il valdesianismo nella sua forma piu originale ed estre-
ma, ma annunciare la ,santa dottrina’ della giustificazione riservata da Dio agli
eletti e predestinati, i cui nomi sono scritti nellibro della vita.» 83
Als ob die Lehre von der Rechtfertigung durch den Glauben nicht erst durch
Luther wieder erschIossen und propagiert worden wiire und als ob sie nicht den
geschichtlichen Ausgangspunkt der ganzen Reformation ausmachen würde. Und
wenn dies damals nicht allen klar genug sein sollte, wiederholte es Luther selbst
mit kriiftigen Worten in den Schmalkaldischen Artikeln von 1537, indem er als
ersten und Hauptartikel den bezeichnete, «dd wir ohne unser Verdienst uro
des Erlosungswerkes Christi willen durch den Glauben gerecht werden. ,Von
diesem Artickel kan man nichts weichen, Es falle Himel und Erden.’ – ,Und
auff diesem Artickel stehet Alles, das wir wider den Bapst, Teuffel und Wellt
leren und leben’.» 84
Viel realistischer als Contarini und Melanchthon, die 1541 in Regensburg eine
provisorische Einigung ausgerechnet über diesen Punkt der Rechtfertigung zu-
standebrachten, urteilten Wittenberg und Rom. Luther nannte die Einigungs-
formel eine «weitleufftige geflickte Notel … , darin sie [die Katholiken] recht
und wir auch recht haben», und in Rom fand sie au&r bei Reginald Pole über-
haupt keine Zustimmung8S. In Italien wuBte praktischjeder theologisch Gebil-
dete, von Caterino Politi bis Carnesecchi, uro den Ursprung und die Tragweite
der Rechtfertigungslehre, und wenn jemand den Beneficio di Cristo tatsiichlich
«senza pensare a Lutero e a Calvino» gelesen hat, beweist dies nur den hohen
82. B. da Mantova, n Beneficio, a.O., 479.
83.Ebd.
84. Luthers Werke, WA 50, 198f.
85. Gasparo Contarini: Gegenreformatorische Schriften (1530-1542), hg. v. Friedrich
Hünermann, in: Corpus Oztholicorum 7, Münster i.W. 1923, XX; Eine zweite vorlaufige
Einigung bedeutete das Augsburger Interim von 1548, das aber praktisch nirgends Gültig-
keit erlangte. Der Augsburger Religionsfrieden von 1555 besiegelte die endgültige Tren-
nung der Konfessionen.
284
Grad an Wirksamkeit, welche die protestantische Propaganda durch die Valde-
sianer unterschwellig erreicht hatte. DaS es trotzdem vielen gelang, die luthe-
rische Rechtfertigungslehre in gutem Glauben von ihren verheerenden Folgen
fÚ! das katholische Kirchensystem zu trennen, war deshalb moglich, weil man
diese Folgen um der Wiedervereinigung willen und in der Hoffnung auf eine
tiefgreifende Reform der Kirche zuniichst verdriingte (Contarini, Pole, Morone)
oder weil fÚ! sie, (die Valdesianer), die Beibehaltung der ii~eren Kirche vollig
nebensiich1ich geworden war.
Diese ganze Bewegung allgemein als Evangelismus zu bezeichnen, wie es heute
vielerorts Mode geworden ist, geht nur an, wenn man von den lutherischen An-
fángen von Valdés nichts wem und die lutherische Seite seiner religiosen Propa-
ganda in Italien vollig a~er acht l~t. Bleiben wir mit Cantimori bei der Be-
zeichnung «valdesianische Bewegung» mit ihrem lutherischen und spiritualisti-
schen Element, ohne aber die Anhiinger dieser Bewegung, wie es damals die In-
quisitoren taten, gleich als Lutheraner und Calvinisten abstempeln zu wollen.
Prazise konfessionelle Stellungnahmen innerhalb der valdesianischen Bewegung
konnten nur im Kontakt mit der etablierten Reformation stattfmden, also bei
den Exulanten86• Es wurden jedoch nicht wenige von diesen wegen der Beibe-
haltung des Spiritualismus von Valdés auch von den Reformatoren alsHiiretiker
betrachtet. Als Paradebeispiel sei nur Bernardino Ochino genannt, von dem Cal-
vin und Beze behaupteten, er hiitte seine profanen Spekulationen direkt aus
den 110 Considerazioni des Valdés entnommen: «aus einem Buch», – so die
Reformatoren – das noch vor dem Druck Mtte verbrannt werden sollen, da
es in vielen Teilen den anabaptistischen Geist atme, die Menschen vom Worte
Gottes entferne und sie zu Spekulationen verfiihre, «quas falso spiritum vo-
cant.» 87
In Spanien hingegen wurde jede Entfaltung des Valdesianismus bereits in nuce
verhindert, indem die Inquisition die Bewegung der Alumbrados und der Eras-
misten kurz nach Erscheinen des Diálogo de doctrina endgilltig zersch1ug. DaS
der junge Valdés zunachst in diesen ihm so vertrauten Kreisen Luthers Ideen
zu verbreiten suchte, beweisen deutlich genug die Widmung an den Marquis de
Villena, den Schirmherrn von Alcaraz, die wiederholten Berufungen auf Eras-
mus und die zentrale Rolle, die einem prominenten Exponenten von Cisneros’
Reform, dem bereits verstorbenen Fr. Pedro de Alba, im Diálogo zugesprochen
wird. Die spontane Begeisterung, die das Büch1ein gerade bei vielen dieser Leute
sofort hervorrief, muBte Valdés davon überzeugen, daS er sich weder in der
86. A. Rotondo, «Atteggiamenti,» a.O., 1016.
87. Th. de Beze: Epillto1arum theologicarum liber unUIl, Genevae 1573, ep. IV, 33-48.
285
Wahl seiner Mittel noch in der Bestirnmung seines Leserkreises verrechnet hatte.
Verrechnet hatte er sich allerdings, wie viele seiner Freunde und Beschützer, in
der Einschatzung der tatsachlichen Macht der Ordensbrüder und auch in der
Annahme, d~ die Inquisitoren einen wesentlichen Unterschied zwischen Lu-
ther, Erasmus und den Alumbrados machen würden. «Los errores de los que se
dicen alunbrados», lesen wir in der Anklageschrift gegen Vergara, «quasi cohin-
~iden con los dichos errores lutheranos» und «Erasmo era segundo Luthero e
como glosa dél dezía y hablava mucho mal.» 88 Als Alumbrados, Erasmisten
und Lutheraner wurden Valdés und seine Freunde unter Anklage gestellt und
als solche auch verurteilt.
AnschlieBend an seine meisterhafte Schilderung dieser Unterdrückung durch
die Inquisition schrieb Bataillon: «Nous sornmes maintenant mieux préparés a
comprendre certains mouvements et certains hommes que l’Inquisition a traités
de ,luthériens’, et que les historiens modernes, protestants ou catholiques, ont
trop facilement annexés au protestantisme.» 89 Für Bataillon stand fest, d~ im
Spanien des 16. Jahrhunderts überhaupt keine Rede davon sein konnte, und
vom Vorwort bis zum SchluB seines Werks gebrauchte er das Wort «Iuthéranis-
me» in bezug auf Spanien stets in Anführungszeichen. Der sehr reale Luthera-
nismus – diesmal ohne Anführungszeichen – im Diálogo des Juan des Valdés
berechtigt uns zu der Frage, ob wir heute diese Bewegungen weiterhin durch
Begriffe wie Erasmismus oder lihnliches einschranken dürfen. Auch die gewalti-
se Menge von Büchem protestantischer Autoren, welche die Inquisition von Se-
villa bis 1560 konfisziert hatte (und die Bataillon nie erwiihnt hat, obschon
das lange Verzeichnis seit 1902 veroffentlicht ist), beweist deutlich, d~ dort
nicht nur Erasmus gelesen wurde 90• Es ist also ein dringendes Postulat der
88. «Proceso de Vergara,» f. 134ro , 135vo.
89. Bataillon, Erasme et l’Espagne, a.O., 548 (Erasmo y España, a.O., 509).
90. Ernst Schiifer: Beitriige zur Geschichte des spanischen Protestantismus und der Inqui-
sition im sechzehnten Jahrhundert, 2., Gütersloh 1902, 392-400. Hier folgt eine Auswahl
der protestantischen Theologen mit der Anzahl ihrer im Memorial der Inquisitoren ver-
zeichneten Bücher: A. Corvinus, 5; A. Osiander, 1; A. Althamer, 2; Aretius Felinus (But-
zer), 1; B. Westhemer, 3; B. Ochino, 2; Chr. Hofmann, 2; C. S. Curíone, 3; Ch. Hegendorf,
I;C. Pellican, 6 Bd. Op. omn. + 2;E. Sarcerius, 16;F. Lambert, 5;G. Creutziger, 2;K. Me-
gander, 2; BuUinger, 10; Zwingli, 3 Bd. Op. omn.; Calvin, 11; J. Draconites, 2; J. Spangen-
berg,4; tlkolampad, 8; Bugenhagen, 7; Vadian, 1; J. Gast, 3; J. Pérez de Pineda, 2; Sleydan,
1; J. Jonas, 2; J. Wilichius, 2; J. Rivius, 4;J. Rinthisius, I;J. Agrícola, I;J. Brentz, 15; L.
Loss, 4; L. Culman, 3; M. Butzer, 8; M. Borrhaus, 3; Luther, 5 Bd. op. omn.; M. Servet, 1;
N. Gallus, 1; O. Brunfels, 2; P. Viret, 6; P. M. Vermigli, 2; P. Phrygio, 1; P. Fagius, 1;P.
Artopoeus, 2; Melanchthon, 2 Bd. Op. omn. + 8; S. Münster, 5; S. Meyer, 2; S. Castalio, 1;
Th. Bibliander, 4; Th. Veratorius (Gechauf), 1; W. F. Capito, 3; W. Wissenburg, 1; U. Re-
gius, 1; W. Musculus, 5; (A~erdem wurden noch 5 Werke des Erasmus, 2 des Juan de
281′»
Historiographie, die Bedeutung des Erasmismus als Katalisator und gemeinsa-
mer Nenner der spanischen Religiositat des 16. Jahrhunderts um einige Grade
abzuschwachen.
Mit diesem Abbau hatte allerdings Bataillon selbst begonnen, als er unter dem
Eindruck von Nietos Forschung in seinem Aufsatz «Vers une définition de
l’érasmisme» schrieb: «Que Juan de Valdés ait coloré ou non son Diálogo d’éras-
misme pour dissimuler une dette envers un maftre moins avouable, il reste qu’il
a appartenu, comme son frere Alfonso, au monde des propagateurs de la gloire
des idées d’Erasme en Espagne. Mais pour qui veut suivre le progrés de ces idées
dans une zone ambigue entre l’hétérodoxie et l’orthodoxie traditionelle, il est
impossible de négliger cette possibilité que l’érasmisme ait été a l’occasion as-
sumé ou porté comme le masque rassurant d’une pensée hétérodoxe.»91 Ba-
taillon stand damals unter dem Eindruck der noch nicht verOffentlichten These
Nietos und dachte dabei an Alcaraz. Heute würde sich der gro~e Hispanist wie-
Valdés, eins von Cerió Furiol und 5 von Constantino Ponce de la Fuente verzeichnet). Die-
se Bücher wurden in zwei Kisten aufbewahrt «f\ir den Fall, da1l. einmal eins derselben zu
irgend einer Feststellung benotigt wird», wie die Inquisitoren von Sevilla in einem Brief
vom 8. Januar 1562 an den Consejo der Inquisición Suprema berichteten. Alle weiteren
Exemplare derselben Werke – «eine sehr groBe Menge» – waren bereits im Hof des Triana-
schlosses verbrannt worden. Auch von den beschlagnahmten Bibeln behielten die Inquisi-
toren jeweils ein Exemplar, die übrigen sollten entweder zensiert und verkauft oder, wenn
die Suprema es so wollte, verbrannt werden (vgl. José 1. Tellechea Idígoras: «Biblias publi-
cadas fuera de España secuestradas por la Inquisición de Sevilla en 1552,» in: Bulletin His·
panique 64, 1962, 236-247). Die verdachtigen Bücher, die man expurgieren sollte – auch
hier «eine sehr groJl,e Menge» – wurden zum Hospital del Cardenal gebracht, und diejeni-
gen, die nicht verboten waren, den Besitzern zurückgegeben. Ein groBer Teil dieser Bücher
stammte offensichtlich aus der Bibliothek des Doctor Constantino. 1m Inventar der ca.
900 Bücher, die in seinem Hause beschlagnahmt wurden, befindet sich zwar kein einziges
Werk der Reformatoren (vgl. Klaus Wagner: El doctor Constantino Ponce de la Fuente. El
hombre y su biblioteca, Sevilla 1979), aber nach dem Bericht von Reginaldus Gonsalvius
Montanus hatte Constantino vor seiner Verhaftung die gefáhrlichen Bücher im Hause der
Witwe Isabel Martínez einmauern lassen. Auch der Jesuit Diego Suárez berichtete im Au-
gust 1559 an Laínez, man habe bei einer dem Constantino sehr zugetanen Dame zwischen
zwei Wiinden mehr als 2000 verbotene Bücher gefunden: «más de dos mil cuerpos de libros
prohibidos emparedados en dos tabiques, y a ellos y a ella llevaron a la Inquisición.» (Ba-
taillon, Erasmo y España, a.O., 528). Bataillon hingegen hat die Behauptung des Verfassers
der lnquisitionis hispanicae artes als legendiir abgetan («un buen capítulo de novela») und
dem Zeugnis des Jesuiten keinen groBen Wert gelegt, nur weil Constantino im Sommer
1560 im Gefángnis an einer Krankheit und nicht früher auf dem Scheiterhaufen gestorben
ist. «Julianillo» Hernández, den die lnquisition ein Jahr vor Constantino verhaftet hatte,
wurde erst im Dezember 1560 verbrannt.
91. Bataillon: «Vers une définition de l ‘érasmisme,» in: Colloquia Erasmiana Turonensia,
Tours 1969, 29; Ders.: Erasmo y el erasmismo, Barcelona 1977, 154.
287
der korrigieren müssen und auf Valdés übertragen, was er eine Seite zuvor über
Berquin geschrieben hatte: «Son érasmisme pourrait etre tenu pour vetement
rassurant d’un luthéranisme bien réel.»
Trifft dies aber ausschlieBlich ftir Valdés zu, als ob er irn Alleingang seine
Freunde über Erasmus hinaus zu Luther zu lenken versuchte, oder war diese
lutherische Propaganda die Folge und der Ausdruck einer weitverbreiteten Hal-
tung? Die enge Solidaritlit, die dem Verfasser des Diálogo durch die Erasmisten
von Alcalá zuteil wurde, grenzte in einigen Flillen an Komplizenschaft.
An erster Stelle sei hier Val dé s’ Bruder Alfonso, Sekretlir des Kaiser, erwlihnt,
der wlihrend des Augsburger Reichstags von 1530 die Rolle eines taktvollen
Vermittlers zwischen dem Kaiser, dem Nuntius Aleander und Melanchthon wie
kein anderer zu spielen vermochte. Auf Alfonso de Valdés hatte Girolamo Ale-
ander offenbar gezielt, als er einige Leute aus der Umgebung des Kaisers bezich-
tigte, «diese lutherische Sekte, sosehr sie dieselbe in ihren Reden verwürfen,
doch durch die Tat zu fOrdern, und weil sie sich über Luther, da die ser ver-
dammt sei, nicht frei liuBern dürften, so hoben sie den Erasmus in den Hirnmel
und verbreiteten dessen Verehrung in Spanien,,91a. Ein Nachhall aus der Lek-
türe von Luthers Schriften ist vor allem irn Diálogo de Mercurio y Carón des
Alfonso de Valdés unüberhOrbar 91b , aber die wortlichen Entlehnungen, die wir
feststellen konnten, stammen alle aus den Werken des Erasmus 91C.
Ahnlich bruchstückhaft ist unser Wissen über die wirkliche Haltung des Juan
de Vergara: Seiner Erkllirung vor den Richtern, wonach er den Diálogo de doc-
trina nicht gelesen, sich ein Urteil darüber nur aus den günstigen Zeugnissen von
Carranza und Coronel gebildet und hochstens mit seinem Halbbruder Tovar da-
von gesprochen hlitte, dürfen wir bestirnmt keine allzu groBe Bedeutung bei-
messen 92. Mindestens eines der von Valdés benutzten Bücher, 6kolampads
lsaiaskommentar, hatte Vergara gehort und es ist anzunehmen, daB dieser mehr
lutherische Bücher besaB als die fúnf, die er irn August 1530 der lnquisition sel-
ber aushlindigte 93. Von einem weiteren lutherischen Buch aus Vergaras Biblio-
91a. E. Boehmer: «Juan und Alfonso de Yaldés,» in: Realencyklopiidie für protestanti-
sche Theologie und Kirche 3, 20, 383.
91b. Alfonso de Yaldés: Diálogo de Mercurio y Carón, ed. J. F. Montesinos, (Clásicos
castellanos 96), Madrid 1965,134 6-22,208 14-26,210 24-30.
91c. Alfonso de Valdés: Diálogo de las cosas ocurridas en Roma, ed. J. F. Montesinos
(Clásicos castellanos 89), Madrid 1969, 20-26,28 (vgl. Querella pacis, Erasmi Opera, LA,
IV, 628-635, 639, 641-642); Ders., Diálogo de Mercurio, a.O., 12-19 (vgl. Querella
pacis, 631; Enchiridion, Erasmi Opera, Y, 5, 41, 48-49; Colloquia, Erasmi Opera, 1, 679,
685,709 usw.)
92. Longhurst, Erasmus and the spanish lnquisition, a.O., 42f.
93. «Proceso de Vergara,» lvo ; Bataillon, Erasmo y España, 439.
288
thek, das Tovar an Juan del Castillo weitergegeben hatte, erfuhren die Inquisi-
toren wiíhrend der Vernehmung von Castillos Bruder Gaspar de Lucena 94. Gegen
einen militanten Lutheranismus des Vergara spricht freilich ein geheimer Brief,
den dieser dem bereits verhafteten Tovar zukornmen lie~. Vergara wollte vom
Bruder wissen, was er mit jenen Teufeln (gemeint sind wohI die verhafteten
Alumbrados) alles geredet und ob er die aberglii.ubischen Dinge nach der Art
des Erasmus oder aber nach der des Hundes Luther kritisiert habe («Tamen
multum refert si va la cosa a fuert de Erasmo o a fuert del perro de Luthero
quod Deus avertat») 95. Aber geh6rte dieser Ton nicht in einen Brief, der wo-
mOglich in die Hii.nde der Inquisitoren geraten k6nnte, wie es dann tatsii.chlich
auch geschah?
Auf jeden Fall war Vergara nicht so unvorsichtig wie sein impulsiver Bruder
Tovar oder dessen Freund Castillo, die als Anftihrer der Cohors sive factio fu-
theranorum van dem Kleriker Diego Hernández denunziert wurden. Den Aus-
sagen des Hernández wird von den Historikern keinerlei Glaubwürdigkeit beige-
messen, aber selbst Bataillon hat anerkennen müssen, d~ sich dieser als Lufti-
kus verrufene Kleriker in den Kreisen der «Alumbrados érasmisants» von Alca-
lá sehr gut auskannte und d~ seine Angaben, abgesehen von den abgestuften
theologischen Rubrikaten, mit denen er jeden Namen versah, nicht einfach zu
verwerfen sind 96. Mit der Aufdeckung der Quellen des Diálogo von Valdés er-
fahren jetzt aber diese Rubrikate des Hernández eine unerwartete Aufwertung,
und das weitere Schicksal der vom Kleriker als «dañados» oder «finíssimos lu-
theranos» Denunzierten l~t vermuten, d~ Hernández in der Weitergabe von
Castillos Indiskretionen vielleicht übertrieb, aber keineswegs fantasierte.
López de Calaín, Garzón und Castillo erlitten den Feuertod; über TovarsEnde
ist nichts überliefert 96a; Vergara m~te «de vehementi» widerrufen; Valdés,
Villafaña, Miona, Díaz, Pascual und Torres setzten sich ins Ausland ab. (Gas-
par, Pedro oder Juan) de Villafaña ist sehr wahrscheinlich der Martinus a Villa-
fana Hispanus, der sich 1543 zusarnmen mit dem Buchdrucker Pietro Perna in
das Matrikelbuch der Universitii.t Basel einschreiben lie~ 97. Bei dem Studenten
(Gasión oder Manuel) Díaz, der 1530 mit Miona nach Paris floh, k6nnte es sich
um keinen geringeren handeln als um den berühmten Juan Díaz (aus Cuenca
94. Ebd., 478.
95. Ebd., 454; die beschlagnahmten Briefe des Vergara an Tovar sindjetzt in M. Ortega,
Proceso de la Inquisición contra Marfa de Cazalla, a.O., 515-518, abgedruckt.
96. Bataillon, Erasmo y España, 483.
96a. Tovars Proze1lo dauerte noch 1541, vgl. Angela Selke: «Vida y muerte de Juan López
de Calaín, alumbrado vizcaíno,» in: Bulletin Hispanique, 62,1960,145.
97. Die Matrikel der Universitiit Basel, ,hg. V. H. G. Wackernagel, n., Basel 1956, 32.
289
gebürtig wie Valdés), dessen Teilnahme am Regensburger Religionsgesprach als
Vertreter der protestantischen Seite die Spanier so sehr aufbrachte, daB sein
eigener Bruder ihn ennordete, um die Ehre der Familie und des Vaterlandes zu
retten. Bis Ende 1544 hatte Juan Díaz «totos tredecim annos aut eo amplius»
in París unter Budé studiert, was sowoh1 mit der Chronologie wie mit der Stu-
dienrichtung des geflohenen Studenten aus Alcalá übereinstimmt. Er war woh1
der Johannes Diazius, den die Akten der Universitat Paris 1536 als Bach. arti-
um bezeichnen 98.
Der Rektor der Universitiit Alcalá, Mateo Pascual, wurde nach Spanien zu-
ruckgelockt und wegen einiger Satze über das Fegefeuer bis 1537 im Gefángnis
gehalten; er m~te diesen Satzen abschworen und verlor alle seine Ámter. 1538
gehorte er in Rom zu den drei «viros acres hispanos», die Ignatius und dessen
Freunden mancherlei Schwierigkeiten machten 99.
Bei Miona und Torres scheint jedoch der K1eriker Hernández selbst gesehen
zu haben, dai er zu weit gegangen war, als er sie wegen ihrer Freundschaft mit
Tovar in seiner ersten Denunziation auf die gleiche Stufe wie Valdés stellte; in
seiner zweiten, die um weitere vierzig Namen angewachsen war, erwiihnte er die
beiden nicht mehr. Der Portugiese Manuel Miona war der Beichtvater von Igna-
tius von Loyola in Alcalá gewesen und hatte diesem die Lektüre von Erasmus’
Enchiridion militis christiani empfoh1en. 1534 studierte Miona in París, und
zwei Jahre spater versuchteIgnatius, ihn zur Absolvierung der Exercitia zu be-
wegen. Erst 1544 trat Miona in die Gesellschaft Jesu ein1OO• Der Versuch von
R. García-Villoslada S.J., Miona von jedem Verdacht des Erasmismus und
Alumbradismus freizusprechen, gehort in den Bereich der Hagiographie.
Der Vizerektor des Collegium Trilingue, Torres, (den Villoslada, wie früher
auch Bataillon, als den spateren J esuiten Miguel de Torres identifIzierte, der
98. Menéndez y Pelayo: Historia de los Heterodoxos ellpaffoles (l.IV, c.5), IV, Buenos
Aires 1951, 232f.; Luis de Matos: Les Portugais a l’Université de Parisentre 1500 et 1550,
Coimbra 1950, 89, (wo Joannes Diasius, 1536, mit einem Portugiesen Joao Dias ohne je-
den weiteren Beweis identifiziert wird); Ricardo García-Villoslada: «La Universidad de
París durante los estudios de Francisco de Vitoria,» in: Analecta Gregoriana XlV, ser.
Fac. Hist. Ecc\es. Sectio B N.2, Roma 1938, 400, wiederholt die Angaben von Menéndez y
Pelayo, hat aber den Namen des Juan Díaz in den Acta rectoria Univ. Par. übersehe.l.
99. Bataillon, Erasmo y Espaffa, a.O., 476f.; M. Del Piazzo – C. Dalmases: «ll processo
sull’ortodossia di S. Ignazio e dei suoi compagni svoltosi a Roma nel 1538. Nuovi docu-
mentí,» in: Arch. Hist. Soco Jesu, 38,1969,434.
100. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 213. Über die ersten Prozesse des Ignatius im Zu-
sarnmenhang mit der Verfolgung der Alumbrados vgl. Milagros Ortega Costa: «San Ignacio
de Loyola en el Libro de Alumbrados; nuevos datos sobre su primer proceso,» in: Arbor,
107,1980,163-174.
290
sich aber in Basel Christophorus a Turri nannte)1Ol, kam im Marz 1533 nach
Basel; hier wurde er dreimal eingekerkert und mit dem Tode bedroht ftir den
Fall, d~ er je wieder in die Stadt zurückkornmen würde. Torres hatte sich in
den Kopf gesetzt, die Basler von der Lehre des «servum arbitrium» abzubringen
und zur Rückkehr in die allgemeine Kirche zu bewegen. Dank dem Beistand
von Bonifatius Amerbach und Simon Grynaeus gelang es dem eifrigen Grazi-
sten von Alcalá, a~s Basel heil wegzukommen. Damilio de Gois, der von dem
Fall gehOrt hatte, erkundigte sich bei Amerbach über Torres’ weiteres Schick-
sal 102. 1m Kerker von Basel hatte Torres jedoch seinen Lebenslauf ftir Amer-
bach niedergeschrieben, der ein überraschend neues Licht auf die Vorfálle in
Alcalá wirft und uns gleichzeitig einen unmittelbaren Einblick in die bizarre
Atmosphare des «Alumbradismo érasmisant» gestattet 103.
101. R. García-Villoslada: Loyo/a y Eras1OO, Madrid 1965, 66f., IOOff.; Bataillon, Eras-
100 y Espafla, a.O., 213, 484. Torres signierte seine Briefe an Amerbach mit einem Kreuz
auf einem Turm oder Hügel; über den Balken des Kreuzes schrieb er die Buchstaben «s.
m.», darunter aber «s. ch.» Wollte er damit symbolisieren, daf> er in normalen Zeiten Mi-
chael hie~ (s[um) m[ichaelJ) aber unter der Last der Verfolgung den Namen Christophorus
annahm (s[um) ch[ristophorus]), oder sollten wir diese Buchstaben als ein banales «sum
mariae, sum christi» interprctieren? Auch Amerbach konnte das Rlitsel nicht losen, vgl.
Die Amerbachko»espondenz, hg. v. A. Hartmann, IV., Basel 1953, 237. Eine Schwierig-
keit fúr die Identifizierung von Christophorus mit Miguel de Torresjedoch ergibt sich aus
der Chronologie. Wenn die Lebensdaten von Miguel de Torres 1509-1593 stirnmen (vgl.
Manrellll XXII, 1950, 73-80), dann war er kaum zwanzigjlihrig und schon Priester und
Vizerektor, was unwahrscheinlich scheint.
102. In der Aktenllllmmlung zur Geschichte der Bas/er Reformation hg. v. E. Dürr und
P. Roth, Basel 1921ff., Bd. 6, Nr. 263, 265, 276 u. 278, heiEt es: «Her Cristoffel a Turri,
sol1 priester und hispanier sin. 1st in gefencknusz gelegen, von wegen das er vnnsere predi-
canten ouch kilchen geschuldiget, vnd so er dorumb vss gotlicher vnd biblischer geschrifft
red vnd antwort geben vnd nemmen sol1en, hat er das zethund abgeschIagen. Der vrsachen
halb, vff Mittwoch den 9 tag Aprilis wider ledig gelossen, hatt vff dem heilgen Evangelio
ein vfrechte volkummene vrfecht geschworen, vnd das er von stund an vss der statt vnd
land Basel sich thun well, inn ewigkeit niemer dorin zekummen, by pen de schwerts etc.»
Er kam aber sofort wieder, wurde aufgegriffen und ins Gefangnis geworfen, aber am 18.
April freigelassen. AIs er ein drittes Mal erschien, wiederholte sich die Prozedur; bei seiner
Entlassung am 16. Mai drohte man ihm an, wenn er nochmals komme, «wellen min herren
inn als ein meyneidigen ertrencken oder mit dem schwert lossen richten … Doruff er geant-
wurt, das er willig vnd bereit sig, vmb des nammen gottes vnd sins heiligen worts willen
zeliden vnd zersterben; wie es dem herrn gefall, ¡¡Iso solle es beschehen. Domit ist er abge-
scheiden.» Am nlichsten Tag berechnete man die Gefangniskosten: «Item lib. un s. VI d.
ist über den Hispanischen pfaffen by Kolern irn Wasserthurm gangen.» Vgl. Die Amerbach-
ko»espondenz, a.O., IV., 203, 298, 237; Elisabeth Feist Hirsch: Damiiio de Gois, The
Hague 1967,85.
103. Univ.-Bibl. Basel, Ms. G II 50, 3 (zeitgenossische Kopie, ebd. 6). Dieser Lebenslauf
291
«IESUS. Quia petisti a me, c1arissime Consul, ut tibi dicerem, cur patria mea relicta huc
me contulerim, ut tibi potestati a domino christianis fratribus datae obtemperem, en narro
quam paucis potero. Compluti operam Iitteris latinis ac graecis, aliquam etiam dialectis
dabaml04• Audivi semel propositiones quasdam publice recitari a quibus omnes abstinere
iubebantur; inter eas erant quaedam, quae me vehementer offenderunt, quia videbantur
pietati simpliciorum obstarelos. Potest fieri ut ego non recte senserim, non memini quales
erant. Dum hoc ego egerrime ferrem, quidam mihi charissimus pater (gestrichen: frater)
vere dei servus, quantum ex fructibus (gestr.: doctrina et vita eius) Iicebat cognoscere, in
carcerem est obstrussuSI06• Quam rem ego tarn tuli acerbe, ut non potuerim non publice
clamare, et asserere eum vere christianum esse. Et eos qui i1Ium in carcerem coniecerant,
accusabam. Mox doloris impatiens convocavi omnes universitatis doctores, et i1Ios ut vi-
derent quid in fidei negotiis fieret admonui; et alia quaedam, quae nescio qualia i1Iis visa
sunt, dixi. IIIi yero me iusserunt abire, harumque rerum securum esse. Postea ego, pudore
correptus, accessi ad fidei inquisitores et ingenue quae feceram fassus sum ac veniam, si
quid erraveram, petii. Absit enim a me ut tam sim superbus, ut a consensu totius ecclesiae
iam tot annis abomnibus christianis approbatae discedarn. At iIIi me itidem dimiserunt.
Tunc ego, maiori quam anctea affectus pudore, amicis meis saIutatis, relinquo quam mihi
non magis patriam, quam totum christianum orbem puto. GaUiam ingressus, in quadarn
eius urbe ultra annum versatus suml .’, ubi in quosdam nobiles viros, qui opiniones quas-
dam defendebant, incidí, qui me conducere ut quibusdam graece legerem voluere. Contra,
cum ego timerem ad iIIos ingredi, quia cum i1Iis scilicet consentiendum erat aut perpetuo
contendendum, quorum utrumque horret anima mea, tribus perpetuis diebus ubicumque
erarn oravi dominum, ut me iIIis adiungeret, si illi veritatem haberent, quam ego, prae-
ter[e)a nihil, inquiro. Audivi tandem si arnplius de relinquendo omnium christianorum
consensu consulerem dominum, me iturum in viam Balam. Iam ego in catholica fide con-
firmatus, a1iud dominum orare coepi: ut mihi aliunde victum prospiceret. Ne hoc quidem
mihi concessit dominus, sed contra visus est mihi mortem per famem incidere, nisi ad iIIos
accederem, cum a1iquandiu pane tamen et prunis et aqua, nec his semper abunde, viven-
dum esset. Praeterea dominus me confirmavit, ut i1Iorum curam susciperem, tum ut iIIos
fratrerna charitate admonerem, tum ut aIios adhortarer ne hostilem in i1Ios animum gere-
rento In quo instituto semper hactenus profeci, unde ab utrisque ingentem invidiam mihi
und die weiteren Missiven des Torres an Amerbach und Grynaeus sind dem Herausgeber
der Amerbachko»espondenz entgangen.
104. Diego Hernández sagte vor den Inquisitoren aus, daJl. Torres mehr mit Tovar als mit
Miona verkehrte, da er (Torres) «ya era griego y gran latino», «Proceso de Vergara,» f.
44ro ; Bataillon, Erasmo y España, a.O., 213 Anm. 16.
105. Torres bezieht sich hier offenbar auf den Edicto de los Alumbrados de Toledo von
1525, der in aUen Kirchen an den Sonn- und Feiertagen vorgelesen wurde: » … e por la
presente mandamos que vos apartéis en todo e por todo de los dichos herrores, e nove-
dades, e no la creáis … «, vgI. A. Márquez, Los alumbrados, a.O., 2.
106. Hochstwahrscheinlich Bernardino Tovar, der im September 1530 verhaftet wurde.
Diego Hernández behauptete, daJl. sich Miona und Torres nach Paris absetzten, nachdem
Tovar verhaftet worden war, vgI. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 475.
107. Leider hat Torres den Namen dieser Stadt nicht erwahnt.
292
conciliabam, ut quisque cordatus satis potest cogitare. Tandem cum ferre non possem a
multis digito ostendi, nec hoc solum, sed ab iisdem, quorum ego causam agebam, audirem
in faciem iam: Tu per tuas graecas literulas vis omnia instituta maiorum nobis semel abrro-
gare. Cum haec itaque ferre nequirem, ex meo stipendio et a bonis laemosinibus accepto
satis largo comeatu, conducto equo, Lutetiam profectus sum, ubi deus me ut solet ubique
alebat, nec quicquam mihi, etiamsi illic multis annis mansuro, defuturum videbatur. Ve-
rum, aliud domino visum esto Nam postea quam conducta celia, emptis supellectilibus,
accepto puero, qui mihi victum curaret, Aristoteli, qui legebatur graece, operam totis
viribus dare parabam, en tibi amici mei, qui me ex patria no[ve]rant, qui me statirn primis
congresibus admonent poenitentiarium quem dicunt adire, alioqui non mihi impune futu-
rum, si velirn Parrisiis manere. Adeo, ne illis scandalo essem, patefacio Adamo illi, sic
enirn poenitentiarius sese appellabatur’08, plura fortasse peccata quam ille audire cupiebat.
Verum, quod iJlis non fuerat ingratum futurum, dissirnulo, ne deum offenderem, nomina
iJlorum videlicet quibuscumque fueram versatus, quod illi pulchre noscebant; dissimulo in-
quam coram omnibus ubique, ut quos credebam meis admonitionibus resipuisse; praeser-
tim cum inter iJlos et quandam eiusdem ordinis foeminam, antea non satis fortem (gestr.:
hactenus satis superstitiosam) veram amiciciam reconciliarat per me deus, adeo ut istius
illi publicum patrocinium susciperent. Haec res Lutetiae eo spiritum meum afflictionis ade-
git, ut his qui mihi insidiabantur, pia mente ego interpretor, relicta cum suis supellectilibus
celia, media die, velut in agro perambulaturus, Lutetia profectus sirn, quo praesidio novit
Christus. Inde, Orientem pro duce habens, ignarus viae multa conficio miliaria, ubi crucem
in via offendebam coram Christo meo genua flectens ac cJamans misericordiam, donec in-
venio multos peregrinantes ad divi Nicolai aedes euntesl09, nescio an anirni an religionis
ergo. Verum, quia Orientem versus iter tenere videbantur, illis me itineris comitem adiun-
go, eodem nomine sciJicet peregrinaturus verius si Christo placuit quam illi. Idem voveram,
si modo deo ita videretur, né mihi mentiendum esset in itinere si qui viae causam rogarent,
ilIis non tamen animo reddidi. Illinc, audito Friburgi minime post aliquot miliaria, nam
prius Romam tendebam, illuc tendo, quia ibi audiebam E(rasmum) R(otherodamum) esse,
virum de republica christiana quam bene meritum, altissirnus esto iudex. Ad eum cum ven-
tum est, non licuit colloqui (gestr.: retulit enirn minister eum) non satis recte valenti;
acceptis tum ab eo per famulum pecuniis, discedo, a docto viro Clareano viae in Italiam
locorum catalogo conscripto, illuc animum intenderamllo• Verum, cum iter facere non
valerem (nam a Friburgo hucusque circiter 5 vel 6 dies impendii et novem tum obolos
haberem) cum ab hac urbe abessem unum tantum miliare, hora diei quinta, non satis me-
108. Ein Joannes Adam war Rektor der Universitat von Miirz 1531 bis Juni 1532, vgl. R.
GarcÍa ViJloslada, La Universidad de Par/s, a.O., 438. Offenbar hat sich Torres nicht in die
Acta rectoria eintragen lassen, dennn Villoslada’s Angaben über den Aufenthalt Torres’ in
París stützen sich lediglich auf denjenigen von Bataillon.
109. Niklashausen a. d. Tauber, vgl. Will-Erich Peucker: Die grofte Wende, Darmstadt
1966, 1., 263-296 («Der Paucker von Niklashausen»).
110. Erst beim zweiten Besuch im April, wohl nach der ersten Ausweisung aus Basel, ge-
lang es Torres, mit Erasmus zu sprechen, vgl. Allen, Opus Episto/arum, 10,217 (ep. 2805,
6-7). Erasmus, der oft genug die Spanier mit den Portugiesen verwechselte, nannte ihn
«Lusitanus», worauf Allen irrtümlich auf Damiao da Gois in seiner Anmerkung verweist ..
293
mini, agressus ex illo oppidulo viae edoctus utcumquequo vel huc, vel alío tendere liceret.
Cum ad Bivium ventum est, sinistrum iter aggressus sum; deinde progressus palilulum, iam
omnia mihi obscurabantur, nil nisi montes altos circumspiciebam, quos crura mea cane
p[eJius et angue oderunt. Tunc ego ignarus prorsus idiomatis, pernoctaturus apud rusticum
fortasse ubi muto assidere mensae non licuisset, nisi largiter comesturo, soluturo ac quan-
tum et alli, quorum utrumque meae negabant vires, alterum capitis, alterum loculorum.
His curis anxius orabam dominum non frigide, crede mihi ciare Consul, ut mihi suam volun-
tatem patefaceret, sponte videlicet secuturo intellectam. Tandem, post longam et a[n]xiam
orationem, huc gressus dirigit meos dominus; nam si satis memini, urbem ciare conspicie-
bam. Antequam ad urbem appropinquarem, sacrificulis obvius sum factus quibusdam, qui
me convicüs incipiunt lacessere, quod venirem fugitivus dicentes, et alia divisionum nomi-
na, quae ilIi frequentissima in ore habent, impingentes. Ego contra, quantum poteram ver-
bis blandis remedium ab illis peterem, fortiter me irrisum demittunt ac vertunt terga. Ego
yero, conviciis magis animo confllmato, multo alacrius huc contendo, ridens certe quod
viae reliquum erat. In hanc quam nobis deus ad suam gloriam ex[tJollendam conservet
urbem ingresso, quaecumque accidere omnibus nota sunt1l1•
Hactenus tibi, clarissime consul, viae meae rationem reddidi, quia hoc visus es mihi velle.
Tu modo, quid sit agendum prudens ut serpens, simplex tum ut columba, meditare ne tuis
viribus fidas, at sequere Christum vocantem, sub lata cruce, sine pudore, sequendo yero niI
tibi tribuas, qui servus es quales caeteri; interimque omni momento a crucifixo anima tua
pendeat, sine intermissione orando. Ego yero nunquam tibi et mihi sum defuturus, si quic-
quam apud deum omnium atque nostrum praecibus quaeam efficere. Spes autem bona est
velle iam tandem Christum suae sponsae misereri. Aspiret coeptis benignissimus noster
IESUS. Amen.»
Noch deutlicher als manche Aussagen in den Inquisitionsprozessen zeigt dieses
Cu»iculum des unbefangenen Torres eine Grundhaltung der Alumbrados, die
glaubten, alle ihre Entscheidungen allein aus dem unmittelbaren und experi-
mentellen Gesprach mit Gott treffen zu müssen. Nach einem die ser intensiven
Gesprache entschlo~ sich der ehemalige Professor von Alcalá in einer uns leider
unbekannten Stadt Frankreichs, anstatt zu den Lutheranern überzugehen, bei
ihnen zu bleiben, uro sie zu bekehren. Aus einem weiteren Gesprach schopfte
er die prophetische Sicherheit, mit der er in Basel, wie ein zweiter Jonas, als
Gesandter Gottes auftrat: «Est ergo», schrieb er im Kerker an Grynaeus und
Arnerbach, «quod per me vobis dominus mandat, dilectissime fratres, ut in-
clytae huius urbis senatum in nomine dornini Jesu iubeatis convenire, ut et ipsi
quid per me illis itidem mandet deus, accipiant; quod si feceritis, servabitis ani-
mas vestras; sinminus, quod minime a vobis spero, ego vobis vale dicto discedo,
vobisque hanc civitatem cornmitto, cuius domino cum ille petat rationem red-
detis.» 112 Aus einem dritten Gesprach mit Gott, J ahre spater in Rom, wird ilun
111. Die Auseinandersetzung mit den Theologen der Stadt, s. Anm. 102.
112. Univ.-Bibl. Basel, Ms. G 11 50, 5, Brief Torres’ an Grynaeus und Amerbach vom
26.3.1533.
294
wohl die Erleuchtung gekommen sein, in die Gesellschaft Jesu einzutreten; dies
zur groBen Freude des Ignatius, der ihn schon früher in Schutz genornmen hatte
und zu sagenpflegte: «El que tocare al Dr. Torres, me toca a mi en las niñas de
mis ojos. ,,113
Miguel oder Cristóbal de Torres einfach als offensichtlich etwas gestOrt abzu-
tun, hieBe die Zeugnisse von Erasmus und Amerbach zu ignorieren, die ihn «vir
bonus nec illiberalis» und «vir (nisi multum fallor) praeter vitae integritatem
pius ac reipublicae christianae optime cupiens» nanntenl14• Erasmus, der Basel
wegen der Reformation verlassen hatte und Amerbach, der trotz dieser als Mit-
glied der alten Kirche in der Stadt geblieben war, hatten wohl gemerkt, daB der
Spanier als zwar ungebetener, aber immerhin treuer und mutiger Anwalt ihrer
eigenen Ideen in Basel aufgetreten war:
«Dominus ac redemptor noster, viri domino dilecti, me ad vos ut videtis misit
per suam ecclesiam, ut suam vobis in me voluntatem patefaciat; ea est, ut duo-
rum quae hactenus (quo spiritu, deus novit) defendistis, poenitentiam agatis to-
to corde: quorum alterum est, servam homini mentem esse. Haec enim propo-
sitio altissimum horrendis opprobüs afficit, utpote quae eum asserat, sibi simi-
lem imaginem servam, non liberam, condidisse ab initio, vel post Adarni lapsum
sui unigeniti fllii morte non in integrum reparasse. Neque hoc solum, sed quae
nos quotidie nostra malitia flagitia cornmittimus, deo tribuit; ut quae asserit
nos a deo vel invito s impelli ad peccandum, absit ab ore meo blasphemia. Alte-
rum est, quod tandium a cornmuni omnium christianorum consensu alienati
esse patiamini. ,,115
Bezeichnenderweise erwli.hnte Torres in Basel weder die Rechtfertigung durch
den Glauben, noch die reformierte Sakramentenlehre, noch die Abschaffung der
Helligenbilder; Ansto~ nahm er lediglich an der Lossagung von Rom und vor
allem an der Lehre der Priidestination und des «servum arbitrium». Seine Ein-
wiinde zu diesem letzten Punkt sind genau die gleichen, die vor ihm Erasmus
und Servet und nach ihm Castellio und Fausto Sozzini von Basel aus gegen die
Reformation vorbrachten.
Auch Valdés konnte sich mit der Lehre des «servum arbitrium» nie richtig be-
freunden. Vielmehr wich er dem Problem aus, indem er es zu den unnotigen
Fragen relegierte, welche von der Nachfolge Christi ablenken würden116• Wer
113. R. García-Villoslada, Loyo/a y Erasmo, a.O., 103f.
114. Allen, Opus epistolarum, 10, 217, Anm. 6;Die Amerbachko»espondenz, a.O., IV.,
237.
115. Univ.-Bibl. Basel, Ms. G 11 50, 4.
116. Diálogo, 136.
295
hingegen in dieser Lehre mit Luther vollig einig ging, war der Alumbrado Pe-
dro Ruiz de Alcaraz.
«It was in the little town of Escalona, Spain», hat Nieto geschrieben, «that
the problems of the libero arbitrio and de servo arbitrio, were first anticipated,
prior to Erasmus’ Diatribe (Sept 1, 1524) and Luther’s De servo arbitrio (Dec.
1525). ,,117
Die A~erungen von Alcaraz zu diesem Thema stammen aus dem Jahr 1523;
abersollten wir den Einwand erheben, d~ Luther seit 1516 die Lehre des
«servum arbitrium» mit so kriiftigen Worten formuliert hatte wie etwa «Volun-
tas hominis sine gratia non est libera, sed servít, licet non invita» (1516, WA 1,
147 38-39) oder «non sumus domini nostrarum actionum a principio usque
ad fmem, sed serví» (1517, WA 1, 226 6-7); d~ Luthers Satz «liberum arbi-
trium post peccatum est res de solo titulo» in der Bulle Exurge Domine von
1520 durch Leo X. bereits verurteilt (WA 7, 142ff.) und d~ auch in der Deter-
minatio theologicae facultatis parisiensis vom gleichen Jahr als ketzerisch be-
zeichnet wurde (WA 8, 287f.), würde Nietobestimrnt auf die «Tatsache» hin-
weisen, d~ das theologische System von Alcaraz auf die Jabre 1511-1512
zuruckgeht. Diese Datierung wird jedoch einzig und allein durch eine Aussage
des Alcaraz wiihrend der Folter belegt:
«Fuele comen~ado a hechar otro jarro de agua e amonestado que dixese la
verdad dixo que Ysabel de la Cruz le habló sobre las cosas que dize e que no las
cono~ió por errores e que avía más de quinze años que le dixo estas cosas. Pre-
guntado si desde aquel tiempo acá a estado en ello e lo enseñava ansy, dixo que
sy y que pensava que era bueno. ,,118
Wenn man auf diesem einzigen Satz «vor mehr als fúnfzehn Jahren» die Exi-
stenz einer autochthonen spanischen Reformation vor Luther aufbauen will,
m~ man zuerst den Beweis erbringen, d~ ein Mensch, dem auf barbarische
Weise ganze KfÜge voll Wasser durch den Mund eingetrichtert wurden, in der
Lage sein konnte, die Worte «cinco» oder «quince» so deutlich auszusprechen,
d~ der am Tisch sitzende Protokollflihrer sie ohne Schwierigkeit unterscheiden
konnte. Kommt noch dazu, d~ das Wasser durch ein Tuch durchgelassen wur-
de, das tief in den Rachen glitt und gleichzeitig die Atrnung durch die Nase bei-
nahe verunmoglichte. Hat Alcaraz «cinco» gesagt, dann gibt es kein Problem,
die Bekehrung geschah kurz vor 1519, in einer Zeit also, von der anderweitig
belegt ist, d~ Isabel de la Cruz und Alcaraz «dogmatisierten». Sollte er jedoch
117. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 69f. Anm. 72; Ders.: «The heretical Alumbrados dexa-
dos: Isabel de la Cruz and Pedro Ruiz de Alcaraz,» in: Hommage a Marcel Bataillon, Re-
vue de Littérature Comparée, 52, 1978, 307 Anm. 29.
118. Nieto, Juan de Valdés, a.O., 62, Anm. 49.
296
tatsachlich «quince» gesagt haben, dann bleibt nur die Erklarung, d~ sich die
Ideen von Alcaraz im Laufe der Zeit stark verandert hatten. Um die Gleichung
Luther = Alcaraz = «Deux initiateurs de génie» zu akzeptieren, brauchen wir
gewichtigere Beweise als die zweifelhafte Aussage eines armen Ertrinkenden 119.
D~ Alcaraz und Isabel de la Cruz einige der Thesen Luthers bereits 1519
kannten, hat Augustin Redondo aus den Aussagen von María de Cazalla plausi-
bel gemacht. Die Prasenz Luthers im Diálogo des Juan de Valdés scheint die
These von Angela Selke und Redondo zu bekraftigen, wonach ein direkter Ein-
flu~ stattgefunden haben mu~, denn die Alumbrados ,,held beliefs that were
essentially the same as the principal doctrines of Martin Luther» (Selke), und
weil die lutherischen Bücher sogar in spanischer Obersetzung sehr früh nach
Spanien geschmuggelt worden waren (Redondo )120.
Die Berichte über den Schmuggellutherischer Bücher nach Spanien, die Long-
hurst, Redondo und Tellechea zusammengestellt haben, sind natürlich wertvoll,
auch wenn die Zuverlassigkeit einiger Quellen, vor allem was die spanischen
Obersetzungen betrifft, keineswegs garantiert ist 121.
Girolamo Aleander zum Beispiel schrieb am 28. Februar 1521 nach Rom: «In
Antuverpia se imprime a Luther in hispanico, credo per sollicitudine di Marani,
che sono in Fiandra, et se devea mandar in Ispania; Cesar ci ha detto haverci
rimediato.»122 Kaum war ein Monat vergangen, so wurde in einem Breve Leo’s
119. Für die Beschreibung dieser Art Folter vgl. Henry Charles Lea: A History of the
Inquisition ofSpain, New York 1906-1907, 1Il, 19.
120. A. Redondo: «Luther et l’Espagne de 1520 a 1536,» in: Mélanges de la Casa de
Velázquez, l., Paris 1965, 109-165; Ders.: «Les premiers ,illuminés’ castillans et Luther,»
in: Aspects du libertinisme au XVIe siecle (De Pétrarche a Descartes, XXX), Paris 1974,
85-91; A. SeIke: Algunos aspectos de la vida religiosa en la España del siglo XVI: Los
alumbrados de Toledo, unveroffentl. These, Univ. of Wiscosin 1953, zit. nach: A. Már-
quez, Los alumbrados, a.O., 169. Márquez, der den Ausdruck «Juan de Valdés teólogo de
los alumbrados» gepriigt hat, bezeichnet diese Bewegung als eine protestantisch-spirituali-
stische Stromung, die über Erasmus und Luther hinaus mit den anderen radikalen Bewe-
gungen der Reformation zusammenfliefl.t, ebd. 17lff. Hoffen wir, d~ er diese Behauptung
in seiner künftigen Ausgabe des Proce,w des Alcaraz nicht nur «typologisch», sondern auch
mit theologischen und historischen Texten ausflihrlicher belegen kann.
121. J. E. Longhurst: «Luther in Spain: 1520-1540,» in: Proceedings ofthe American
Philo,wphical Society, 103, [959,66-93; Ders.: Luther’s Ghost in Spain, Lawarce, Kan-
sas, 1969 (mir unzuganglich); A. Redondo, Luther et l’Espagne, a.O.; J. Ignacio Tellechea
Id Ígoras: «Carlos V ante et luteranismo español,» in: Diálogo ecuménico 8,1973,57-63;
Ders.: «La reacción española ante el luteranismo,» in: ebd., 6, 1975 (Beide Aufslitze sind
in Tellechea: Tiempos recios. Inquisición y heterodoxias, Salamanca 1977,19-32 wieder
erschienen. )
122. Theodor Brieger: «Aleander und Luther. Die vervollstandigten Aleander-Depe-
schen,» in: Quellen und Forschungen zur Geschichte der Reformation 1, Gotha 1884,81;
297
X. über die Angelegenheit nach Spanien berichtet, worauf der Gro~inquisitor
Adrian von Utrecht ein Edikt gegen die Werke Luthers erlie~, «las quales diz
que están imprimidas para las publicar y vender en estos reynos»123. Auch die
zwei Statthalter in Spanien schrieben an Karl V., dai1 mit HUfe «de algunos de
estas parte!l~ que desean impedir o enervar el Santo Offi~io de la ynquisi~ion, ha
tenido fOrnl’a (Luther) de hazer traduzir y poner en lengua castellana sus here-
gías y blasfemias y embiar las a sembrar y publicar en esta católica na~ión.»l24
Karl V. traf die geeigneten M~nahmen in zwei Briefen vom 20. April aus
Worms «furl den Fall, d~ Luther und seine Gesellen und Komplizen ihre Bü-
cher bereits in unsere Konigreiche gesehickt hiitten oder sie dorthin schicken
wollten» 125.
Es l~t sich leicht erraten, dai1 alle diese Dokumente lediglich auf die Depe-
sehe des Aleander zuruckgehen, der stets die iberischen Kaufleute jüdischer Ab-
stammung in Antwerpen verdiichtigte, vielleicht nur deshalb, weil ihn Erasmus,
Hutten und Luther einen «ungetauften Juden» zu beschimpfen pflegtenl26. Da
Die Übersetzung dieses Absatzes durch P. Kalkoff: Die Depeschen des Nuntius Aleander,
(Schriften für Reformationsgeschichte 17), Halle 1886, 77, trifft vollig daneben: «In Ant-
werpen werden Luthers Schriften in spanischer Sprache gedruckt auf Betreiben jener mau-
ruchen (richtig: von Juden stammenden) Kaufleute, die man von Flandern wieder nach
Spanien zurückschaffen sollte (!)». (Nicht die Kaufleute, sondern die Bücher waren für
Spanien bestirnmt!) Diese falsche Übersetzung hatte zur Folge, daB Kalkoff Aleanders De-
pesche beiseite lie1\, als er Jahre spater über die Marranos von Antwerpen und ihrer Sympa-
thie für Luther sChrieb, vgl. Die Anfiinge der Gegenreformation in den Niederlanden, 1,
(Schriften des Vereins für Reformationsgeschichte 79), Halle 1903, 41ff.
123. Longhurst, Luther in Spain, a.O., 67; Redondo, Luther et l’Espagne, a.O., 121.
124. Ebd.; ebd.
125. J. Ignacio Tellechea, Tiempos recios, a.O., 1977, 21f.
126. «Do poi le míe altre scritte a di doi del presente io ho fatto bona inquisitíone di in-
tender, come si porta Antvversa nel fatto di Luther, et trovo, che invero l’universal tutto
si porta benissirno, eccetto alcuni mercanti Alti Alemani et alcuni Marani, li quali dicono
et fanno pur qualche puzía in favor di Luther, del che Cesar é ben advertito.», Brüssel,
etwa 8. Sept. 1521, vgl. Brieger, «Aleander und Luther,» a.O., 264. Zu den Au1l.erungen
über das angebliche Judentum des Aleander vgl. P. Bayle: Dictionnaire hislorique el cri·
tique, ed. París 1820, 1, 423-425. DaB die spanischen Conversos in den Niederlanden in
Luther zeitweise einen Kampfgefáhrten gegen die verha1\te Inquisition gesehen haben, sol1-
te man nicht aIlzusehr veraIJgemeinern, denn Conversos waren auch Luis Coronel, der 1522
als Inquisitor gegen Luthers Anhiinger in Gent und Brügge vorging; Juan Luis Vives, der
1522 in seinen Kommentaren zum De civitate Dei die Inquisition zwar heftig kritisierte,
für Luther jedoch keinerlei Sympathie zeigte; oder der Hebr3.ischlehrer und Erasmusfreund
Mateo Adriani aus Huesca, von dem Luther 1521 schrieb: «Nihil hornini feci, conciones
meas insectatur, parartus me docere Evangelium, qui Moisem suum non intelliget.» (WA
Briefe, 2. Bd., 193, 211, 266.) Der Zulauf von spanischen Conversos zum Luthertum und
Calvinismus in den Niederlanden fand ent spliter statt (Encinas, Marcos Pérez, López de
298
aber kein einziges Exemplar je gesehen noch irgendwa über eine allfállige Ver-
nichtung berichtet warden ist, konnen wir ruhig annehmen, daB diese spani-
schen Obersetzungen von Luthers Büchern nur in Aleanders Phantasie existier-
ten 127. Erst im Jahre 1531 erfahren wir van einem Buch Luthers in Spanien
«q ue era escripta en rromange» 127 a.
Villanueva, Fernando de Bernuy). In Kastilien hingegen stellten Conversos die grol1te Zahl
der Alumbrados (Bataillon, Erasmo y Espafia, a.O., 180f.) Auch die Converso-Abstam-
mung von Juan de Valdés, die Bataillon noch als nur wahrscheinlich betrachtete, ist kürz-
lich von M. Jiménez MonteserÍn bewiesen worden. Da die Inquisitoren geneigt waren,
zwischen Alumbradismus und Lutherturn einen kausalen Zusarnrnenhang zu sehen (A.
Márquez, Los Alumbrados, a.O., 159), darf es nicht verwundern, daJ1 sich der Kardinal
Siliceo zu der Behauptung versteigen konnte, es sei ein «fait bien connu, que les chefs
hérétiques qui ont bouleversé l’Allernagne et qui sont le scandale de toute la chrétienté
descendent de Juifs. ‘L’Espagne elle rneme peut offrir I’exernple des alumbrados ou pullul-
laient les Confesos.» (A. Sicroff: Les controverses des statuts de «Pureté de IIllng» en Es-
pagne, Paris 1960, 111.) Und selbst Karl V. schrieb 1558 anl¡¡j)¡lich der Entdeckung der
evangelischen Gerneinden von Sevilla und Valladolid an seine Tochter: Man solle gegen
diese Leute exemplarisch vorgehen, «en especial siendo confesos, por habello sido casi to-
dos los inventores de estas herejías» (A. Dornínguez Ortiz: Los Judeoconversos en Es-
pafia y América, Madrid 1971, 158).
127. Aleander hatte seine Depesche über den Druck von spanischen Lutherübersetzungen
aus Worrns, nicht aus Antwerpen geschrieben, er war also kein testis ocularis. Als er arn
13. Juli 1521 vierhundert lutherische Bücher in Antwerpen verbrennen Iiefl., ist weder in
Aleanders Bericht (Brieger, 249) noch im Bericht des Lutheraners Gerardus Geldenhauer
(G. Geldenhauer: Colfectanea van G. Geldenhauer, Arnsterdam 1901, 12f.) kein Wort über
die Sprache zu vernehrnen, in der die Bücher geschrieben waren. Longhurst, der diese Do-
kumente nur aus zweiter Hand kennt (Bataillon, Lea), dreht die Tatsachen folgenderrnaJ1en
urn: «Jerome Aleander, when he discovered that Spanish editions of Luther’s writings
were being printed in Antwerp, rounded up all he could find and consigned thern to the
flarnes of a great public bOnIrre on July 13, 1521.» (Luther in Spain, a.O., 68). Einen ahn-
lichen Wert haben Longhurst’s Angaben über die Drucke der spanischen Obersetzungen
von Luthers Kommentar zum Galaterbrief und vorn De libertate christiana («Flanders
1520») sowie vorn De servo arbitrio («Antwerpen ca. 1525»): Hier ist die Quelle, Thomas
M’Crie: History of the progress ami supression of the Reformation in Spain von 1828.
M’Crie hatte aber die Titel aus Daniel Gerdes: Historia reformationis, Tornus III, 166-172
(einem Auszug aus den Memoiren des Francisco de Encinas) und die Erscheinungsdaten
der Originalausgaben einfach dazugesetzt. Encinas hatte das De libertate christiana über-
setzt, das durch seinen Bruder Diego in Antwerpen veroffentlicht wurde, aber erst 1540!
(E. Boehrner, Spanish Reformers, 1, 165f.) und drei Jahre spiiter wurde er beschuldigt,
auch das De servo arbitrio übersetzt zu haben (ebd., 166). Das uns schon bekannte Buch
Okolarnpads, das Vergara besaJ1 und in Alcalá zirkulierte, wird plotzlich als «spanische
Übersetzung» bezeichnet und in die Mehrzahl gesetzt: «Spanish rnerchants with business
in Flanders were buying Spanish editions of books by Luther and Ocolampadius and ship-
ping thern horne.» (Longhurst, Luther in Spain, a.O., 69) In seinem Luther’s Ghost in
Spain (ich kenne das Buch nur aus Nieto’s Résurné in «Luther’s Ghost and Erasmus Masks
299
Trotzdem wurden immer wieder lutherische Bücher in Latein nach Spanien
geschmuggelt und der Inquisition gelang es sogar, in den Seehafen von Valencia
(1521), San Sebastián (1523) und Granada (l525) gro~e Mengen sicherzustel-
len128• In seinem neuen Aufsatz «Luther’s Ghost and Erasmus’ Masks in Spain»
hat sich Nieto an diese Daten geklammert, um die Inftltration lutherischer Bü-
cher in die Peripherie der Halbinsel, wo es keine Alumbrados gab, zu beschriin-
ken, auch wenn er die M6glichkeit eines direkten Kontakts von Alcaraz mit
dieser klandestinen Literatur nicht mehr so radikal wie früher bestreitet. Was er
irnmer noch bestreitet ist die M6glichkeit, d~ diese Bücher, sollten sie Alcaraz
zu Gesicht gekommen sein, etwas Wesentliches in seinem theologischen System
veriindert hiitten 129.
Jetzt, wo wir wissen, wie gut Alcaraz’ Lieblingsschüler Juan de Valdés mit den
Büchern des Reformators urnzugehen verstand, müssen wir uns fragen, ob er
sich diese Fiihigkeit nicht erst in Escalona in der Umgebung von Alcaraz erwor-
ben hatte.
Zwar wurden nur drei der achtundvierzig irn Edila der Alumbrados aufgeftihr-
ten Irrtümer ausdrücklich als ,)utherisch» qualiflZiert (Beichte, Heiligenvereh-
rung und Abl~), aber fUr mindestens zwartzig weitere Siitze lie~en sich mit
Leichtigkeit entsprechende Texte des frühen Luther fmden. Und natürlich noch
viel mehr, wenn man die über dreihundert Propositionen in den Summarien der
Denunziationen durchliest, aus denen, wie A. Márquez bewiesen hat, die Inqui-
sitoren ihre Auswahl fUr das Edikt trafen130. Begnügen wir uns mit einer dieser
letzten, die allerdings den Kern des Alumbradismus betrifft. ,,3. Articulus: lam
dicendum est de nova doctrina huius rei (quae pertinet ad materiam liberi arbi-
trü) quod ad dimissionem seu suspensionem voluntatis creatae in deum quam
hic reus (Alcaraz) vocat lingua vernacula dexamiento o dexarse en dios ubi vo-
luntas suspendat omnem actum suum.»131
Márquez hat sich gewundert, daB die Lehre des Dexamiento irn gleichen Kapi-
in Spain,» in: Bibliotheque d’Humanisme et Renaissance, 39, 1977, 33-49, Anm. 14)
spricht Longhurst von spanischen Ausgaben einiger Werke Luthers in Basel um 1520. Da
aber Longhurst in seinem früheren Aufsatz («Luther and Spain,» a.O., 66) den Brief Fro-‘
bens an Luther von 14.2.1519, wonach der Basler Drucker 600 lateinische Exemplare des
Reformators nach Frankreich und Spanien geschickt hatte, richtig interpretiert, geht diese
Erfindung vielleicht nicht auf sein Konto zurück.
127a. Redondo, Luther et l’Espagne, a.O., 154 Anm, 3.
128. Longhurst, «Luther and Spain,» a.O., 68f.; Redondo, Luther et I’Espagne, a.O.,
126f., l3lf., 134f.
129. Nieto, «Luther’s Ghost and Erasmus Masks,» a.O., Anm. 20.
130. Márquez, Los alumbrados, a.O., 103ff.
131. Ebd., 112.
300
tel wie die vom «servum arbitrium» zusarnmengezogen wurde und deshalb die
Inquisitoren als Urheber dieser Vermischung bezeichnet. D~ aber die beiden
Lehren untrennbar waren, hatte schon Luther mehrere Jahre zuvor ín der Aus-
legung des Vaterunser ausdIÜcklich dargelegt.
«Omnino enim diffidendum est facultati propriae, qua nobis vide mur bonam
voluntatem, bonam intentionem, bonumque propositum habere aut facere pos-
se. Igitur ut superius dictum est, ibi verissime est bona voluntas, ubi nulIum est
velIe. Ubi autem nullum est velIe, ibi solummodo Dei est voluntas, omnium
praestantissima. ( … ) Atqui libera voluntas est quae proprium velIe non habet,
sed totam se divinae committi voluntati, per quam et ipsa libera permanet, nun-
quam adhaerens vel affIXa. ( … ) Porro nisi peccatis sit vacuus, nemo potest esse
integer, a peccatis autem vacue fieri datur, cum nostra voluntas radicitus evulsa
ac solius Dei voluntas in nobis esto ,,132
Ebenfalls in den Decem praecepta wittenbergensi praedicata popu/o, um nur
bei den von Valdés gebrauchten Büchern zu bleiben, sprach Luther von der not-
wendigen Gleichgültigkeit der wahren Christen den guten oder schlechten Er-
fahrungen gegenüber: ,,Et prorsus ita sint ad utrumque immoti et quieti, ut
quoquo modo illa cadant satis sit eis, quod Jesum Christum habent.»133 Valdés
übersetzte hier «de la una parte y de la otra seguro y sosegado», offenbar um
Worte wie quieto, dejado usw., die stark nach Alumbradismo kIangen, zu ver-
meiden. Diese Sorgen hatten die frühen Anhlinger Luthers nicht, und Andreas
Bodenstein von Karlstadt etwa kOlmte nicht Worte genug fmden, um den Dexa-
miento als die erste Voraussetzung flir die Nachfolge Christi zu preisen; man
lese nur die letzten Seiten seiner Missive van der al/er hóchsten Tugent Gelas-
senheyt, Augsburg 1520 und Wittenberg 1521.
Ob es sich bei dem Dexamiento der Alumbrados um direkte Abhángigkeit von
Luther handelte oder vielmehr um die logische Entwicklung der lutherischen
Lehre des «Servum arbitrium», konnen wir beim heutigen Stand unsererKennt-
nisse nicht entscheiden. Auf jeden Fall darf die künftige Forschung das Zeugnis
von Juan Maldonado über die Alumbrados nicht, wie Bataillon, vollig entwer-
ten oder wie Nieto einfach verschweigen: ,,Ego quid divinem non habeo, nisi
quod plane suspicor scintillam fuisse Lutheranam: quae si non fuisset a censori-
bus mature supressa, magnum aliquod suscitasset incendium. ,,134 Der abtrünni-
ge Erasmist Maldonado kam der historischen Wahrheit sehr nah, als er in seinem
De foelicitate christiana weiterschrieb: «Praedicabant Christum,jactabant Evan-
132. Luther, Expositio dominicae orationis, a.O., 108.
133. WA 1,400 16-17.
134. J. Maldonado: De foelicitate christiana (1534 geschrieben), in: /. Maldonati quae-
dam opuscula, Burgos 1541 (zitiert nach Bataillon, Diálogo, 4lf. Anm. 1).
301
gelium et bonam mentem: erantque nauseabundi ad maiorum decreta, sacro-
rumque plaerosque ritos: redolebant certe Lutherum: et praeterea forte novum
quidpiam induce re moliebantur.»135
Aber ebenso verfehlt wiire es, die Lehren und Taten der Alumbrados dexados
allein auf Luther zurückfiihren zu wollen: Die zentrale Rolle, welche die Fr6mm-
lerinnen («Beatas») in der Bewegung spielten, die morbide Abhiingigkeit auch
vongelehrten Kopfen ihnen gegenüber und das prophetische Gehaben, mit dem
sie sich von den anderen absonderten, waren einem Protestanten wie Juan Díaz
derart zuwider, dl& er die Alumbrados in den gleichen Topf warfwie die An-
hiinger von Loyola oder die Zauberer und Hexen. In Spanien, antwortete er
1544 in Regensburg seinem Widersacher Pedro de Malvenda, gebe es auch ,,non
paucos phanaticos spiritus, qui novasquotidie sectas instiuunt: quales sunt Illu-
minatorum, Ignigistarum, Beatarum, Magorum, Lamiarum, et hoc genus infini-
ta portenta,ad quae hominum ingenia necessario relabuntur, quando verbum
dei tanquam certissimam vitae ac veritatis regulam non intuentur,,136.
V.
Soviel wir überblicken k6nnen, begann Luther erst durch die Übersetzung und
Adaptation von Juan de Valdés spanisch zu sprechen, und es wurden Texte von
ihm in Spanien gedruckt – aber bald danach auch in Amerika: Denn die Doc-
trina cristiana des Bischofs von Mexiko, Juan de Zumarraga (México 1545-46),
ist ein treuer und vollstiindiger Nachdruck (lediglich die Dialogform wurde in
laufende Prosa abgeandert) der Suma de doctrina cristiana des Constantino
Ponce de la Fuente (Sevilla 1543), die ihrerseits viele Stellen aus dem Diálogo
des Valdés übemommen hatte 137•
Der Doctor Constantino, derzur gleichen Zeit wie sein Landsmann Valdés in
Alcalá studiert hatte, m~ früher oder spiiter um die wirklichen Quellen des
Diálogo gew~t haben, denn er folgte Luthers katechetischen Schriften auch an
Stellen, die Valdés nicht abgeschrieben hatte, so zum Beispiel in seiner Aufziih-
lung der Versto~e gegen daserste Gebot.
«Nunc de altera specie transgressionis dicendum, scilicet eorum, qui pro vero
deo idolum sapiimtiae et iusticiae suae colunt» (WA 1,426).
«Las obras contrarias son, confiar el hombre en su propio saber … [Pecan tam-
135. Ebd.
136. Claudius Senarclaeus: Historia vera de morte saneti viri Joannis Diazii Hispani,
quem eius frater germanus Alphonsus Diazius … nefarie ínterfecit, (Basileae, Oporin),
1546,64.
137. Bataillon, Erasmo y Espafla, a.O., 825f., 535ff.
302
bién contra él] los que ponen su confianya en sí mismos yen las obras de su
justicia. ,,138
Mehr konnte Constantino vorlaufig nicht sagen, denn was hier bei Luther
folgt, ist ein Kapitel über die Lehre des «servum arbitrium». Da die Suma der
praventiven Zensur der Inquisition unterworfen war, mu~te er seine Quellen
viel geschickter als Valdés verstecken, was ihrn dank seiner langjahrigen Erfah-
rung als Prediger und einer au~erordentlichen Beherrschung der Sprache zu-
niichst vollkommen gelang. Menéndez y Pelayo nannte die Suma des Constan-
tino den zwar nicht orthodoxesten, daftir aber am schonsten geschriebenen
Katechismus, und empfahl sie als klassisches Buch der spanischen Sprache. Ba-
taillon seinerseits hat in der Suma, obwohI der Name Erasmus dort nie erwiihnt
wird, den Inbegriff der Spiritualitiit des spanischen Erasmismus gesehen 139• Wir
hoffen, einmal zu zeigen, mit welcher Akribie und Eleganz der Domprediger
von Sevilla manche Grundbegriffe der Reformation unbeschadet durch die Zen-
sur der Inquisitoren zu schmuggeln verstand 140.
Durch Constantino gelangte auch mancher Satz Luthers in den portugiesi-
schen Compendio de doctrina christiía des Fray Luis de Granada (Lisboa 1559;
span. Obers., Madrid 1595), wo der oben zitierte Satz lautet: «Finalmente que-
brantan este precepto los que la principal confianza de su salvación tienen pue-
sta en sus obras y propios merecimientos, en su industria y justicia.,,141
Fray Luis hatte nicht nur die Auslegung des Vaterunser gro~tenteils von Con-
stantino überoornmen 142, sonde ro hatte. die Suma auch in der Erkliirung des
G1aubenssymbols und im Kornmentar zu den zehn Geboten wo irnmer moglich
verwendet 143.
Schlie~lich gerieten Texte von Luther auch in die berühmten Comentarios
sobre el Catechismo Christiano des Erzbischofs von Toledo, Bartolomé Carran-
za. Es ¡st schade, d~ in der schOnen kritischen Ausgabe des José Ignacio Tel-
lechea die Entlehnungen aus Valdés und Constantino nicht in den Anmerkun-
gen verzeichnet wurden. Aber auch sonst hatte Carranza lutherische Bücher
138. C. Ponee de la Fuente: Summa de doctri1lll ChrilItia1lll, ed. Luis Usoz (Reformistas
antiguos españoles XIX), 96.
139. Dúilogo, 198f.; Bataillon, EralImo y ElIpaffa, a.O., 539.
140. Ieh kenne noeh nieht W. BurweIl Jones: ConlItantino Ponce de la Fuente: The Prob-
lem o[ Protestant Influence in Sixteenth-Century Spain, (unveroff. Diss.), Nashville 1965.
141. Luis de Granada: Obras completalI, I1I, (Biblioteca de Autores Españoles XI), Ma-
drid 1945, 96b.
142. Bataillon, Erasmo y España, a.O., 589.
143. J. R. Guerrero: «Catecismos de autores españoles de la primera mitad del siglo XVI
(1500-1559),» in: Repertorio de la BilItoria de las Ciencias Eclesúisticas en ElIpQffa, 2, Sa-
lamanca 1971, 259.
303
verwendet, da er seinen Katechismus als ein Bollwerk gegen die Reformation
verstanden wissen wollte, und dadurch profitierte er natürlich auch für die Re-
daktion seiner eigenen Kornmentare:
«Ideo denique et negative praecipit (d.i. non habeto deos alienos), quia nega-
tiva est vehementior quam affirmativa. siquidem et samaritani olim coluerunt
unum deurn sed simul deos suos» (WA I 398-399).
«Esto digo: que en la negación, diciendo: no tendrás dioses ajenos, no hay
menos significación para lo que Dios quiere de nosotros que en la afirmación.
Porque los samaritanos conocieron al Dios que servían los judíos, que era el
verdadero, y juntamente servían a sus dioses. ,,144
Dieser Vergleich steht stellvertretend fúr viele andere, theologisch markantere
Texte wie etwa die Auffassung des sabbatum spirituale oder die Deutung des
Fiat voluntas tua, deren Gegenüberstellung hier allerdings zu viel Raum bean-
spruchen würde l44a•
So hatte sein Widersacher Melchor Cano nicht so unrecht, als er Carranza im
Auftrag der Inquisition bezichtigte, er hatte, wenn auch guten Glaubens, man-
che Irrtümer aus lutherischen und alumbradistischen Büchern in seinen Kate-
chismus übernornmen145. Auch nicht ganz zu unrecht verbot Gregor XIII. 1576
den Katechismus in jeglicher Sprache, weil Carranza «der schlirnmen Lehre von
vielen verurteilten Ketzern wie Martin Luther, Okolampad und Philipp Melan-
chthon gehuldigt hatte, und nicht wenigen von deren Irrtümern stellenweise
verfallen sei. ,,146
Aber damit sind wir noch nicht am Ende der Oberraschungen. Ein spanischer
Forscher, A. García Suárez hat neulich die These aufgestellt, d~ der Catechis-
mus Romanus des Trienter Konzils sehr stark von den Comentarios des Carranza
beeinflu~t- wurde 147. Sollte sich dies bewahrheiten – was angesichts der beweg-
144. Bartolomé ,Carranza de Miranda: Comentarios sobre el Catechismo Christiano, hg.
J. I. Tellechea Idígoras (BAC maior 1-2), Madrid 1972, 1, 448f.
144a. Als ich diese Zeilen schrieb, kannte ich weder Tellechea’s Aufsatz «Melanchton y
Carranza. Préstamos y afinidades» (Diálogo ecuménico, 12, 1977,3-50; 13, 1978,3-47;
301-363; 14, 1979, 3-53) noch dessen deutsche Kurzfassung «Melanchthon und Carran-
za. Wortsinn und Wiederhall» (in: Confessio Augustana und Confutatio. Der Augsburger
Reichstag 1530 und die Einheit der Kirche. Internationales Symposium der Ges. zur Her-
ausgabe des Corpus Catholicorum in Augsburg vom 3.-7. September 1979, hg. von Erwin
¡serloh, Münster 1980, 687-691).
145. Márquez, Los alumbrados, a.O., 113.
146. M. Menéndez y Pela yo , Historia de los heterodoxos, a.O., V, 63.
147. A. García Suárez: «El Catecismo de B. Carranza, fuente principal del Catecismo
Romano de S. Pio V?,» in: Scripta Theologica, 2, 1970, 341-423 (zit. nach Tellechea’s
Ausgabe der Comentarios des Carranza, a.O., 1, 88f.).
304
ten Geschichte der Entstehung dieses Katechismus nicht leicht zu beweisen sein
wird 148 – so wiire es bestirnrnt reizvoll, in diesem fUr 400 J ahre m~gebenden
Lehrbuch der romischen Kirche nach Texten Luthers zu suche n und moglicher-
weise festzustellen, d~ solche über den Diálogo de doctrina des Juan de Valdés
dorthin gelangt sind.
Carlos Gilly
Frobenstrafle 75, CH-4053 Basel
ABSTRACT
When Juan de Valdés, a young student, published his Diálogo de doctrina cristiana in Al-
calá in 1529, he saw no better way to cover up the true sources of his work, narnely
Luther and Ocolampadius, than to use the name of Erasmus. So successful was he with
this disguise that he not only deceived the Spanish Erasmians but also the Inq uisition,
which was for more alert, as well as later historians. He was certainly mistaken in his as-
sumption that the Spanish inquisitors would make a substantive distinction between Eras-
mus and Luther. His Diálogo was so relentlessly pursued that only a single copy survived.
In 1922 Mareel Bataillon discovered it in Lisbon and three years later the French hispanist
published a facsímile edition in Coimbre. Bataillon’s interpretation of the young Spaniard
basing his world view on Erasmus shaped the historiographical portrait of Valdés for four
decades. José C. Nieto was the first person to change this picture with his Juan de Valdés
and the Origins of the Spanish and [talian Reformation (Geneva, 1970). He correctly di-
minished Erasmus’ function to that of serving as an alibi. Nieto then traced the doctrines
put forth in the Diálogo exc1usively to the influence of the Alumbrado, Pedro Ruíz de
Alcaraz, whom he saw as a precursor of Luther in the formulation of the doctrine of justi-
fication by faith as well as other «major themes of Protestant theology.» The present
artic1e demonstrates the presence of Luther’s early catechetical works – Decem praecepta
Wittenbergensi praedicata populo of 1518, Explanario dominicae oratíonis of 1520 and so
forth – in Juan de Valdés’ Diálogo. This not only destroys Nieto’s theory of an autoch-
thonous Spanish Reformation but, at the same time, requires a new evaluation of the
origins of the Alumbrado Movement in Spain. During the Italian period of his literary
activity, Valdés always reached back to Luther’s writings, even after he himself had taken
a more radical religious direction. This incessant crypto-Lutheran propaganda diffused by
Valdés and the broad movement which sprang from it, bear witness to the need to relate
the role of Erasmianism in Spain and Evangelism in Italy as the embodíment of pre-Tri-
dentine spirituality.
148. Gerhard Bellinger: Die Antwort des Catechismus Romanus auf die Reformation,
Diss. Univ. Münster, 1965, 7 -24. «Von den uns bekannten Theologen (die an der Verfas-
sung des Katechismus Romanus mitarbeiteten), karnen neun aus Spanien, drei aus Italien,
drei aus Flandern und mehrere Theologen aus LOwen und Frankreich.» Drei Italiener und
ein Portugiese waren fUr die letzte Fassung verantwortlich, ebd., 20f.
305
Sonderdruck aus
Archiv für Reformationsgeschichte
Jahrgang 74 . 1983
Gütersloher Verlagshaus Gerd Mohn

 

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